Wien: „Traviata Remixed“

Nach Verdi remixed von Moritz Eggert

Man fragt sich schon, warum der Beruf eines Theaterdirektors so begehrt ist. Vermutlich zerreißt man sich, damit man ein Haus leiten kann. Und dann hat man so eine Kammeroper. Steht vor der Notwendigkeit, für ein kleines junges Ensemble ein paar Premieren aufzustellen. Was tun? „Echte“ Oper reicht längst nicht mehr, wie im Theater die tatsächlichen Stücke nicht mehr reichen – nachdem man jahrelang Romane dramatisiert hat, sind jetzt die Filme dran… Und in der Oper? Was spielt man, das „interessant“ oder kontroversiell genug ist, dass die Medien es ausreichend wahrnehmen und das Publikum es sehen will?

Machen wir halt große Opern klein, das war schon oft da. Und fragen uns einzig und allein, wie wir sie (ob mit Gewalt oder nicht, wen kümmert’s) zu uns herholen können. Also – wir hatten ja eigentlich schon alles (zuletzt „Carmen“, nicht wahr?). Machen wir eben eine Traviata für unsere Welt. Eine Handy-Traviata. Kurtisane von einst, Nutte von heute. Sie sieht in ihr Handy, wenn sie in der Party zu Beginn hereinstürmt, sie sieht sich in ihrem Handy beim Sterben zu. Das ist, man räumt es gerne ein, wirklich zeitgemäß. Aber was tut man noch?

Regisseurin Lotte de Beer hat einmal gewaltig gekürzt, sie presst die musikalischen Highlights tatsächlich in pausenlose eineinhalb Stunden, und wer es nicht besser weiß, denkt sich: Na, geht doch!

Im übrigen überlässt sie einen großen Teil der Arbeit dem Ausstatterteam Clement & Sanou und dem Videogestalter (oder ist das eine Firma?) Finn Ross. Die Bühne selbst scheint als Handy gemeint zu sein, wir leben ja schon darin. Alles ist in dauernder Bewegung, wie wir es gewohnt sind, Videos zischen vorbei, unendlich alberne Fotos (was sollen Selfies sonst sein) überschütten uns, Facebook und Twitter-Nachrichten sind zu schnell schon wieder weg, als dass man sie lesen könnte, nichts bleibt haften und soll es auch nicht, die Bedeutung liegt in der Erkenntnis, dass in unserer Handy-Welt alles rasend schnell und belanglos vorbeizieht und eben keine Bedeutung hat. Am Ende sagt der Abend doch etwas aus. Aber muss er es unter dem Vorwand von „La Traviata“ tun?

Verdi freilich kann man einem Publikum von heute offenbar nicht mehr zumuten. Der gehört schon tüchtig „remixed“. Und während die Sänger mehr oder weniger (mehr oder weniger, eigentlich mehr) das Original singen dürfen, hat der Remix von Moritz Eggert schon gewaltig in den guten Giuseppe eingegriffen, rhythmisch verstärkt, wie es heute üblich ist (als wäre Verdi nicht gerade in der „Traviata“ rhythmisch genug), ziemlich abartige Instrumente hinzugefügt (vor allem eine Ziehharmonika bohrt sich immer wieder ins Ohr), er verfremdet, allerdings nur kurzfristig, und vor allem banalisiert er. So, wie es eben üblich ist – nur keine Feinheiten, keine Details, aber laut und „effektvoll“.

In jeder Hinsicht reduziert, wenn auch der originalen Handlung folgend (wer sie kennt, wird sie erkennen, wer nicht, sollte nicht glauben, dass er jetzt etwas von „La Traviata“ weiß), erzählt Lotte de Beer die Geschichte. Kurz Party, Party zu Beginn, wobei ohnedies jeder in sein Handy starrt, rasch zuhause bei Violetta und Alfredo (der an ihrer Seite zum langhaarigen Hippie geworden ist), es kommt kein Vater (alte Sänger gibt es nicht in einem jungen Ensemble), sondern ein Bruder, dass die kesse Flora auch die brave Annina ist und ein weiterer Sänger für die Männerrollen von Partykeks bis Doktor zur Verfügung steht, gehört dazu, in diesem Zusammenhang ist ja ohnedies alles egal. Wenn die sterbende Violetta der Brief von Germont erreicht – Unsinn, da kommt natürlich ein Mail. Nur dass sie Alfred per SMS den Laufpass gegeben hätte, das ging und ging einfach nicht – da musste ganz altmodisch der benötigte Brief her…

Tod mit Handy – wie viele Likes wird das geben?

Man hört ein Ensemble der starken, wenn auch eher harten Stimmen. Dabei will man Frederikke Kampmann sehr gerne ein schönes Piano und ebenso schönes Mezzavoce zugestehen, nur im Forte wird die Stimme unangenehmer, und im Forte fühlen sich alle wohl: Julian Henao Gonzalez (der als von der Familie heimgeholte Alfredo am Ende tadellos frisiert im Maßanzug erscheint), Matteo Loi (mit einigen Textveränderungen der Bruder), Anna Marshaniya, sexy stöckelnd als Flora, anteilnehmend als Annina, und Florian Köfler, dem es auch gelingt, den Doktor Grenvil und den Douphol, der hier nicht sehr adelig ist (Barone gibt es keine mehr?), zu differenzieren. Abgesehen davon, dass viel mit den Handys gefuchtelt wird, hat Lotte de Beer die Struktur der Geschichte wenigstens hingekriegt – und das mit fünf Sängern.

Und wie klingt das Ganze in der Instrumentierung von Jacopo Salvatori und Moritz Eggert (Beats von Gebrüder Teichmann werden auch angeführt)? Kalle Kuusava führte das Wiener KammerOrchester durch das Chaos, in dem der originale Verdi immer wieder in eine Bearbeitung strauchelt und abrutscht, die niemand braucht als die Bearbeiter selbst.

Ob dieser Abend einen einzigen Vertreter der Handy-Generation (die, wenn sie will, auf YouTube Hunderte von Opern sehen kann!) zur Live-Oper verführt? Ob ein Einziger nachher auf den echten Verdi neugierig ist? Wie dem auch sei – die Kammeroper ist „am Puls der Zeit“. So sagt man doch?

Renate Wagner 1.10.16

Bilder (c) Barbara Zeininger