Wien: „Operetka“, Michał Dobrzyński

So sollte modernes Musiktheater aussehen!

Der Komponist Michał Dobrzyński wurde am 24.November 1980 in Szczecin in Polen geboren, studierte Komposition beendete sein Doktorratsstudium 2008 an der Fryderyk Chopin Universität für Musik in Warschau. Das Libretto zu seiner dreiaktigen Oper „Operetka“ basiert auf dem gleichnamigen Drama von Witold Gombrowicz (1904-69), an dem dieser 15 Jahr gearbeitet hatte, und wurde vom Komponisten selbst verfasst. Sie selbst wurde am 18. Mai 2016 an der Kammeroper in Warschau mit großem Erfolg uraufgeführt. Ich habe insofern einen Nahebezug zu diesem Drama, da ich als Student in diesem Stück am Wiener Volkstheater 1979 in der Inszenierung von Bernd Palma (1945-95) als Sänger (Bariton) und Tänzer im Chor mitgewirkt hatte.

Zum Inhalt: Die triviale Scheinwelt und geistige Leere der Operette in Gestalt einer vertrottelten Aristokratie wird dem Pathos, dem Schmerz und dem Schrecken der Geschichte einer mittellosen Unterschicht gegenüber gestellt. Im Mittelpunkt der Handlung steht Albertine, eine Außenseiterin, die ihre Umwelt mit ihrem Schrei nach Nacktheit, also nach unverhüllter Wahrheit, schockiert. Im Schloss Himalaj leben der Prinz und die Prinzessin als Feudalherren, ihr Sohn, Graf Charme, ein Herzensbrecher vom Dienst, der mit Baron Firulet um den Rekord an Liebschaften rivalisiert. In dieser gekünstelten Welt erscheint der Modeschöpfer Fior, Diktator des Scheins, und verkündet den neuesten Modetrend. Albertines Aufruf zur Nacktheit empört alle, denn dadurch würden ja alle Klassenunterschiede aufgehoben werden. Nachdem Graf Charme und Baron Firulet vergeblich um die Gunst Albertinchens geworben haben und der Diener Ladislaus eine Revolution angezettelt hat, legen alle ihre verstorbenen Hoffnungen in einen herbei gebrachten Sarg, in dem – aufrecht gestellt und geöffnet – Albertine in ihrer Schönheit der unverfälschten und unschuldigen Jugend sichtbar wird.

„Operetka“ bildet den dritten Beitrag des insgesamt vier Opernproduktionen umfassenden 10. Armel Opera Festivals, das heuer erstmals im MuTh abgehalten wurde. Die von einer internationalen Jury bewerteten Vorstellungen werden vermutlich im Herbst von ARTE Concert übertragen.

Regisseur Jerzy Lach gelang eine durchgehend freche und komödiantische Inszenierung. Die operettenhafte Ausstattung und das praktikable Bühnenbild schuf Jerzy Rudzki. Die schmissige Choreographie besorgte Jarosław Staniek. Die Capella Gedanensis wurde von Przemysław Fiugajski mit Aplomb geleitet. Gesungen wurde in polnischer Sprache. Die Musik Dobrzyńskis besticht durch ihre dramatischen wie musikalischen Disharmonien und Widersprüche. In diesen scheinbaren Gegensätzlichkeiten liegt aber auch ihre Stärke, denn sie bestimmen den Rhythmus und setzen immer wieder erstaunliche Akzente. Die disharmonischen Melodien versprühen gleichwohl tiefste Gefühle und stärkste Affekte.

Die ungarische Mezzosopranistin Belinda Heiter trat in der Wettbewerbsrolle der Albertine auf und ließ mehrere eindringliche Koloraturen perlen. Den stärksten Eindruck hinterließ für mich jedoch der Countertenor Jan Jakub Monowid, der in der Rolle von Meister Fior, der in Gestik und Mimik unverkennbare Ähnlichkeiten mit dem Conferencier Joel Grey aus dem Film-Musical Caberet (1972) von Bob Fosse aufwies, die aristokratische Gesellschaft seinem Modediktat unterwirft.

Dem zweiten Countertenor, Karol Bartosiński, war die Rolle von Baron Firulet anvertraut, die er ebenfalls mit großer Komik und gut geführtem Countertenor zur höchsten Zufriedenheit ausfüllte. Sein Gegenspieler Graf Charmant wurde von Tomasz Rak mit leichtem Spieltenor eindringlich wieder gegeben. Anna Radziejewsky als Prinzessing Himalay, Artur Janda als der Professor, Piotr Pieron als Graf Hufnagl und Paweł Tucholski als der Priester trugen in den kleineren Rollen mit sichtlicher Spielfreude zum großen Erfolg dieses Abends bei. In den Rollen der „Lords“ führt das Programmheft noch Magdalena Smulczyńska, Ewa Puchalska und Andrzej Marusiak auf. Jakub Andrzej Grabowski, Piotr Kedziora und Grzegorz Żołyniak wirkten als Diener mit und Marek Wawrzyniak ergänzte noch umtriebig als Ladislaus. Als Tänzer und Tänzerinnen waren Ewa Ampulska, Angelika Paradowska, Anna Szymoniak, Marek Bratkowski, Michał Góral, Mariusz Karpiński und als „Prinz“ Szymon Osiński zu erleben.

Da ich diese Produktion für die beste des diesjährigen Armel-Festivals halte, möchte ich über die übrigen drei kein Wort verlieren. Sie wurde auch – meiner Meinung nach – am stärksten vom Publikum des nicht restlos ausverkauften MuTh beklatscht! Verdiente Bravo-Rufe erhielten Belinda Heiter und Jan Jakub Monowid.

Harald Lacina, 4.7.2017

Fotocredits: Amel-Festival