CD: „Compositrices“, Französische Komponistinnen der Romantik

Eine CD-Box mit 165 Werken

CD-Box „Compositrices“: 8 CDs mit 165 Werken (meist Ersteinspielungen) von 21 unbekannten Komponistinnen: über 10 Stunden Musik zum Kennenlernen.
© Palazzetto Bru Zane

Sie haben richtig gelesen: 165 unbekannte Werke von 21 meist unbekannten Komponistinnen.

Erst einmal alle Achtung für die Herkules-Aufgabe, die Etienne Jardin, „director of research and publications“ und sein Team des Palazzettos geleistet haben! Denn es handelt sich um Ersteinspielungen, für die in beinahe allen Fällen erst einmal die Partituren hergestellt und Werkkataloge aufgestellt werden mussten, was gerade bei den vielen Komponistinnen, die erst unter verschiedenen (männlichen) Pseudonymen auftraten, eine wirkliche Detektivarbeit war. Fünf Jahre Vorlauf für eine CD-Box! Dann alle Bewunderung für den künstlerischen Leiter Alexandre Dratwicki, der hier für die passenden Interpreten und Orchester gefunden hat, die bereit waren, sich auf diese unbekannten Werke einzulassen (insgesamt 35 Namen – zu viele, um sie jetzt alle zu nennen). Drei Jahre lang Aufnahmesitzungen! Es ist unmöglich 8 CDs mit über 10 Stunden Musik „en detail“ zu rezensieren bei so einer Vielfalt von Werken, die man schwierig auf einen Nenner bringen kann. Soviel nur dazu: Wie erwartet gibt es viele Romanzen und Lieder (für Klavier und Gesang), Klavierstücke (kleine Sonatinen) und Kammermusik – wie man sich das bei „Damen“ klischeehaft vorstellt. Aber eben nicht nur das: Denn es folgen virtuose Konzerte für Gesang oder Instrument mit Orchester (Klavier, Geige, Cello, Flöte), groß angelegte Orchesterstücke und die schon erwähnte Sinfonie n°3 von Louise Farrenc (mit 4 Sätzen und einer Dauer von fast 40 Minuten). Und diese Werke entsprechen überhaupt nicht dem, was damals als „weiblich“ empfunden wurde. Wie es dazu kam, ist ein hochinteressantes Thema, zu dem in letzter Zeit sehr viel veröffentlicht wird. Auch ein delikates Thema, denn man muss historisch genau vorgehen und kann nicht so schnell verallgemeinern. So ist es z.B. nicht so, dass Frauen prinzipiell der Zugang zum Konservatorium verweigert wurde. Als das Pariser „Conservatoire“ 1795 eröffnete – als weltweit erstes öffentliches – geschah dies natürlich nach dem revolutionären Prinzip von „Liberté-Égalité-Fraternité“, so dass auch Frauen grundsätzlich Zugang hatten. Doch das Durchschnittsalter der Schüler war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 10 bis 15 Jahre – da hatten also die Eltern das Sagen, sprich die damaligen gesellschaftlichen Erwartungen an eine zukünftige (Ehe-)Frau und Mutter. Die erste Klavierdozentin am Konservatorium 1795 war übrigens eine Frau, Hélène de Montgeroult (1764–1836, auch als Komponistin in der CD-Box), die behauptete, sie sei während der Revolution als Aristokratin von der Guillotine verschont geblieben, weil sie vor dem Comité de salut public einwandfrei über die „Marseillaise“ improvisierte habe. Sie gab natürlich auch jungen Männern Unterricht. Aus welchen Gründen auch immer, Tatsache ist, dass zwischen 1822 und 1906 in den Kompositionsklassen des Pariser Konservatoriums nur 8 % der Studierenden Mädchen/Frauen waren – was sicherlich Einfluss hatte auf ihre künstlerische Entwicklung, wenn man nicht so „bärenstark“ war wie die oben erwähnten Louise Bertin oder Augusta Holmès. Das wird man sicher in Zukunft noch genauer untersuchen.

Die 21 Komponistinnen der CD-Box werden weder chronologisch oder alphabetisch noch nach Genre vorgestellt, sondern jede der acht Platten ist wie ein Konzert gestaltet, mit erst kleineren und dann größeren Stücken. Das Booklet beschränkt sich auf ihre Biografien ohne genauer auf ihre 165 Werke einzugehen – das wäre in diesem Format auch nicht möglich gewesen. Einige Bekanntere, zu denen es schon Aufnahmen gibt, wurden ausgelassen, so wie die Opern, die einzeln aufgenommen werden sollen – mit neuen Begleitbüchern natürlich. Es geht bei dieser CD-Box also um eine Präsentation der vorhanden Vielfalt, um ein Kennenlernen.

Waldemar Kamer, 26. Juni 2023


Bru Zane Label (Zum Download und Streaming auf digitalen
Plattformen samt Libretto online erhältlich)
BZ 2006


Beiträge zum Schwerpunkt „unbekannte Komponistinnen“:

„Fausto“, Oper von Luise Bertin

Konzert: „Sieben romantische Komponistinnen“

CD-Box „Compositrices“

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