Frankfurt: Russisches Feuerwerk

Sergej Rachmaninow
3. Klavierkonzert d-Moll op. 30

Nikolai Rimsky-Korsakow
Scheherazade op. 35

HR-Sinfonieorchester

Alain Altinoglu (Leitung), Alexander Malofeev (Klavier (anstelle von Evgeny Kissin))

Zwei der spektakulärsten Kompositionen der russischen Musikliteratur bestimmten das erste Programm des HR-Sinfonieorchesters in der soeben begonnenen neuen Saison in der Alten Oper Frankfurt.

Sergej Rachmaninow komponierte mit seinem dritten Klavierkonzert ein zeitlich umfangreiches Werk mit äußerst schweren Anforderungen an den Pianisten. Gerade einmal zwei Takte Orchestereinleitung genügen, ehe das Klavier mit leichten Oktaven einsetzt. Die schlichte und doch so prägnante Melodie erinnert an russische Volksmusik, war aber lediglich etwas, wie Rachmaninow es nannte, was sich von selbst formulierte. Bereits der erste Satz ist in seinen Anforderungen ein Konzert in sich, was z.T. auch der ausführlichen Kadenz geschuldet ist.

Im Adagio des zweiten Satz entsteht ein großer Raum der Ruhe, in welchem Themen aus dem ersten Satz aufgegriffen und verarbeitet werden. Nahtlos ist der Übergang dann in den virtuosen Schluss-Satz, welcher am Ende alles aufbietet, was zu einem gewaltigen Finale gehört und in einer kurzen Stretta endet.

Ursprünglich war als Solist Evgeniy Kissin vorgesehen, der leider krankheitsbedingt absagte. Für ihn sprang sein Landsmann Alexander Malofeev ein, gerade einmal 21 Jahre jung.

Völlig unerschrocken ob der gewaltigen Herausforderung zeigte der junge Pianist eine Leistung, die hoch erstaunlich und außergewöhnlich war. Allein die technische Bewältigung dieses Konzertes geriet verblüffend souverän. Mit unendlicher Energie und starker Kraft, vor allem in der linken Hand, bediente er die kaum spielbaren Anforderungen mit entwaffnender Leichtigkeit. Die gewaltige Kadenz war als musikalisches Zwiegespräch seiner Hände zu erleben. Auch hier keinerlei Showverhalten, sondern tiefer musikalischer Ernst mit einem klaren Blick auf die musikalischen Strukturen. Faszinierend war zudem, wie gut er auch die Dynamik zu zügeln wusste. Dies kam dem zweiten Satz zugute, der mit Ruhe und Anmut vorgetragen wurde. Hier wirkte Malofeev ganz bei sich, versunken in der Musik und staunend im Vortrag. Der dritte Satz kam wie ein Hexentanz auf Tasten daher. Zugespitzte Tempi, höchste Virtuosität, rasende Akkordwechsel und ein natürliches Cantabile auf dem Höhepunkt.

Das HR-Sinfonieorchester war hörbar angetan von diesem besonderen Solisten und schenkte ihm eine hervorragende Grundlage für seinen Solo-Vortrag. Die herrlichen Streicher trumpften klangsatt auf und die einfühlsam agierenden Holzbläser begeisterten mit warmer Klangfärbung. Die Blechbläser zeigten einmal mehr ihre superbe Klangqualität und selbst das sonst eher defensive Schlagzeug des Orchesters wusste durch energischen Einsatz zu überzeugen.

Und natürlich brandete mit einem Aufschrei des Publikums nach dem furiosen Finale riesiger Jubel auf. Malofeev bedankte sich mit zwei großzügigen Zugaben. Kaum zu fassen, dass der junge Künstler nach dem schweren Rachmaninow dazu noch in der Lage war! Die begeisterten Zuhörer erlebten u.a. einen absolut hinreißend dargebotenen Pas de deux aus Tschaikowskys „Nussknacker“. Äußerst feinfühlig und in jeden Ton hineinspürend, gelangen hier weitere Erlebnismomente der Sonderklasse. Wunderbar. Stehende Ovationen feierten einen bereits jetzt schon großen Pianisten, dem die Zukunft gehört!

Rimsky-Korsakows symphonische Suite ‚Scheherazade‘ ist das bekannteste Werk des russischen Meister-Komponisten. Ein Orchesterfeuerwerk par excellence in märchenhaft, orientalischer Klangcharakteristik. Der Komponist formulierte zu seinem zentralen Werk widersprüchliche Angaben. Zu einen handelt es sich bei diesem Werk um Programmmusik in klar vorgegebenen Handlungsverläufen. In seiner Autobiographie äußerte Rimsky-Korsakow, dass er lediglich orientalische Bilder und Figuren beschreiben wollte.

Alain Altinoglu ist mit diesem Werk hörbar gut vertraut und entschied sich bei seiner Interpretation für einen gestalterischen Mittelweg. Für ihn ist diese Komposition keine Programmmusik, sondern absolute Musik. Die Komposition trägt den Untertitel „symphonische Suite“ und Altinoglu betonte vor allem das Symphonische in seinem Dirigat.

Seine Lesart war daher geprägt von farblicher Ausgewogenheit und klarer Struktur. Schärfen und dynamische Zuspitzungen waren bei Altinoglu nicht zu hören. Die vielen Möglichkeiten für Schroffes, Geschärftes oder Eigensinniges blieben unangetastet.

Alles verblieb im Zentrum der klanglichen Ausbalancierung und edlen Klangschönheit. Das Werk wurde mit großer Transparenz und Präzision gestaltet. Auch in den ausladenden Passagen wahrte Altinoglu die dynamische Übersicht, wurde niemals maximal laut und vermied jeglichen Anflug von Kitsch oder Pathos.

Natürlich verwöhnte das hervorragende Orchester mit großer Sonorität und farbiger Pracht. Die Mitglieder des Orchesters erhielten von Altinoglu großen Gestaltungsraum, welchen sie überzeugend zu nutzen wussten. Die vielfachen Soli wurden ausgezeichnet realisiert, vor allem die betörende Solo-Violine von Konzertmeister Ulrich Edelmann mit honig-süßem Timbre oder das herrliche Klarinettenspiel von Jochen Tschabrun. Viel Persönlichkeit entfaltete Carsten Wilkening am Fagott, ebenso die sensible Solo-Flöte von Sebastian Wittiber.

So erfreute sich das zahlreich erschienene Publikum in der Alten Oper Frankfurt an diesem gefälligen Vortrag und spendete begeisterten Beifall.

Dirk Schauß, 17. September 2022