Frankfurt: Schatten und Licht

Frankfurter Oper- und Museumsorchester

Javier Perianes (Klavier), Anu Tali (Dirigentin)

Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert No. 3 c-moll, op. 37

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie 10 c-moll op.93

Düsternis in Klängen in sehr unterschiedlicher Ausfertigung

Das aktuelle Museumskonzert musste kurzfristig umdisponiert werden, da der ursprüngliche Dirigent Constantinos Carydis nicht zur Verfügung stand. Auch der Pianist Francesco Piemontesi musste absagen. Für ihn sprang der Spanier Javier Perianes ein. Geleitet wurde der Konzertabend von der estnischen Dirigentin Anu Tali.

Anstelle des zweiten Klavierkonzertes von Ludwig van Beethoven, gab es nun dessen drittes Klavierkonzert, Schostakowitschs zehnte Symphonie konnte dankenswerter Weise auf dem Programm verbleiben.

Beethovens Klavierkonzert aus dem Jahr 1803 nimmt eine Sonderstellung ein, da es das einzige Klavierkonzert in einer Moll Tonart ist. War sein zweites Klavierkonzert noch ganz der Wiener Klassik verhaftet und teilweise wie ein Dialog mit Mozart angelegt, so ist der Nachfolger wesentlich symphonischer angelegt. Reich im Ausdruck und Harmonie ist der zweite Largo Satz mit einem weiten Spektrum an Gefühlen. Keck und stolz dann das beschließende Rondo in seinem tänzerischen Rhythmus.

Der erste Teil des Konzerts in der gut besuchten Alten Oper geriet sehr zwiespältig. Und dies war vor allem dem Dirigat geschuldet. Seltsam uninspiriert, auf reine Begleitfunktion reduziert, sah sich das kultiviert tönende Frankfurter Opern- und Museumsorchester von Anu Tali interpretatorisch überhaupt nicht gefordert.

Schon die schwammige Einleitung verhieß nichts Gutes. Ohne Kontur, sehr defensiv in der Begleiter Rolle konnte das Dirigat zu keinem Zeitpunkt bei Beethoven überzeugen. Tali blieb für die gesamte Komposition bei diesem seltsamen Kurs. Auch das beschließende Rondo kam schwerfällig daher, ohne Witz und Charme. Sehr schade!

Am Klavier agierte sehr routiniert Javier Perianes nach ruppigem Start als musikalischer Sachwalter. Auch er benötigte eine recht lange Anlaufzeit, bis er mit dem Werk emotional verbunden wirkte. Erst in der überzeugend dargebotenen Kadenz des ersten Satzes wirkte Perianes angekommen. Ein Dialog zwischen Orchester und Soloinstrument war bedauerlicherweise nicht wirklich spürbar. Jeder spielte für sich.

Perianes Stärke an diesem Abend waren seine weichen, großen Legatobögen und vor allem die Dynamik jenseits der Fortestellen. Hier entstand eine schöne, natürliche Kantabilität. Daher war es vor allem der zweite Adagio Satz, den Perianes mit Ernst und Ruhe absolvierte, der überzeugte. Das beschließende Rondo war gänzlich ohne Charme und wirkt insgesamt hölzern in der Umsetzung. Perianes bedankte sich für den freundlichen Applaus mit der spanisch anmutenden Zugabe „Encore desconociba“.

Im Jahr 1953 fand die Uraufführung von Dmitrij Schostakowitschs zehnter Symphonie statt. Dieses Werk ist von zentraler Bedeutung. Hier wagt der Komponist sich aus der Deckung heraus und rechnet musikalisch mit dem Grauen der Stalin Zeit ab. Der weit ausschweifende erste Satz entwickelt ein Bild der Klage und des Wahnsinns.

Im zweiten Satz fährt ein brutales Scherzo durch die Ohren der Zuhörer. Ein Portrait Stalins soll damit gemeint sein. Und wahrlich, eine furchtbare, infernalische Fratze wird hier in Töne gemeißelt, die gleich einer Panzerkolonne im großen Crescendo alles platt walzt.

Eine Atempause gewährt der zurück genommene dritte Satz, der kontrastreich die Musik ins Kammermusikalische zurücknimmt.

Im vierten Satz folgt ein Wechselbad der Gefühle. Die einleitende Oboe zeichnet eine trügerische Idylle. Dann stürmt die Musik wieder furios davon, Marschelemente treiben die Musik unerbittlich in ihr furioses, hämmerndes Ende.

Schostakowitschs Sinfonie wirkt in ihrer Düsternis zunächst wenig zugänglich. Doch es ist faszinierend festzustellen, wie groß der Reichtum seiner Einfälle ist.

Zitate aus eigenen Werken (5. Sinfonie, Lady Macbeth von Mzensk) und von seinen Kollegen Britten, Mahler und Mussorgsky. Dazu eine große rhythmische Bandbreite, die Walzerelemente aufgreift und mit Passagen, die an Märsche denken lassen, konterkariert.

Wie war nun der Zugang von Anu Tali an diese knapp einstündige Sinfonie?

Um es vorwegzunehmen: ihr gelang eine überaus überzeugende Interpretation.

Und das war nach dem unguten Start mit Beethoven doch eine echte Überraschung! Das groß besetzte Frankfurter Opern- und Museumsorchester trumpfte mächtig auf und zeigte seine große Klasse in allen Spielgruppen.

Tali wirkte in ihrer sehr kontrollierten Körpersprache klar und souverän. Sie entfaltete eine immense Bandbreite an Farben und Gefühlen in der Musik. Dabei scheute sie keinerlei Extreme, ohne dabei ins Lärmen zu verfallen.

Die Herausforderung bei diesem Werk ist seine vielschichtige Unterteilung in immer wieder neue Themengruppen. Leicht kann es geschehen, dass die Sinfonie dann durchhängt. Nicht so bei Anu Tali, die erkennbar einen sehr klaren Interpretationsweg verfolgte, der auch das Publikum überzeugte. Die Begeisterung war groß für die Dirigentin und das Orchester.

Einmal mehr faszinierte an diesem Abend die stilistische Bandbreite, die hohe Flexibilität des Frankfurter Klangkörpers und die weit aufgefächerte Dynamik. Holz- und Blechbläser agierten mit Ausdauer und klanglicher Homogenität. Der groß besetzte Streicherapparat intonierte weich, sensibel und dann wieder auch sehr ruppig und brüsk, vor allem in den Bässen. Das exzellente Schlagzeug Ensemble hatte hörbare Freude an seinen exponierten Einsätzen.

Alles in allem ein würdiges und überzeugendes Plädoyer für die musikalische Größe von Dmitrij Schostakowitsch.

Dirk Schauß, 10. Mai 2022