Frankfurt: London Philharmonic Orchestra

Vladimir Jurowski (Leitung), Beatrice Rana (Klavier)

Sergej Prokofjew
Klavierkonzert Nr. 3 C-Dur op. 26

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 11 g-Moll op. 103

Zwei musikalische Schwergewichte präsentierte das renommierte London Philharmonic Orchestra bei seinem Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt.

Fast auf den Tag genau, am 16. Dezember 1921, spielte Sergej Prokofjew selbst die Uraufführung seines Klavierkonzertes in Chicago. Es gilt als sein beliebtestes Klavierkonzert, weil es melodisch reich ist und weitgehend auf Dissonanzen verzichtet.

Wunderbar innig intonierte die Klarinette das Eingangsthema, welches von den samtigen Streicherklängen aufgegriffen wurde, umso dann mit stürmischem Elan nach vorne zu drängen. Als Solistin zeigte Beatrice Rana eine reife, außergewöhnlich souveräne Leistung am Klavier. Hoch virtuos und reaktionsschnell musizierte sie mit dem fabelhaften Orchester. Große Vitalität kennzeichnete ihr Spiel. Aber auch in den lyrischen Motiven zeigte sie ihre Klasse. Die ständigen Akkordveränderungen realisierte sie in zugespitzten Tempi mit größter Umsicht.

Das Andantino forderte sie in allen Belangen, denn hier kommt es zu einer Aneinanderreihung unterschiedlicher Variationen. Zahlreiche Akkordzerlegungen, sehr schnelle Tonleiterabfolgen und auch einige kräftige Dissonanzen. Eine nicht enden wollende Palette der unterschiedlichsten Farben.

Furios und dann hoch virtuos gesteigert das Finale. Technisch ist dieses Klavierkonzert extrem anspruchsvoll und doch ließ es Rana dabei nicht beruhen, hier ihre Kunstfertigkeit auszuagieren. Immer wieder war ihr Spüren und Fühlen spürbar, der musikalischen Gestaltung ein Maximum an Farben und rhythmischer Prägnanz angedeihen zu lassen. Mit Vladimir Jurowski hatte sie einen sehr guten musikalischen Partner an ihrer Seite, der sein Orchester groß aufspielen ließ. Sehr selbstbewußt nahm sich das London Philharmonic seinen Raum, um mit staunenswerter Perfektion alle Erfordernisse mit Bravour zu realisieren. Drastische Effekte bis hin zur Groteske wurden deutlich herausgestellt. Dabei vernachlässigte Jurowski aber zu keinem Zeitpunkt die romantischen Melodieabschnitte.

Ein großartiger Beginn, der heftig vom Publikum akklamiert wurde und mit einer schönen Zugabe von Beatrice Rana belohnt wurde.

Kaum ein Komponist verstand sich so sehr als musikalischer Biograph seines Zeitalters wie der Russe Dmitri Schostakowitsch. Als am 09. November 1905 Zar Nikolaus eine unbewaffnete Menge Bittsteller niederschießen ließ, wurde daraus eine weit auf Russland übergreifende Bewegung des Widerstandes. Schostakowitsch setzte mit seiner 11. Symphonie dieser furchtbaren Tat ein musikalisches Denkmal. Und doch wollte er seine Symphonie zeitlos verstanden sehen. Als dieses Werk am 30. Oktober 1957 in Moskau uraufgeführt wurde, war ihm sogleich ein großer Erfolg beschieden. Geradezu filmisch genau mit programmatischen Vorgaben bildetete Schostakowitsch die Ereignisse ab.

Bereits im ersten Satz („Der Platz vor dem Palast“) ist die einleitende Grundstimmung düster und bedrückend. Deutlich dann der Kontrast im zweiten Satz („Der neunte Januar“). Zunächst wird ein altes russisches Lied zitiert, klagend und voller Demut. Plötzlich dann stürmische Fugatopassagen, die bedrohlich anschwellen. Die zaristischen Gewehrsalven sind geradezu brutal herausgemeiselt. Dann verebbt dieser extreme Satz in der Stille.

Der dritte Satz („Ewiges Gedenken“) ist, ähnlich wie in seiner siebten Symphonie, ein Lamento. In einem Trauergesang wird der Opfer musikalisch gedacht. Im beschließenden vierten Satz („Sturmläuten“) wähnt der Zuhörer sich im Kern der Revolution. Kriegsgesänge verarbeitet Schostakowitsch in diesem drastischen Finale, das mit lärmenden Glocken dann seinen apokalyptischen Höhepunkt findet.

Es war zu jedem Zeitpunkt spürbar, dass Vladimir Jurowski und das grandios aufspielende London Philharmonic Orchestra, an diesem Abend ein musikalische Bekenntnis formulierten. Jurowski reizte die Extreme aus, in der Dynamik, wie in den z.T. aberwitzig zugespitzten Tempi. Und so war es der Reichtum der Kontraste, der seine Interpretation besonders erscheinen ließ. Immer wieder bremste der Dirigent aber dann auch die Musik herunter, um das Kantable, den seelenvollen Klagegesang in den Mittelpunkt zu stellen. Es war prachtvoll, wie leicht und mühelos das London Philharmonic Orchestra dieses fordernde Werk realisierte. Ob in der Groteske oder im Seelenklang, immer war das Orchester hoch präsent und tadellos in seiner musikalischen Gestaltungkraft. Voller Wehmut und Schwere intonierten die Holzbläser, während die groß aufspielenden Streicher körperreich, ruppig sekundierten. Gewaltig trumpften die Blechbläser und das viel geforderte Schlagzeug auf. Eine extrem fordernde Stunde Musik für alle Beteiligten auf und vor der Bühne.

Und doch, das Publikum, zunächst völlig erschlagen, zeigte sich lautstark begeistert von dieser so besonderen Interpretation und feierte die Ausführenden mit stehenden Ovationen. Der bescheiden agierende Vladimir Jurowski hielt sodann die Partitur gleich einer Ikone dem Publikum entgegen. Eine starke Geste. Ein großes Konzert!

Dirk Schauß, 17.12.2019

© Alte Oper Frankfurt, Wonge Bergmann.