Frankfurt: hr-Sinfonieorchester – Leitung: Klaus Mäkelä

Martin Helmchen (Klavier)

Robert Schumann
Klavierkonzert a-moll op. 54

Dmitri Schostakowitsch
Symphonie No. 7 C-Dur op. 60 „Leningrader“

Himmel und Hölle

Ein Programm voller drastischer Kontraste präsentierte das HR-Sinfonieorchester in seinem aktuellen Konzert in der Frankfurter Alten Oper. Und natürlich sind derart emotionale Wechselbäder eine große Herausforderung. Als „musikalischer Himmel“ gilt vielen Robert Schumanns Klavierkonzert, sicherlich eines der Schlüsselwerke der romantischen Klavierkonzert-Musik.

Lange hatte Schumann an diesem Werk gearbeitet. Nach gut fünf Jahren Entstehungszeit wurde es im Jahr 1845 uraufgeführt. Der große Reichtum der melodischen Entwicklung im Klavier- und Orchestersatz begeistern bis heute das Publikum. Kaum zu fassen, dass dieses Konzert jedoch vom HR-Sinfonieorchester zuletzt 1983 gespielt wurde!

Als Solist gastierte Pianist Martin Helmchen. International war er bei vielen Orchestern bereits zu Gast und hat sich zudem auch in der Kammermusik einen Namen gemacht. So lehrt er u.a. als Professor für Kammermusik an der Kronberg Academy. Zu seinen Mentoren zählt u.a. Alfred Brendel.

Helmchen ist mit diesem Konzert seit langem intensiv verbunden. Dies war in jeder Note seines sensiblen Anschlages zu hören. Die Dynamik wirkte immer natürlich empfunden. Jede Willkürlichkeit blieb ausgespart. Es entstand schnell ein intensiver Sog musikalischer Dringlichkeit. Mit Empfindsamkeit phrasierte Helmchen in Klarheit die Themen aus. Sein Spiel wirkte dabei hoch sensibel. Auch in der virtuosen Kadenz entstand nicht ein vordergründiger Eindruck, sondern sie war vielmehr gedankliche Verarbeitung des tönenden Dialoges. Jeder Ton wurde von Helmchen als klangliche Einzigartigkeit erlebt. Poesie an den Tasten.

Wie groß ist dann der Kontrast dazu im zweiten Satz! Das sog. „Intermezzo“ kam im Zusammenspiel der Musiker als Moment der Kontemplation. Orchester und Klavier zeigten sich in einer innigen Zwiesprache.

Groß dann das Gefühl der Lebensfreude im aufrauschenden Allegro vivace des dritten Satzes. Da leuchteten von überall her die Farben in feinster musikalischer Ausgestaltung. Helmchen achtete hier sehr deutlich auf Transparenz und aufgefächerte Strukturen.

Selten ist dieses Konzert in einem derart symbiotischen Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester zu erleben. Ein unendlicher Melodienstrom, der unter einem einzigen Spannungsbogen verlief.

An seiner Seite musizierte das sehr motiviert wirkende HR-Sinfonieorchester unter Leitung des 23jährigen finnischen Senkrechtstarters Klaus Mäkelä.

Der junge Dirigent darf in seiner Generation zu den größten Hoffnungen am Dirigenten-Himmel gezählt werden. Kein Wunder also auch, dass das Oslo Philharmonic Orchestra ihn kürzlich zu deren Chef berief und bereits viele internationale Orchester diesen besonderen Künstler am Pult sehen möchten. Mit unbändiger Spiel- und Interpretationsfreude zauberte er aus dem HR-Sinfonieorchester eine sehr eigene Interpretation hervor. Die Frische und Klarheit in den Akzenten, dabei perfekt in der dynamischen Gestaltung, waren in ihrer Wirkung bestechend. Das Orchester hatte große Freude und ließ sich von der Begeisterung des Dirigenten hörbar inspirieren. Langer Beifall wurde mit einer Zugabe belohnt. Martin Helmchen beschenkte seine Zuhörer mit einer kleinen Preziose von Robert Schumann.

Eine musikalische Fahrt durch die Kriegs-Hölle erwartete dann die Zuhörer im zweiten Teil des Konzertabends. Mit Dmitri Schostakowitschs Symphonie No. 7 schrieb der russische Meister Musikgeschichte. Ein musikalisches Denkmal an das heutige St. Petersburg formuliert und seine vielen Kriegsopfer. Das Werk erlebte seine gefahrvolle Uraufführung unter lebensbedrohlichen Kriegsbedingungen im Jahr 1942.

Faszinierend sind die Farben und Themen im ersten Satz, die zunächst eine Idylle beschreiben. Noch wirkt die Welt heil. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das sog. „Invasions-Thema“, das in elf Variationen den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. In Form eines Bolero-Rhythmus wird ein bekanntes Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. Langsam und immer gewalttätiger mit z.T. gigantischen Fortissimo-Klängen walzt diese musikalische Armee alles nieder. Am Ende erklingen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.

Der zweite Satz Moderato gleicht einem Scherzo und kommt letztlich doch als Groteske daher. Ein bizarr und schrill anmutender Walzer.

Tief unter die Haut geht dann das weite Adagio mit seinen choralartigen Anklängen. Breite Unisono-Kantilenen erklingen in den Streichern. Doch auch hier wieder kommt es zu musikalischen Brechungen. Ein grotesker Marsch im Trio kommt als Störelement in die Klage. Am Ende endet der Satz in einem diffusen Ausklang, der dann unmerklich in den vierten Satz überleitet.

Im vierten Satz lässt Schostakowitsch die Trauer am Ende in einen gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten Orchesters führen. Die Steigerungen, die Schostakowitsch hier mobilisiert, sind immer wieder ein atemberaubendes Erlebnis.

Dirigent Klaus Mäkelä bescherte dem Publikum einen unvergesslichen Abend! Unfassbar, mit welcher Reife und welchem Können er diesem anspruchsvollem Werk begegnete! Dabei folgte er einem ganz eigenen interpretatorischen Weg. Zupackend in der Eröffnung, breitete er vor dem Zuhörer eine ruhende Idylle aus. Wie aus dem Nichts ertönten die Trommeln und langsam, behutsam in der Steigerung begann das Invasionsthema. Mit einem untrüglichen Sinn für musikalisches Timing baute Mäkelä eine unerträgliche Spannung auf. Und dann krachten gewaltige Fortissimo-Salven des gesamten Orchesterklanges in den Konzertsaal. Mäkelä schaffte es, im lautesten Getöse alles transparent und wuchtig zugleich zu halten.

Dabei hörte Mäkelä sehr genau in die Musik hinein, arbeitete die Themenbezüge in den Nebenstimmen heraus und gab dann doch der melodischen Entwicklung dabei den Vorzug. Auch scheute er sich nicht, harmonische Reibungen zu betonen, um Dissonanzen zu schärfen.

Die Tempi wirkten gemessen, niemals übersteigert, sondern sehr eindeutig in der gesamten polyphonen Struktur. Mäkelä war in der Zeichengebung beispielhaft präzise und jederzeit Herr der Lage. Faszinierend, welche Farben er vor allem aus den Holzbläsern herausarbeitete. Äußert eindringlich das lange Solo des Fagotts im ersten Satz, dem ein herrlich aufblühender Streicherton, wie aus einer anderen Welt antwortete. Fast schon magisch, war dieses sehnende Aufblühen in der Streichergruppe. In der gesamten Symphonie gab es eine Fülle eindringlichster Klangwirkungen, die Mäkelä überwältigend zur Geltung brachte. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass der so junge Klaus Mäkelä ein herausragender Dirigent ist, der in der Zukunft zu einer der wichtigsten Vertreter seiner Zunft heranreifen wird. Sicherlich war dieses Konzert in der Alten Oper einer der Höhepunkte des Konzertjahres 2019!

Das HR-Sinfonieorchester begeisterte mit einer makellosen Leistung. Mäkelä ließ die Streicher mal weich, dann wieder ruppig aufspielen. Im Kontrast dazu erklang die große Streichergruppe perfekt koordiniert und ausbalanciert in den großen Unisono-Teilen des dritten Satzes, die mit höchster Sensibilität realisiert wurden. Wunderbar innig das Solo des Konzertmeisters. Die großartigen Blechbläser intonierten unermüdlich und absolut perfekt in der Intonation. Sehr gut trafen die Holzbläser das ironisch groteske Farbspektrum oder berührten besonders intensiv (Fagott, Flöte, Klarinette) in den idyllischen Abschnitten der Mittelsätze. Jede Solostimme mutierte fast zu einem gesungenen Klagebeitrag der Kriegsopfer. Selten dürften diese solistischen Einwürfe derart tief die Seele der Zuhörer gestreift haben. Dazu überwältigend in der gesamten dynamischen Bandbreite die große Gruppe der Schlagzeuger.

Das Publikum geriet außer sich vor Begeisterung und feierte die Protagonisten mit jubelnden Ovationen! Was für ein Abend!

Dirk Schauß 2.11.2019

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