Frankfurt: Konzert des Hessischen Rundfunks

Pablo González (Dirigent)

Hector Berlioz
Römischer Karneval

Jean Sibelius
Violinkonzert

Carl Nielsen
2. Sinfonie (»Die vier Temperamente«)

Musikalische Temperamente in unvergesslicher Darbietung

Auch in seinem neuen Konzert der Auftakt-Reihe zeigte der Hessische Rundfunk einmal mehr seine kluge Hand bei der Programmgestaltung. Dazu wurden zwei musikalische Gäste engagiert, die mit großer Verve musizierten.

Zu Beginn erklang mit „Römischer Karneval“ ein Auszug aus der Oper „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz. Das 1838 in Paris uraufgeführte Werk war seinerzeit ein großer Flop. Zu groß waren die musikalischen Anforderungen, vor allem in der kaum zu bewältigenden exponierten Titelpartie. Die Handlung spielt in Rom um 1530 und portraitiert den berühmten Renaissance Bildhauer Cellini. Die Komposition „Römischer Karneval“ wird als Ballett-Einlage in der Oper gegeben und bietet in ihren furiosen Saltarello Klängen viel Gelegenheit für intensiven Farbklang im Orchester. Berlioz arbeitete 1844 diese Musik zur Ouvertüre um. Damit ist zumindest dieser musikalische Teil seiner Oper immer wieder im Konzertsaal zu erleben.

Das HR-Sinfonieorchester ließ sich erkennbar mitreißen von seinem temperamentvollen Gast-Dirigenten Pablo Gonzáles. Mit klarer Zeichengebung und rhythmischer Finesse interpretierte er gleich zu Beginn mit dem sehr präsenten Orchester ein überzeugendes Klangpanorama. Bereits am Beginn war überdeutlich zu spüren, dass es ein besonderer Abend sein würde, den die Zuhörer erleben. Das hellwache Orchester musizierte auf der Stuhlkante und nahm jeden energischen Impuls seines unermüdlichen Dirigenten auf. Fabelhaft dynamisch gestaffelt vermochte Gonzáles gleich mit dem ersten Stück eine herausragende Interpretation zu realisieren. Blitzsaubere Bläsersoli, wuchtige Streicherklänge und ein sehr aktives Schlagzeug sorgten für viel Freude.

Es folgte das Violinkonzert von Jean Sibelius, sicherlich das populärste Konzert seiner Gattung, welches das 20. Jahrhundert zu bieten hat. Die Anforderungen für den Interpreten sind gewaltig. Unzählige Doppelgriffe, schwierigste Intervallfolgen und ausgeprägte Kantabilität müssen bewältigt werden. Im Jahr 2015 wurde dem Geiger Emmanuel Tjeknavorian beim Internationalen Jean Sibelius Wettbewerb der Preis für die beste Interpretation dieses Werkes zuerkannt. Somit war die Neugierde groß, diesen jungen Künstler gerade mit diesem Werk zu erleben. Das in den Jahren 1903 – 1905 entstandene Werk umfasst drei Sätze.

Der erste Satz beginnt ruhig schwebend mit z.T. meditativen Einschüben. Tjeknavorian fand sofort einen elegisch schwebenden Ton auf seiner Geige und zog damit den Zuhörer sogleich in seinen Bann. Außergewöhnlich war seine dynamische Bandbreite, die vom fahlen Pianissimo bis ins machtvolle Forte nahtlos gesteigert werden konnte. Sein absolutes Einswerden mit dem Werk war jederzeit bewegend spürbar. So gelang es Tjeknavorian, jeden Takt mit musikalischer Bedeutung überzeugend aufzuladen. Im ruhigen Adagio musizierte er deutlich das romantische Hauptthema aus, als wollte die Zeit stillstehen. So entstand eine geradezu gesungen wirkender Tonfall auf seinem Instrument. Wie anders dann der beschließende Schlusssatz, den Sibelius selbst als „Danse macabre“ bezeichnete. Hier wird dem Solisten furiose Virtuosität abverlangt, die Tjeknavorian mit höchster Souveränität darbot. Großartig!

Das HR-Sinfonieorchester hat in den letzten Jahren oft Sibelius gespielt und ist deutlich hörbar vertraut mit dessen Musik. Gonzáles fühlte sich außergewöhnlich gut ein in die manchmal auch schroff herbe Musik des Komponisten. Auch hier begeisterte seine unermüdliche Energie, die das Orchester ungewöhnlich deutlich in den Mittelpunkt stellte. Somit also keine reine Begleitfunktion, sondern aktiver musikalischer Partner. Herrlich zeigte auch hier Gonzáles die rhythmische Finesse, die in z.T. ruppigen Streicherakzenten oder pointierten Paukensoli zu erleben war. Im wieder rauschte das Orchester begeisternd auf, verschmolz mit dem beseelt agierenden Solisten zu einer Einheit und zog die Zuhörer mit dieser außergewöhnlichen Interpretation in ihren Bann.

Kein Wunder also, dass das Publikum begeistert reagierte, was Tjeknavorian mit einer Zugabe belohnte. „Was soll man nach Sibelius noch spielen?“ fragte der junge Geiger das Publikum. Dann erzählte er kurz eine Geschichte, dass er vor zwei Jahren Onkel wurde. Seiner jungen Nichte spielt er seither immer wieder einmal etwas auf der Violine vor. Am liebsten höre sie aber das schlichte „Alle meine Entchen“ und DAS war dann die Zugabe. Einfach, kindlich, ohne Schnörkel gespielt….was für eine Idee! Viel Freude über diesen Einfall bei den Zuhörern.

Nach der Konzertpause stand die 2. Sinfonie des Dänen Carl Nielsen auf dem Programm. Die im Jahr 1902 uraufgeführte Komposition trägt den Untertitel „Die vier Temperamente“. Nielsen sah in einer Dorfschenke eine entsprechende Bilderfolge hängen, die ihn so stark beeindruckte, dass er daraus seine Inspiration für seine spätere Sinfonie bezog.

Den vier Sätzen sind die Temperamente Choleriker, Phlegmatiker, Melancholiker und Sanguiniker zugeordnet. Letztlich sind es hier eher Gemütszustände, die Nielsen in seiner Sinfonie verarbeitete.

So ist also der erste Satz sehr bewegt in seinem „Allegro choleriko“. Ganz anders dann der zweite Satz, der eine konkrete Episode beschreibt. Nielsen hatte hier einen hübschen jungen Mann vor seinem geistigen Auge, der seine Lehrer zu Verzweiflung bringt, weil er seine Aufgaben nicht lernt, sondern vielmehr Gefallen daran findet, in der Natur zu lustwandeln. Ein leichter Walzer bringt etwas Leichtigkeit in das musikalische Geschehen.

Der dritte Satz wirkt dann eher düster, schwer und lässt in seinen Färbungen an Bruckner und Mahler denken. Dann beschließt der vorwärtsdrängende vierte Satz mitreißend die Sinfonie. Auch hier formulierte Nielsen wieder ein konkreteres Portrait von einem Menschen, der im Habitus agiert, als gehöre ihm die Welt.

Viel Gelegenheit also für das HR-Sinfonieorchester ein weites Panorama unterschiedlicher Stimmungen zu interpretieren. Und die Musiker nutzten diese Gelegenheit sehr gut. So gab es viel Freude, der z.T. auch hier wieder deftig zupackenden Streichergruppen zu lauschen. Die Holzbläser waren wichtige Impulsgeber, immer wieder auch im lebendigen Dialog mit den souveränen Kollegen des Bleches, die vor allem im dritten Satz mit den über sich hinaus wachsenden Streichern, große Momente schufen. Die Pauke, an diesem Abend viel gefordert, war ein sehr deutlich, akzentuiert agierender Impulsgeber.

Pablo Gonzáles hatte erkennbar eine sehr klare Vorstellung von seiner Interpretation. Diese zielte darauf ab, die Kontraste dieser vielschichtigen Komposition zu betonen, was ihm perfekt gelang. Dabei hörte er immer wieder intensiv in die Musik hinein und gab auch den ruhigen Momenten den notwendigen Raum. In seinem auswendigen Dirigat gelang es ihm jederzeit, die unterschiedlich beschriebenen Temperamente klar von einander abzusetzen. Orchester und Dirigent verstanden sich erkennbar bestens. Bleibt zu wünschen, diesen besonderen Dirigenten bald wieder in Frankfurt erleben zu können!

Viel Begeisterung für einen Konzertabend mit Ausnahmecharakter!

Dirk Schauß 23.3.2019