Buchkritik: „Paukenschläge aus dem Paradies“, Erinnerungen von Ethel Smyth

Anders als gedacht

Erst mit dem Lesen der das Buch beschließenden „Anmerkungen der Herausgeberin und Übersetzerin“, nämlich denen von Heddi Feilhauer, erfährt der Leser, worum es sich bei dem Buch Ethel Smyth, Paukenschläge aus dem Paradies handelt: Um eine Zusammenstellungund Übersetzung von Äußerungen der englischen Komponistin und Frauenrechtlerin gleichen Namens aus unterschiedlichen autobiographischen Schriften. Das Vorhaben erweist sich insofern als sinnvoll, als den heutigen Leser nicht mehr Interessierendes unberücksichtigt gelassen werden konnte, andererseits wachsen, je weiter man in dem knapp 250 Seiten umfassenden Band voranschreitet, die Zweifel daran, dass Erwartungen, die mit dem Titel Paukenschläge aus dem Paradies geweckt wurden, tatsächlich erfüllt werden. Der musikinteressierte Leser erhofft sich Wissenswertes über die Komponistin und Dirigentin Smyth, über ihre Musik, die zahlreichen Opern, die immerhin an der Berliner Hofoper oder an der Met aufgeführt wurden, erfährt aber gerade einmal, welches das Thema von Der Wald und von Die Strandräuber ist, nichts ist über die Eigenarten der Musik, ihre Wurzeln, ihr Verhältnis zu der anderer Komponisten, ihre eventuellen „weiblichen“ Wesenszüge zu finden, und obwohl Smyth Freund- oder Feind-, zumindest Bekanntschaften zu fast allen bedeutenden Musikern ihrer Zeit pflegte, erscheinen diese recht wesenlos, auch wenn Brahms sich einmal uncharmant über die Aussprache ihre Namens äußert. Von Tschaikowski allerdings erfahren wir, dass er der Kollegin wertvolle Ratschläge für die Instrumentierung ihrer Werke gab.

Da die Texte aus unterschiedlichen Werken stammen, kommt es gelegentlich auch zu Widersprüchen in den Aussagen von Smyth, die sich einmal ironisch über Standesdünkel äußert, dann aber wieder den allerschlimmsten offeriert mit einem verächtlichen Blick auf die „langweilige mittelständische Mentalität“. Sehr viel beredter, als wenn sie über berühmte Berufskollegen spricht, wird die Autorin beim Schildern der Beziehungen zu gesellschaftlich hochgestellten Persönlichkeiten wie der Ex-Kaiserin Eugenie von Frankreich, der England ein komfortableres Exil gönnt als einst dem Onkel ihres verstorbenen Gatten, der Königin Victoria, und sogar über ihren Tischnachbarn Kaiser Wilhelm II. weiß sie zu berichten, wie geschickt er trotz seines verkrüppelten Arms mit dem Spezialbesteck bei Tisch umzugehen wusste. Ist das Buch also für den an Musik Interessierten eine kleine Enttäuschung, so ist es umso ertragreicher für den an Geschichte Interessierten.

Das Werk gliedert sich in zwölf Kapitel, dessen erstes sich dem Kampf Ethels um ein selbstbestimmtes Leben, um das Studium der Musik auf dem Kontinent widmet. Schon von Kindesbeinen an schwärmt sie immer wieder, auch wenn eine Verlobung in eine andere Richtung weist, für schöne, bedeutende Frauen. Die nicht immer eindeutige sexuelle Orientierung führt zu komplizierten, konfliktbehafteten Verhältnissen, besonders wenn die Angebetete wie die Sängerin Bahr-MIldenburg verheiratet ist, während die letzte große Liebe, die Schriftstellerin Virginia Woolfe, wohl über den Altersunterschied nicht hinwegsehen konnte.

Zu Deutschland hat Smyth eine besonders enge, aber auch konfliktbeladene Beziehung, sie kritisiert schonungslos die Leipziger Spießigkeit bis hin zum dünnen Gebräu, den Einwohnern der Stadt als Blümchenkaffe bekannt. Besser kommen die Münchner weg, und wenig Verständnis bringt sie für die Sympathie der Berliner für die Buren auf. Immerhin sind es aber deutsche Opernhäuser und deutsche oder in Deutschland wirkende Dirigenten wie Karl Muck, Arthur Nikisch oder Bruno Walter, die sich für ihre Werke einsetzen, so dass sie das Land als ihr „geistiges Heimatland“ ansieht.

Für kurze Zeit zieht sie der Katholizismus in seinen Bann und lässt sie eine Messe komponieren, für genau zwei Jahre widmet sie sich dem Kampf der Suffragetten um das Wahlrecht, sitzt zwei Monate lang im Gefängnis und komponiert den March of the Women.

„Meine Flucht nach Ägypten“ führt zur akribischen pseudomedizinischen Untersuchung eines unglücklichen Zwitterwesens unter den Einheimischen, ansonsten wimmelt es auch hier von „reizenden“ Damen und Herren.

Der Krieg verhindert Aufführungen in Deutschland, Smyth ertaubt, und ihre Bank geht pleite. Im letzten Kapitel meldet sich die Herausgeberin zu Wort, berichtet von Aufführungen in Glyndbourne, einem Symposium in Berlin, stellt eine angemessene Würdigung von Ethel Smyth für die nahe Zukunft in Aussicht, von der dieses Buch, zumindest was den Menschen Ethel Smyth betrifft, ein Teil sein könnte.

Ingrid Wanja, 30. August 2023


„Paukenschläge aus dem Paradies“
Erinnerungen von Ethel Smyth,
herausgegeben und übersetzt von Heddi Feilhauer

ebersbach & simon 
Berlin 2023
240 Seiten

ISBN 978 3 86915 286 8