Winterthur, Konzert: „Purcell, Mozart, Haydn“, Musikkollegium Winterthur

(c) Kaspar Sannemann

Diese drei Begriffe stellen die thematischen Schwerpunkte der drei Saisons 22/23, 23/24 und 24/25 des Musikkollegiums Winterthur dar, ein Triptychon also, inspiriert von Mozarts letzten drei Sinfonien, den Nummern 39, 40 und 41. Anlässlich des OPEN HOUSE Tages des Musikkollegiums stellte Chefdirigent Roberto González-Monjas am abendlichen Konzert das Programm als „Gruss aus der Küche“ vor, ein kulinarisches Häppchen, das Lust auf mehr machen soll. Allerdings war das Programm, das nun gespielt wurde, weit mehr als ein „Häppchen“, das war schon nahrhafte Kost, mit richtig viel Fleisch am Knochen – und machte definitiv Lust auf mehr.

In dieser Saison steht nun also das SEIN im Zentrum – SEIN bedeutet immer auch LEIDEN. Bereits das erste Stück, George Benjamins THREE CONSORTS, diese Transkription für Kammerorchester von Henry Purcells Fantasien (wahrscheinlich für Gamben geschrieben), ließ die Zuhörer eintauchen in eine archaische, mystische Welt der Polyphonie, mit einem Knäuel aus gedämpftem Blech im ersten Consort, trauerumflorten Streicherfiguren im zweiten und einem von der Röhrenglocke ausgehenden Mäandern um den Ton C im dritten Consort. Das wunderbare Spiel des Musikkollegiums Winterthur unter der Leitung von Roberto González-Monjas evozierte die ganz eigenen Stimmungen dieser von Purcell inspirierten Musik ausgesprochen wirkungsvoll und nachhallend. Und das Beste ist, dass man diese Komposition im Rahmen eines Abonnementskonzertes am 8. und 9. November nochmals hören darf!

(c) Kaspar Sannemann

Stürmen und Drängen sind auch Aspekte des SEINS, ungestüme Jugend und Leidenschaft, gepaart mit emotionalen Achterbahnen. So in Mozarts Klavierkonzert in d-Moll, KV 466. Die lange Orchestereinleitung mit ihrem aufgeregten Puls des Herzens (ausgedrückt durch Synkopen) werden von González-Monjas und dem Musikkollegium Winterthur mit geradezu erschütternder Vehemenz gespielt. Da ist nichts von gefälliger Salonmusik zu hören, kein gemütliches Zurücklehnen im Sessel möglich, das ist packende Leidenschaft, dramatisch und wild. Manchmal scheint das Orchester zu explodieren in gewaltigen Akzenten und Sforzati. Erstaunlich dann das weiche, introvertierte Einsetzen des Klaviers. Der junge Schweizer Pianist Jean-Sélim Abdelmoula überraschte mit einer gefühlvollen Interpretation des Klavierparts, die Dialoge zwischen Klavier und der durch den Dirigenten aufgeputschten Leidenschaft des Orchesters waren dadurch überaus spannungsgeladen, liessen aufhorchen. Da entstanden quasi Robert Schumanns Kunstfiguren „Florestan und Eusebius („Florestan den Wilden, Eusebius den Milden, Tränen und Flammen, Nimm sie zusammen, In mir beide, Den Schmerz und die Freude.“) González-Monjas und Abdelmoula führten exemplarisch vor, wie weit Mozarts d-Moll Konzert in die Zukunft weist, hinein in die Romantik. Dass Abdelmoulas Spiel durchaus zu Vehemenz fähig ist, zeigte er in der Kadenz des ersten Satzes, da hörte man neben aller Lieblichkeit auch eine gewisse Aufmüpfigkeit, selbstredend in stupender Virtuosität dargeboten mit blitzsauberen Läufen und Trillern.

Das Spiel „Milde gegen Wildheit“ setzte sich auch im zweiten Satz, einer Romance, fort: Lieblich, tänzerisch stellte Jean-Sélim Abdelmoula das Hauptthema vor, vehement und flammend griff das Orchester dieses auf. Wiederum begeisterte Abedelmoula mit seinem weichen, sanften Anschlag und den einnehmenden Piani. Tragisch-erregt und leidenschaftlich stiegen das Musikkollegium Winterthur und der Solist auch ins Finale ein, durchquerten sauber ausgeführte, flinke Passagen und stimmten nach einer kurzen Kadenz in die D-Dur Zuversicht verströmenden finalen Takte ein. Durch den begeisterten Applaus des Publikums ließ sich der Solist zu einer Zugabe bewegen (der Beginn von Mozarts Klaviersonate Nr.11 ?, bin mir nicht ganz sicher, da leider ohne Ansage, dankbar für Informationen). Wiederum begeisterte Abdelmoula mit wunderbar zartem, einfühlsamem Spiel und gekonnten Schattierungen!

Den Abschluss des Konzerts bildete Joseph Haydns Sinfonie LA PASSIONE Nr. 49 in f-Moll. Genau wie Mozarts Klavierkonzert ist sie wegweisend, führt weit weg vom „gefälligen“ Haydn, zeigt die Individualität, die Einzigartigkeit des menschlichen Wesens, geprägt vom Vorwärtsstürmen und Drängen. Roberto González-Monjas machte daraus eine Erzählung von mitreißender Dramatik, man klebte quasi auf der Vorderkante des Stuhls. Die aufwallenden Bögen des Adagios, die ausgereizten dynamischen Bandbreiten versprühten eine intensive Lebendigkeit. Das kurze Innehalten im Sturm des zweiten Satzes erschien, wie ein elegisches Dräuen, bevor wieder mit unkonventionellen Intervallsprüngen der Sturm fortgesetzt wurde. Die Musik schien aus der Körperspannung des Dirigenten zu fließen, eine Spannung, welche vom großartig aufspielenden Orchester aufgenommen und in den Saal getragen wurde. Der dritte Satz ist zwar mit Menuett überschrieben, aber es ist bei weitem kein höfischer Tanz. Unter González-Monjas Leitung klang er wie die Heimkehr eines erschöpften Helden, dem auch das Cembalo-Continuo nicht mehr auf die Beine helfen konnte. Mit einem erregten, aufwühlenden Presto-Finale endete dieses Konzert, welches die leidenschaftlichen und Leiden schaffenden Aspekte des SEINS eindringlich erleben ließ.

Kaspar Sannemann 6. September 2023


Winterthur

1. September 2023

Musikkollegium Winterthur
Leitung: Roberto Gonzáles-Monjas
Klavier: Jean-Sélim Abdelmoula

George Benjamin, Henry Purcell: „Three Consorts“ Transkribiert für Kammerorchester
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll, KV 466
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 49 f-Moll, Hob I:49 „La passione“