Wiesbaden: „Madama Butterfly“, Giacomo Puccini

Nach einer beeindruckenden Vorstellung im Bad Homburger Kurtheater fand die Tournee der Ukrainian National Opera aus Kharkiv ihren glanzvollen Abschluss im prachtvollen Wiesbadener Kurhaus. Dort wurde Puccinis Meisterwerk „Madama Butterfly“ aufgeführt, diesmal mit einer neuen Besetzung der Hauptrollen. Auch das Wiesbadener Publikum im Kurhaus reagierte begeistert auf die atmosphärische Inszenierung, die bereits in Bad Homburg für große Zustimmung gesorgt hatte. In dieser zehnten und letzten Aufführung demonstrierte das Ensemble aus Kharkiv erneut seine beeindruckende Kompetenz, und der Abend wurde von den Zuschauern enthusiastisch gefeiert. Trotz zehn Vorstellungen in nur zwölf Tagen war von Routine in der letzten Aufführung nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil, dieser finale Abend präsentierte Puccinis Tragödie musikalisch auf einem Niveau, das selbst in den renommiertesten Opernhäusern selten zu erleben ist!

(c) Klassik Konzert Dresden

Das traditionelle Bühnenbild, die prächtigen Kostüme und die stimmungsvolle Beleuchtung von Tetyana Aloshina schufen eine verzaubernde Atmosphäre, die das Publikum unmittelbar ins historische Japan entführte. Die große Faszination, die von der Bühnenaufführung ausging, war im aufmerksamen Publikum jederzeit spürbar. Die Oper „Madama Butterfly“ ist nicht frei von Kritik, insbesondere hinsichtlich ihrer Darstellung von Imperialismus und Kinderehe, die selbst zu Puccinis Zeit als kontrovers galt und heute immer noch Unbehagen auslöst. Diese Inszenierung betreibt hier glücklicherweise kein sinnloses „Regietheater“ und ließ in der Inszenierung Raum für eigene Gedanken und Interpretationen. Die Bühnenbilder veränderten sich während der drei Akte aufgrund der Einschränkungen einer Tourneeproduktion kaum, wodurch das Interesse stark auf die Protagonisten gerichtet war. Doch diese Aufmerksamkeit wurde reichlich belohnt.

War der Abend in Bad Homburg bereits musikalisch äußerst bemerkenswert, so gab es nun in Wiesbaden eine Steigerung, die im Ergebnis zu einer spektakulären Aufführung führte. Hierzu sind verschiedene Gründe anzuführen. Im Kurhaus Wiesbaden gibt es eine hervorragende Akustik und das Orchester saß nicht in einem Graben, sondern vor der Bühne, also ähnlich erhöht wie in der Wiener Staatsoper, was dem Orchesterklang sehr zuträglich war. Hinzu kam eine Alternativbesetzung in den Hauptpartien, die auch an größten Bühnen erfolgreich sein würde! In Wiesbaden wurde Yulia Piskun als Cio-Cio-San immens gefeiert. Ihre Stimme bewegte sich mühelos zwischen kraftvollen und zarten Tönen und spiegelte eindrucksvoll die Vielschichtigkeit von Cio-Cio-Sans Charakter wider. Ihre stilsichere Gesangsleistung bestimmte die anspruchsvolle Partie auf höchst emotionale Weise, und ihre tiefgehende Verschmelzung mit der Rolle spiegelte sich in ihrer eindrucksvollen Bühnenpräsenz wider. Technisch perfekt konnte sie ihre Rolle, die sie spürbar durchlebte, völlig frei gestalten. Gerade in der Höhe setzte sie derart intensive Glanzpunkte und zeigte, dass es neben den aktuell gehypten Stars in diesem Fach, weitaus bessere Alternativen gibt! Bereits ihr Eingangs-Arioso wurde am Ende von einem interpolierten hohen Des gekrönt, für die der fabelhafte Dirigent ihr alle Freiheit gab, das sie am Ende noch mit einem herrlichen Descrescendo abphrasierte. Der äußerst aufmerksame Dirigent Yuri Yakovenko wusste, welchen stimmlichen Schatz er da auf der Bühne begleitete und dies war faszinierend zu verfolgen. Yulia Piskun nutzte jede Gelegenheit, in der hohen Lage beeindruckende Fermaten zu zelebrieren, was in dieser Form höchst selten zu erleben ist und von Yakovenko bestens unterstützt wurde. Ihre Rollenidentifikation erfuhr ihren Höhepunkt bei dem Verzicht auf ihr Kind. Mit stockender Stimme und echten Tränen verlor die sonst so beherrschte Cio-Cio-San ihre Kontrolle, um sich sodann in ihrem Finale zu hochdramatischer Größe emporzusingen. Ein erschütterndes Ereignis! Oleksii Srebnytskyi brillierte an ihrer Seite als Lieutenant Pinkerton mit großer Überzeugungskraft und stimmlicher Brillanz. Darstellerisch sehr engagiert, mit sprechender Mimik überzeugte er als Filou mit trumpeskem Auftreten und leiser Selbstironie. Seine Wiederkehr im dritten Akt zeigte ihn mit schwerer Gewissenslast, was von ihm glaubwürdig gestaltet wurde. Sein schmelzreicher Tenor fühlte sich hörbar wohl in den Kantilenen, die er mit großer Musikalität, dynamisch abgestuft und emotionaler Emphase vortrug.

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Auch er war eine fabelhafte Besetzung. Viktoriia Zhytkova, in der Rolle der Suzuki, zeigte ihren dramatischen Mezzosopran, der dynamisch und nuanciert bestens mit ihrer Partnerin harmonierte. Ihre emotionale Darstellung verlieh der Suzuki viel Charakter und intensive Bühnenpräsenz. Geradezu sensationell war die Begegnung mit Vlodomyr Kozlov als außergewöhnlicher Sharpless. Zu erleben war ein stimmstarker Bariton mit raumgreifender Stimme und dramatischen Kern. Eine Baritonstimme in dieser Qualität ist höchst selten geworden und gemahnte an große Sänger der Vergangenheit. Mit starkem Charakter und seiner fulminanten Stimme zog er die Aufmerksamkeit jederzeit auf sich. Sein kerniger und äußerst volltönender Gesang würde auf den größten Bühnen bestehen können. Zu Recht erhielt er vom begeisterten Publikum lautstarken Zuspruch. Die Opernhäuser sollten sich diese Ausnahmestimme sichern! Mykyta Marynchak, der an diesem Abend als kaiserlicher Kommissar und Yamadori auftrat, gefiel mit seinem noblen Gesang. Sergiy Ledenov, in der Rolle des Goro, überzeugte mit darstellerischer List und gut abgestimmtem Gesang. Als Zio Bonzo hatte Serhii Zamytskyi mit seiner wuchtigen Stimme und seiner dominanten Gestik einen imponierenden Auftritt. Als Kate Pinkerton gelang es Anna Danich, ihre kleine, wichtige Rolle mit szenischer Präsenz und viel Stimmklang aufzuwerten.

Es war ein besonderes Extra an diesem Abend auch Dirigent Yurii Yakovenko bei seiner Orchesterleitung zu beobachten. Mit höchster Konzentration und vorbildlicher Aufmerksamkeit war er der Motor, der diesen Abend so unvergleichlich nach vorne trug. Seine überaus aufmerksame Begleitung ließ das fabelhaft spielende Orchester bewegend musizieren. Dessen Sonorität, Farbgebung und Dynamik wirkten perfekt aufeinander abgestimmt. Die Konzertmeisterin gestaltete ihre Soli mit Hingabe und auch Oboe sowie Flöte setzten deutliche Akzente. Sehr animiert in Darstellung und Gesang war der Chor zu vernehmen, der homogen und intonationssicher sang.

Die Ukrainian National Opera aus Kharkiv zeigte in Wiesbaden ihre außergewöhnlichen Qualitäten, und diese Aufführung begeisterte das Publikum nachhaltig. Der Abend ließ auch darüber schmerzlich nachdenken, dass es in Deutschland leider inzwischen viel zu wenige solcher visuell ansprechenden und ästhetischen Opernvorstellungen gibt. Hier standen das Werk, die Musik und vor allem die Sänger im Mittelpunkt. Wenn diese ihren Partien so gut gewachsen sind, wie in dieser Vorstellung zu erleben war, und die Bühne sie unterstützt, entsteht wahrer Opernzauber. Das zeigte sich in den stehenden Ovationen des begeisterten Publikums, das das Ensemble lautstark feierte. Ein Wiedersehen mit dieser Operntruppe wäre äußerst erfreulich und würde einem interessierten Publikum nicht nur musikalische, sondern auch verständliche und ästhetische Zugänge zu den Meisterwerken der Oper bieten. Auf dieser Basis lässt sich leichter ein Publikum gewinnen, als es durch szenischen Irrsinn zu verschrecken.

Dirk Schauß, 29. Oktober 2023


Giacomo Puccini: Madama Butterfly

Gastspiel der Ukrainian National Opera Kharkiv
Kurhaus Wiesbaden am 26. Oktober 2023