Berlin: „Die schweigsame Frau“, Richard Strauss

Akustischer Volltreffer

© Bernd Uhlig

Brummeliger Alter will seinen jungen Verwandten enterben, indem er eine junge, tugendsame und zurückhaltende Frau ehelicht, die allerdings seit langem ohne sein Wissen mit dem Verlierer liiert ist. Nach der Hochzeit entpuppt sich die Ehegattin als das Gegenteil von dem, was sich ihr Ehemann erhofft hat, so dass dieser froh ist, wenn er sie an den Verwandten los wird. Wird der Opernfreund nach dem Titel dieser Oper gefragt, wird er zu 90 Prozent mit „Donizetti: Don Pasquale“ antworten, nur eine Minderheit käme auf Richard StraussDie schweigsame Frau, was viele Musikologen angesichts der unbestrittenen Hochwertigkeit sowohl von Libretto wie Musik darauf zurückführen, dass die 1935 in Dresden uraufgeführte Oper im Schatten der Kulturpolitik der seit zwei Jahren an der Macht befindlichen Nationalsozialisten mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen hatte. Strauss hatte nach dem Tod seines Textdichters Hugo von Hofmannsthal nach einem möglichst ebenbürtigen Librettisten gesucht und ihn in dem jüdischen Dichter Stefan Zweig gefunden. Die Nazis wollten eine Uraufführung nur ohne den Namen Zweigs auf Plakaten und Programmheften gestatten, doch Strauss wehrte sich gegen diese Zumutung und setzte sich durch, konnte jedoch nicht verhindern, dass das Stück nach wenigen Aufführungen in Dresden abgesetzt und in den Folgejahren nicht mehr gespielt wurde. Erschwerend wirkte sich noch ein von der Gestapo abgefangener Brief an Zweig aus, in dem Strauss seine Hoffnung äußerste, die Naziherrschaft sei nur eine vorübergehende Erscheinung. An dem kümmerlichen Bühnendasein der Oper änderte auch eine sensationell besetzte und als Tondokument überlieferte Aufführung 1959 in Salzburg unter Karl Böhm mit Hans Hotter, Hilde Güden, Hermann Prey und Fritz Wunderlich nichts, noch Marek Janowskis 1976 in Dresden entstandene Aufnahme mit Theo Adam.

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Weit zurück reicht die Vorliebe von Christian Thielemann für Richard Strauss‘ Opern, und seine Arbeit an dessen Werken wurde auch und ganz besonders in Italien geschätzt. Bereits 1991 dirigierte er in Bologna ein ebenfalls zu Unrecht wenig populäres Werk, nämlich Capriccio, und zwar in italienischer Sprache, und schon damals war die Madeleine Raina Kabaivanska begeistert von dem „bravissimo giovane maestro tedesco“. Selten ein so explizites Loblied wie für die Aufnahme von Arabella aus der MET aus dem Jahre 1994 hatte jemals der Kritikerpapst Elvio Giudici in seinem zweitausend Seiten umfassenden Werk L’opera in CD e Video von 1999 gesungen. Sein Artikel endete damals mit dem Aussprechen der Hoffnung darauf, man würde in naher Zukunft aus Dresden und Berlin Bewundernswertes erwarten, was wegen bekannter Zerwürfnisse mit dem Senat aufgrund der finanziellen Bevorzugung der Staatsoper gegenüber der Deutschen Oper nur teilweise der Fall sein konnte. Aber nun stehen in Berlin an der Staatsoper alle Türen offen und warteten alle Ohren gespannt auf den Umgang des Generalmusikdirektors mit dem bisher vernachlässigten Werk seines Vorgängers am Dirigentenpult. Zwischen den frühen Triumphen in Italien und der Premiere an der Lindenoper liegen Jahrzehnte der erfolgreichen Beschäftigung mit Strauss, sogar ein Buch über den Komponisten im vergangenen Jahr, aber keine Schweigsame Frau. Allerdings trafen der Dirigent, Berlin und die Dame schon einmal zusammen: auf der Recital-CD von Thomas Quasthoff, auf der er die Arie des Sir Thomas Morus „Wie schön ist doch die Musik“ singt und Thielemann das Orchester der Deutschen Oper dirigiert.

Der Premierenabend endete mit dem eigentlich voraussehbaren Triumph für den Dirigenten und seine Staatskapelle wegen der raffinierten Eleganz des Konversationsstils, der reichen Farbskala, der Sensibilität, mit der Christian Thielemann die vielfältigen Gefühlsregungen der Figuren im Orchester hörbar machte und mit der er die Sänger nicht nur zu begleiten, sondern zu animieren wusste. Exaltiertheit wie Exaktheit fügen sich ebenso glücklich zueinander wie Transparenz und Opulenz.

© Bernd Uhlig

Leider entsprach die Optik nicht den hohen Ansprüchen, die die Musik an sie hätte stellen dürfen. Regisseur Jan Philipp Gloger hatte seine Inszenierung unter die Motti Einsamkeit und Wohnungsknappheit gestellt und Bühnenbildner Ben Baur Sir Morosus in eine angeblich herrschaftliche Berliner Altbauwohnung unserer Zeit versetzt. Zu dem Thema gab es allerlei Parolen auf dem Zwischenvorhang, die nicht weiter störten, wohl aber tat dies die relative Ärmlichkeit der Behausung, da hätte sich für den Bühnenbildner ein Blick in eine der den Krieg überlebt habenden Wohnungen am Kurfürstendamm oder dessen Nebenstraßen als nützlich und aufklärend erwiesen. Aber auch das Verbleiben in der von Zweig vorgesehenen Zeit hätte mit einer Alt-Londoner Wohnung voller Erinnerungsstücke aus des Seehelden aktiver Zeit für weit mehr Atmosphäre gesorgt als die sparsam möblierte, langweilige Null-acht-fünfzehn-Behausung. So war das Stück zwar nicht nach Art des Regietheaters entstellt, wohl aber eines seiner Reize beraubt worden. Das Schlussbild hingegen, das Sir Morosus am Esstisch inmitten einer bunten Gesellschaft zeigt, wirkt allzu wohlfeil nach dem Motto Friede, Freude, Eierkuchen. Das kurze Orchester-Intermezzo im zweiten Akt wirkte noch intensiver, noch eindringlicher, noch zauberischer als die bebilderten Teile und stellt diese als nicht das Opernerlebnis befördernd bloß.

Außer der Aminta von Brenda Rae waren alle Partien Rollendebüts für die Sänger der Premiere. Peter Rose gab einen bei aller Raubeinigkeit anrührenden Sir Morosus mit unangefochtenem, unermüdlichem Einsatz seiner Bassstimme. Iris Vermillion bewies schauspielerische wie sängerische Qualitäten für die Haushälterin, die selbst gern Hausherrin geworden wäre. Strahlende Spitzentöne schleuderte der Tenor Syanbonga Maqungo als Henry Morosus ins Publikum, während alles darunter recht mulmig klang. Brenda Rae hatte Sopransüße wie Kratzbürstigkeit in ihrer Stimme und dominierte die Bühne darstellerisch. Aus dem Opernstudio waren Serafina Starke als Isotta, Rebecka Wallroth als Carlotta, Dionysios Avgerinos als Morbio und Manuel Winckhier als Vanuzzi mit Eifer und Können bei der Sache. Einen sehr schön timbrierten Bariton und ein elegantes Spiel setzte Samuel Hasselhorn für den Barbier, der hier Physiotherapeut ist, ein.

© Bernd Uhlig

„Die Oper ist ein Volltreffer, wenn auch vielleicht erst im 21. Jahrhundert“, hatte Richard Strauss geahnt und hat nun dank des Einsatzes von Christian Thielemann für das Werk zumindest, was die akustische Seite betrifft, endlich Recht bekommen.

Ingrid Wanja, 20. Juli 2025


Die schweigsame Frau
Richard Strauss und Stefan Zweig

Premiere am 19. Juli 2025

Staatsoper Berlin

Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin