Darmstadt: „La Traviata“

Mit Aspekten eines Ausstattungsstücks

Besuchte Aufführung: 8. 3. 2014 (Premiere: 7. 12. 2013)

Erinnerung einer Kurtisane

Wirft man einen Blick auf das Programm der verschiedenen Opernhäuser sowohl des Inlands als auch des Auslands drängt sich einem der Eindruck auf, dass die „Traviata“ neben dem „Otello“ das derzeit meistgespielte Werk Verdis ist. Zu den zahlreichen Häusern, die diese Oper in der aktuellen Spielzeit neu herausgebracht haben, gehört auch das Staatstheater Darmstadt, dessen Hausherr John Dew persönlich am Regiepult Platz genommen hatte.

Violetta Valery und ihr Double

Er ließ das Stück ohne Pause mit einer Spieldauer von ca zwei Stunden durchspielen, was sich auf den dramatischen Fluss des Geschehens recht positiv auswirkte. Dew hat etliche gewohnte Striche aufgemacht, aber auch einige Sachen weggelassen. So fiel beispielsweise die Karnevalsmusik im dritten Akt dem Rotstift zum Oper. Das haben vor Dew schon andere Regisseure getan. Auf diese Einlage kann man tatsächlich verzichten. Gelungen war der Einfall, die Handlung als Erinnerung der in ihrer einfachen Pariser Dachmansarde dem Tod entgegensehenden Violetta ablaufen zu lassen. Das an der Wand hängende überdimensionale Bild, das die Protagonistin in ihrer besten Zeit als Kurtisane zeigt und das sie am Ende dem frisch gekürten Soldaten Alfredo vermacht, ist der Auslöser für ihren Weg zurück in die Vergangenheit, wobei Dew die Person der Traviata in überzeugender Art und Weise in eine Sängerin und eine Schauspielerin aufspaltet. Letztere beobachtet im weißen Nachthemd die Handlung, die mit einem etwas surreal anmutenden Treffen von Violetta und Alfredo im dunklen Raum ihren Anfang nimmt, über zwei Akte hinweg von ihrem erhöht liegenden Sterbezimmer aus. Erst im dritten Akt tritt die Sängerin an die Stelle der Schauspielerin. Die Gegenwart hat die sterbende Kurtisane wieder eingeholt.

Violetta Valery (Double), Violetta, Oleksandr Prytolyuk (Germont)

Im Übrigen bewegte sich Dews Deutung indes stark in traditionellen Bahnen. Zwar hat er den Zigeunerinnenchor im zweiten Akt kurzerhand in eine vergnügliche Variéteeinlage umgedeutet, aber eine Schwalbe macht ja bekanntlich noch keinen Sommer. Dew degradiert Verdis Oper größtenteils zum reinen Ausstattungsstück, woran auch der manchmal recht kammerspielartige Charakter seiner Personenführung nichts zu ändern vermag. Er lässt das Ganze in einem Fin- de-siècle-Ambiente spielen. Dementsprechend fast überbetont pompös muten die von José-Manuel Váquez geschaffenen Kostüme insbesondere der Damen an, die einer stringenten Führung des Chores wohl etwas im Wege standen. Hier wäre weniger mehr gewesen. Und die bieder wirkende Landschaftsidylle impressionistischer Prägung mit See und Wiesen, die im zweiten Akt den Hintergrund von Traviatas Landhaus dominiert, ist ein rechter Blickfänger, der etwas von den Personen ablenkt. Da war im Schlussakt der Paris zeigende Hintergrundprospekt schon stimmiger. Wenn dieser und das Naturbild des zweiten Aktes bei Violettas Tod gleichsam ineinanderfließen, wird der Spagat zwischen den diametral entgegengesetzten Lebenswelten Violettas als Prostituierte und als Landfrau noch einmal recht sinnfällig ausgedrückt. Obwohl Dews Inszenierung schon einige durchaus ansprechende Aspekte aufwies, klebte er insgesamt doch zu sehr am Libretto und verweigerte sich einer tiefer schürfenden Aktualisierung des Stoffes.

Eine solide Leistung ist Anna Skryleva am Pult zu bescheinigen. Sie hatte das beherzt aufspielende Staatsorchester Darmstadt gut im Griff und erzeugte zusammen mit den Musikern einen ausgewogenen, differenzierten Klangteppich, aus dem sich insbesondere die weich und emotional intonierenden Holzbläser hervortaten. Auf der anderen Seite drehte sie insbesondere die markanten Blechbläser manchmal auch ziemlich tüchtig auf. Indes nahm sie auf die Sänger immer die gebotene Rücksicht.

Anthoula Papadakis (Violetta-Double), Violetta

Deren Leistungen bewegten sich auf hohem Niveau. Allen voran glänzte in der Titelpartie Adréana Kraschewski. Ihre Traviata zeichnete sich durch einen hervorragenden Stimmsitz, einfühlsamen Linienführung, hohe Emotionalität und ein imposantes „Sempre libera“ mit sicheren Spitzentönen aus. In Anthoula Papadakis, die auch für die gelungene Choreografie verantwortlich zeigte, stand ihr ein eindrucksvoll agierendes stummes Alter Ego zur Seite. Roman Payer, den man noch aus Coburg in bester Erinnerung hat, hatte die Partie des Alfredo von Arturo Martin übernommen und vermochte dann auch in jeder Beziehung zu überzeugen. Mit seinem hervorragend italienisch focussierten, kräftigen und ausrucksstarken Tenor zog er jede Facette seiner dankbaren Rolle und überzeugte auch schauspielerisch. Ein noch recht jugendlicher Germont war Oleksandr Prytolyuk. Autoritär und rigide auftretend entsprach er seinem Part trefflich und vermochte mit gut sitzendem, substanzreichem Bariton auch gesanglich zu gefallen. Von dem sonor und klangschön singenden Dr. Grenvil Thomas Mehnerts hätte man gerne mehr gehört. Einen bestens verankerten Mezzosopran brachte Anja Bildstein für die Flora Bervoix mit. Die kleine Partie der Annina stellte für die mit einer profunden Altstimme aufwartenden Elisabeth Hornung kein Problem dar. Vokal ansprechend präsentierten sich Kyung-Il Ko und Werner Volker Meyer in den Rollen von Baron Douphol und Marquise d’ Obigny. Überhaupt nicht im Körper und ausgesprochen flach sang Lasse Penttinen den Gaston. Jaroslaw Kwasniewski (Giuseppe), Stanislav Kirov (Diener) und Malte Godglück (Kommissionär) rundeten das homogene Ensemble ab. Auch mit dem von Markus Baisch trefflich einstudierten Chor konnte man voll zufrieden sein.

Fazit: In szenischer Hinsicht kann die Aufführung nur konventionell eingestellten Gemütern empfohlen werden. Spannendes modernes Musiktheater stellt sie nicht dar. In gesanglicher Hinsicht hat sich die Fahrt nach Darmstadt aber wieder einmal voll gelohnt.

Ludwig Steinbach, 8. 3. 2014

Die Bilder stammen von Barbara Aumüller. Sie zeigen als Violetta die Sängerin der Premiere, Liana Aleksanyan. Weitere Bilder weiter unten bei der Premierenkritik.