Essen: „Die Liebe zu den drei Orangen“, Sergej Prokofjew

Premiere am Samstag, den 21. November 2015

Lieber Opernfreund-Freund,

oft werden komische Opern heutzutage mit Slapstick und derbem Witz überzogen, weil man offensichtlich denkt, dies sei der Humor der heutigen Zeit, man müsse es so zeigen, um noch lustig zu sein. Dieser Versuchung erliegt Laurent Pelly nicht, dessen Inszenierung von Prokofjews "Die Liebe zu den drei Orangen" – eine Übernahme von der Nationalen Oper Amsterdam, wo die Produktion schon in der Spielzeit 2005 zu sehen war – am gestrigen Samstag im Aalto-Theater Premiere hatte. Der französische Regisseur beweist Gespür für feinen Witz und will eher unterhalten als schenkelklopfend komisch sein. Und das gelingt ihm ganz vorzüglich.

Das von Astrid Van Den Akker in Essen umgesetzte Konzept – Pelly arbeitet derzeit hauptsächlich an einer szenischen Umsetzung von Offenbachs "Le Roi Carotte" in Lyon und war nur sporadisch an der Ruhr – siedelt die Handlung der Märchenoper in einem Kartenspiel an. Spielkarten bilden Kulisse und Anregung für die phantasievollen und farbenreichen Kostüme, für die ebenfalls der Regisseur verantwortlich zeichnet. Szenerie wie Garderobe muten bisweilen beinahe dalíesk an – genial ist beispielsweise das Kartenspiel zwischen Zauberer und Hexe umgesetzt – und betonen den surrealen Aspekt des Werkes, ohne zu übertreiben. vernachlässigt werden die durchaus vorhandenen gesellschaftskritischen Zwischentöne der Oper.

Erzählt wird im Wesentlichen folgende, auf Carlo Gozzi zurückgehende Geschichte, von dem auch die Vorlage zu Puccinis "Turandot" stammt: König Treff möchte seinen Sohn von der Melancholie befreien und engagiert zu diesem Zweck den Spaßmacher Truffaldino. Doch des Königs Nichte neidet dem Prinzen die Thronfolge und will zusammen mit dem intriganten Kanzler die Heilung verhindern. Unterstützung erhalten die beiden von der Hexe Fata Morgana, die im Kartenspiel gegen den Zauberer Tschelio, der den König schützt, gewonnen hat. Ausgerechnet diese Hexe aber bringt den Prinzen zum Lachen und verflucht ihn aus Rache zur "Liebe zu den drei Orangen", die er fortan zusammen mit Truffaldino sucht. Die beiden stehlen aus der Küche des Schlosses von Kreonta die drei Orangen, aus denen kurz darauf drei Prinzessinnen entsteigen. Der Prinz verliebt sich in Ninetta und führt sie nach einigen Wirrungen zum Altar.

Der Bilderrausch im Bühnenbild von Chantal Thomas und im stimmungsvollen Licht von Joel Adam weiß zu begeistern, mag an mancher Stelle auch das letzte Fünkchen Esprit vermisst werden. Unterstützt von einem glänzend disponierten Tänzerteam haben alle Protagonisten inkl. des Chores ausgefeilte Choreographien zu zeigen, die von Laura Scozzi stammen und von Nico Weggemans einstudiert wurden, die Bühnentechnik des Aalto-Theaters ist permanent im Einsatz. So entsteht ein durchaus familientauglicher Opernspaß, der auch künstlerisch zu überzeugen weiß.

Alexej Sayapin verfügt über einen weichen und lyrischen Tenor, der gut zum hypochondrischen Prinzen passt, doch tremoliert in der Höhe bisweilen etwas stark. Dadurch geht der royalen Figur ein wenig der Glanz verloren. Er verfügt über ein ausgezeichnetes Gespür für komödiantisches Timing und teilt diese Eigenschaft mit Albrecht Kludszuweit, der als sein Gefährte Truffaldino auf ganzer Linie überzeugt. Tijl Faveyts legt den König ebenso larmoyant an wie den Prinzen und zeigt eine tolle Facette seines eindrucksvollen Basses. Heiko Trinsinger erweist sich ein weiteres Mal als regelrechte Bank in seinem Fach und begeistert als intriganter Kanzler Leander. Seine Komplizin Clarisse bleibt trotz des bemühten Spiels von An De Ridder stimmlich vergleichsweise blass, die Handlangerin Smeraldina erhält bei Leonie Van Rheden eindrucksvoll Profil.

Ebenso nachhaltigen Eindruck hinterlässt Martijn Cornet, der als schnippisch daher kommender Pantalon aufhorchen lässt, die wunderbar groteske Köchin des kasachischen Bassbaritons Baurzhan Anderzhanov tritt leider nur in einer Szene auf. Sogar unmittelbar nach ihrem Auftritt ereilt die Orangenmädchen Nicoletta und Linetta, von Christina Heckelöder und Marie-Helen Joel schön interpretiert, der Bühnentod. Da haben die Hexe und der Zauberer mehr zu singen – und das tun sie ganz wunderbar.

Teiya Kasahara im schrillen Outfitbeweist auch stimmlich Mut zur Hässlichkeit, kiekst und schreit und ist eine tolle Fata Morgana. Der Niederländischer Bart Driessen gibt bedrohlich deren Gegenspieler Tschelio und zeigt eindrucksvoll seinen farbenreichen Bass. Regelrecht begeistert war ich von Christina Clark in der Rolle der Ninetta, die mit strahlendem Sopran und wie aus Seide gesponnenen Tönen mein glanzvoller Star des Abends war.

Der Chor ist bestens aufgelegt, singt, tanzt und rennt, wie er soll, und zeigt so – von Patrick Jaskolka einstudiert – eine rundum tolle Leistung, stimmlich wie darstellerisch. Weniger zufrieden bin ich mit dem bisweilen recht forschen Dirigat von Yannis Pouspourikas. Er zeigt eindrucksvoll die Schroffheit und die vorhandenen Kanten in der interessanten Partitur, übertönt dabei aber nicht selten die Sänger. Ruhige Passagen sind da wesentlich stimmiger umgesetzt.

Nach zweieinhalb Stunden feiert das Premierenpublikum im gut besuchten, aber bei weitem nicht ausverkauften Aalto-Theater Sänger, Musiker, Tänzer und Regie – und das zu recht. Herausgekommen ist ein bunter, unterhaltsamer Opernabend mit feinem Witz – und mehr muss eine Märchenoper auch nicht sein.

Ihr Jochen Rüth aus Köln / 22.11.2015

Produktionsbilder Aalto Thilo Beu

P.S.

Bitte lesen Sie auch die Kritik von Christoph Zimmermann

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