Hildesheim: „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“

Premiere am 23. September 2017

Geglückter Einstand

Nicht mit einer populären Oper hat der neue GMD des Theaters für Niedersachsen Florian Ziemen seine erste Spielzeit eröffnet, sondern mit der immer noch hochaktuellen Geschichte von Bertolt Brecht und Kurt Weill mit seiner eigenwilligen, teilweise jazzigen Musik und den bekannten Songs „Oh Moon of Alabama“ oder „Denn wie man sich bettet, so liegt man“ – ein mutiger, aber geglückter Einstand.

Das flüchtige Ganoventrio Leokadja Begbick, der Prokurist Fatty und Dreieinigkeitsmoses gründen in einsamer Gegend eine Stadt, die sie Mahagonny („Netzestadt“) nennen; in diesem Netz wollen sie Goldgräber und Glückssucher fangen, die ihr Geld ausgeben sollen. Die Stadt blüht auf und zieht neben Jenny und sechs weiteren leichten Mädchen auch vier Holzfäller an: Jim Mahoney, Jakob Schmidt, Alaskawolfjoe und Sparbüchsenbill sind nach sieben Jahren Alaska auf der Suche nach Vergnügen. Es hat sich herumgesprochen, dass hier in Mahagonny aber auch alles für Geld zu haben ist. Eine Zeit lang geht das gut, doch dann bleiben die Gäste weg. Als die Vernichtung durch einen Taifun droht, richten sich alle nach Jims neuer Losung „Du darfst! – alles ist erlaubt“. Doch der Sturm verschont die Stadt, die nun erst so richtig aufblüht: Fressen, Lieben, Saufen und Prügeln. Jim setzt sein letztes Geld auf den Sieg von Joe im Boxkampf gegen Dreieinigkeitsmoses, der jedoch für Joe tödlich endet; außerdem lädt Jim alle Männer zu einem Saufgelage ein, das er letztlich nicht bezahlen kann – das schwerste Verbrechen in Mahagonny. Vor Gericht, dem die Begbick vorsitzt, kann sich der Mörder Tobby Higgins durch Bestechung freikaufen, Jim dagegen wird wegen Zechprellerei zum Tode verurteilt und gehängt. Das zügellose Leben in der Stadt steigert sich immer mehr, bis es selbst Gottvater, gespielt von Dreieinigkeitsmoses, zu bunt wird. Er will die Bewohner in die Hölle schicken, doch sie weigern sich ganz einfach. Brennend versinkt Mahagonny in Schutt und Asche.

Uwe Tobias Hieronimi/Neele Kramer/Christoph Waltle

Diese „bitterböse Analyse der Wirklichkeit des Kapitalismus“ (Ulrich Schreiber) von so bedrückender Aktualität hat in Hildesheim der 84-jährige Hans Hollmann neu inszeniert. Dazu hatte die Ausstatterin Romina Kaap eine überdimensionale Kommode erstellt, vor und neben der sich das Geschehen meist abspielte. Darüber schwebte ein Bilderrahmen mit einer weißen Totenmaske. Hier oben gab es dann zum Finale ein paar kleine Flammen – ein bisschen dürftig für den Untergang einer ganzen Stadt. Ihre ganze überbordende Fantasie hatte die Ausstatterin allerdings in grelle, knallbunte Kostüme gesteckt, in denen sich das überaus spielfreudige Ensemble und die Choristen auf der sonst eher leeren Bühne tummelte. Das war überhaupt das Auffälligste dieser Inszenierung, wie lebendig alle agierten. Der österreichische Altmeister der Regie hat hier erneut bewiesen, wie ausgezeichnet er Darsteller zu bewegen weiß.

Dabei gelang es allen, bei der lebendigen Spielweise auch noch prächtig zu singen und die hohen Anforderungen, die der Komponist an sie stellt, mit Sprechgesang, aber auch mit ausladenden Kantilenen gut zu erfüllen. Einziger Wermutstropfen in diesem Zusammenhang war die schlechte Textverständlichkeit, was wohl auch der dicken, bläserlastigen Instrumentierung geschuldet war.

Da war zunächst das Gaunertrio, angeführt von Leokadja Begbick, die mit

Neele Kramer erstklassig besetzt war; die junge Sängerin versah die „Chefin“ der Truppe mit einem gehörigen Schuss Sex-Appeal und ihrem in allen Lagen gut ansprechenden Mezzosopran. Ihr zur Seite profilierten sich tenoral sicher Christoph Waltle als Fatty, der Prokurist, und der stimmkräftige Uwe Tobias Hieronimi als skurriler Dreieinigkeitsmoses. Meike Hartmann punktete als Jenny Hill mit dem bekanntesten Song des Werkes, dem sehnsuchtsvollen „Oh Moon of Alabama“, den sechs Chordamen ebenso innig begleiteten. Das sentimentale Liebesduett präsentierte sie ausgesprochen schönstimmig gemeinsam mit Hans-Jürgen Schöpflin (Jim Mahoney), der im Übrigen mit kraftvollem Tenor beeindruckte.

Neele Kramer/Aljoscha Lennert/Meike Hartmann/Hans-Jürgen Schöpflin/Levente György/Peter Kubik

Seine Holzfäller-Kumpel waren mit polterndem Bass Levente György (Sparbüchsenbill), mit gepflegtem Bariton Peter Kubik (Alaskawolfjoe) und mit vielseitigem Tenor Aljoscha Lennert (Jakob Schmidt), der auch den Mörder Tobby Higgins gab.

Schließlich waren ebenfalls mit auffallender Spielfreude die Mitglieder des Opernchors, des Extra- und Jugendchors bei der Sache, ohne dass die Klangausgewogenheit der unterschiedlichen Chöre darunter litt (Einstudierung: Achim Falkenhausen). Den Ausdrucksreichtum dieser doch sehr speziellen Oper brachte der neue musikalische Leiter des TfN Florian Ziemen mit sicherer Hand zur Geltung. Ob es die technisch nicht einfache Fuge beim Nahen des Taifuns, die sechs konzertierenden Blasinstrumente beim Liebesduett oder die ausladenden Chorszenen waren, er sorgte am Pult des an diesem Abend sehr gut disponierten Orchesters mit präziser Zeichengebung und nie nachlassender Energie dafür, dass sich der typische Weill’sche Sound in ansprechender Weise entfalten konnte.

Starker, begeisterter Beifall des Publikums belohnte alle Mitwirkenden.

Bilder: © Isabel Winarsch

Gerhard Eckels 29.10.2017

Weitere Vorstellungen: 3.,10.11.+11.12.2017 + 19.11.2017 (in Wolfenbüttel)