Besuchte Aufführung am 28.10.18 (Premiere am 29.09.18)
Großes Kino mit Puccini
"La fanciulla del West" gehört nicht zu den beliebtesten Opern Giacomo Puccinis, vielleicht ist die Musik die ambitionierteste des Meisters, fordert sie doch ein extrem gutes Orchester, die vielen Partien machen die Besetzung für die kleinen Häuser mit ihren geschrumpften Ensembles nicht einfach und die drei Hauptpartien sind schon sehr anspruchsvoll, vor allem die Titelrolle. Die Handlung um Goldgräber, Falschspieler und Banditen mit dem großen cinematografischen Happy End sind effektvoll, aber nicht ganz unanfechtbar. Trotzdem gilt gerade diese Partitur für Liebhaber zum besten Puccinis, einer Meinung, der ich mich gerne anschließe. Erfreulicherweise taucht die "Fanciulla" immer wieder auf den Spielplänen der großen Bühnen auf und ist dann auch meistens eine geliebte Aufgabe für die musikalische Leitung des Hauses, wie jetzt in Leipzig. Der GMD Ulf Schirmer mit dem Gewandhausorchester bleibt der Musik auch nichts schuldig, weder die großen melodischen Bögen, noch die feineren Valeurs, die an den Impressionismus Debussys heranreichen. Emphase, wo sie not tut, doch ohne die Sänger in Bedrängnis zu bringen, was bei den großen Orchesterwogen gerne mal passiert. Die Chöre klingen tadellos.
Auch die Besetzung kann sich hören lassen: eigentlich war Anja Kampe für die Titelpartie vorgesehen, doch manchmal macht einem die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung. Doch der "Ersatz" ist einfach ein echter Glücksfall, denn Meagan Miller ist eine absolute Verkörperung eines "All-American-Girl" im positiven Sinne. Es gelingt ihr in hervorragender Weise die prekäre Situation des Goldgräbermädels Minnie zwischen religiöser Bigotterie und romantisch, ja fast kitschigem Glücks-und Liebesanspruch stets sympathisch auf die Bühne zu stellen, dazu mit Aplomb die glutvollen Höhenausbrüche gleichsam ohne jegliche Anstrengung auf Linie zu singen, eine Paraderolle für die Künstlerin, besser kann man das nicht machen. Gaston Rivero ist mit schmelzendem Tenor der geläuterte Bandit Dick Johnson. Sheriff Jack Rance ist in diesem Fall der Bösewicht, Simon Neal gelingt es mit virilem Bariton eine nicht nur schwarze Charakterstudie zu geben. Die drei Sänger sind schon eine kleine Traumbesetzung für die drei Hauptpartien.
Doch auch den anderen Sängern sei durchweg Lob gezollt, jeder hat da seinen "kleinen" großen Moment und ist wichtig als Folie für die Hauptcharaktere: stellvertretend seien Jonathan Michie als Sonora, Patrick Vogel als Nick und Franz Xaver Schlecht als Sid genannt, aber das ganze Männerensemble, einschließlich Christiane Döckers Wowkle, hier eine Mexikanerin sind auf dem hohen Niveau. Eine kleine Einschränkung gerade bei Sejong Chang als Jake Wallace, der das wichtige, ich nenne es hier so, Heimweh-Motiv einführt, der Bassbariton klingt schön, singt aber übersentimental knödelig. Auch die Komparserie ist auffallend intensiv in das Geschehen integriert.
Cusch Jung hat bis jetzt vor allem "Unterhaltungstheater" an der Musikalischen Komödie inszeniert und führt das erste Mal Regie am großen Haus der Oper Leipzig mit Karin Fritz als Ausstatterin. Seiner Inszenierung gelingt der Spagat den historischen Kontext ins Heute zu ziehen, ohne die Romantik, die dem Werk inneliegt, zu beschädigen. Selten, in den Massenszenen, bekommt das Bühnengeschehen einen Hauch "Musical". Das Goldgräbermilieu ist nicht der alte "Goldene Westen", wie in Chaplins "Goldrausch, sondern findet sich in einer industrialisierten Bergbaugesellschaft wieder, die Kostüme sind dabei zeitgemäß zeitlos. Schnell werden Nebenthemen, wie die Frauenlosigkeit der Arbeiter gestreift, das Wichtige ist die Personenregie, und die ist Jung sehr dicht und spannend gelungen. Gerade der zweite Akt mit seinen aufkochenden Leidenschaften und drastischen Szenen gerät glaubhaft, mitreißend und ohne jegliche Peinlichkeit. Das ernste Stück steht dem Regisseur gut.
Für alle Opern-, Puccini- und Musiktheaterliebhaber sei diese Vorstellung wärmstens ans Herz gelegt, Spannung pur mit toller Musik !
Martin Freitag 18.11.2018