Unter 2-G-Bedingungen lief gestern eine temporeiche Neuinszenierung des modernen Klassikers über die Bühne und bescherte drei Stunden reinste Freude. Es mag auch daran liegen, dass die 70 Jahre Sperrzeit noch nicht vorbei sind, dass sich noch keiner an aufgepfropfte „eigene Interpretationen“ gewagt hat. So ist das unverfälschte, flotte Musical auf der Basis von Bernard Shaws „Pygmalion“ mit Texten von Alan Jay Lerner und zündender Musik von Frederick Loewe in deutscher Übersetzung von Robert Gilbert erhalten geblieben. Mit Erik Petersen, einem gebürtigen Magdeburger, hatte man sich eines erfahrenen Musical-Regisseurs versichert, der das fantasievolle Märchen mit sowohl komischen wie auch nachdenklichen Momenten liebevoll belebte, und dem es dabei gut gelang, die sozialen Unterschiede der handelnden Figuren auch durch Sprache und Kleidung deutlich werden zu lassen. Dabei unterstützte ihn Anja Lichtenegger mit dem Bühnenbild kongenial: Zwei große, leicht verschiebbare Rundbögen auf der Drehbühne, die an die Markthalle von Covent Garden erinnern, bieten viel Raum zwischen Opernhaus und Blumenmarkt sowie für räumliche Abtrennung für intimere Szenen. Passend dazu sind die vornehmen Kostüme (Kristopher Kempf) etwa aus der Jugendstil-Zeit für die gehobene Klasse, schlicht einfach und praktisch die der Marktleute; farbenfroh und mit Ikebana-Gestecken ähnelnden Hutkreationen ist der Ascot-Auftritt ausgestattet.
Tim Kramer/Undine Dreißig/Marcus Kaloff/Anna Preckeler
Die Magdeburgische Philharmonie lief vom ersten Ton an unter der anfeuernd stringenten Leitung von Justus Tennie zu Hochform auf, wusste aber auch melancholischen Momenten in allen Instrumentengruppen zu überzeugen; gerade die gelungenen Wechsel heizten das Gesamttempo immer wieder an. Als Eliza Doolittle präsentierte sich Anna Preckeler mit geschmeidiger Stimme und mit weniger „Berlinern“ als oft üblich, dafür aber herrlich vulgären Schreien; ihre Songs von dem hasserfüllten „Wart’s nur ab, Henry Higgins“ bis zu dem endlich gelungenen „Es grünt so grün“ waren mitreißend. Sie spielte die über-ehrliche Blumenverkäuferin genauso echt vom Herzen kommend wie die allmähliche Verwandlung in eine Dame der Gesellschaft, wobei sie nach und nach fast unbemerkt den harten Kern ihres Lehrers Henry Higgins „knackt“. Diesen Part übernahm Magdeburgs Schauspieldirektor Tim Kramer, der nach leichter Premierennervosität zu Beginn einen herrlich verschrobenen Wissenschaftler und Junggesellen gab, der erst zum Schluss zugibt, dass es da noch mehr im Leben gibt als reinen Erfolg. Köstlich, wenn er sich nach gelungenem Experiment mit „Ich bin’s, der das geschafft hat“ wie ein Pfau spreizt. Und das auch noch gemeinsam mit Marcus Kaloff als temperamentvollem Wettgegner Oberst Pickering, der sich bis dahin immer vermittelnd und freundlich Eliza gegenüber verhalten hatte. Nachdem Higgins Mutter (Kammersängerin Undine Dreißig) ihren ersten Schock über die Begleiterin ihres Sohnes zum Derby überwunden hat, erkennt sie den guten Kern und unterstützt Eliza auch später noch nach Kräften. Gabriele Stoppel-Bachmann als energische Mrs.Pearce, Higgins Haushälterin, kann auch nicht immer das Gebaren ihres Herrn akzeptieren.
Johannes Wollrab/Anne Preckeler
Als liebenswerter Freddy Eynsford-Hill tauchte Peter Diebschlag mit dem sehnsuchtsvollen „In der Straße wohnst du“ vor Higgins Haus auf, um seine Eliza „zufällig“ zu treffen. Einen noch sehr jugendlichen, ständig angesäuselten Alfred P. Doolittle gab Johannes Wollrab, der außer durch Gesang („Hey, heute morgen mach ich Hochzeit“) auch durch erstaunliche Beweglichkeit bei den Tanzeinlagen auffiel. Letzteres gilt auch für die vier Straßenjungen, die speziell für die Tanzszenen immer dabei waren (Jan Nicolas Bastel, Andrew Chadwick, Nils Klitsch, Rico Salathe); ein Höhepunkt war der Stepp der Vier auf den Kneipentischen – herrlich! Sabine Arthold hatte die flotten Nummern tempo- und abwechslungsreich choreographiert.
Anne Preckeler/Peter Diebschlag
Die vielen Chorsolisten als Oberschichten-Paare, Obsthändler, Dienstmädchen und Dienstboten ergänzten das spielfreudige Ensemble wunderbar; den klangvollen Chor hatte Martin Wagner einstudiert.
Das Publikum war begeistert; spontan von den Sitzen reißender, lang anhaltender Schluss-Applaus dankte allen Mitwirkenden einschließlich des Regieteams, was heute nur noch selten der Fall ist. Also, auf nach Magdeburg!
Marion Eckels, 14.11.2021
Bilder: © Nilz Böhme
Weitere Vorstellungen: 21., 30.11./11.12.2021 u.a.