Aufführung am 16.12.19 (Premiere am 7.12.)
Wirkung des Budgets
So geht es, wenn Regisseure die Möglichkeit bekommen, viel Geld in die Hand zu nehmen: Davide Livermore war in seinen Anfängen großer Bewunderung wert, weil er mit schmalen Budgets und viel Phantasie beeindruckende Produktionen auf die Bühne stellte (ich denke z.B. an „Otello“ und „Forza del destino“ in Valencia). Seine Arbeiten für die Scala machten hingegen den Eindruck, dass er nun auf „spart Menschen nicht und nicht Maschinen“ setzt – das war so bei der vorjährigen Saisoneröffnung mit „Attila“ und vorher schon mit „Don Pasquale“. Nun war ihm (ich muss schon sagen: leider) Puccinis Meisterwerk für die heurige Saisoneröffnung anvertraut worden.
Diverse unserer Leser werden vielleicht die Fernsehübertragung auf Arte gesehen und sich über „Alles dreht sich, alles bewegt sich“ gewundert haben. Ich kann bestätigen, dass es live vielleicht weniger verwirrend, aber immer noch irritierend genug gewirkt hat. Bei der Dramaturgie von „Tosca“ besteht überhaupt kein Grund, Maschinen zu aktivieren, die die Kapelle der Attavanti hinein- und hinausschieben, Cavaradossis Bild (das laut Libretto übrigens im Entstehen ist, während wir hier die fertige Darstellung sehen, wie sie ein berühmterer Meister als unser Mario gemalt hätte) hinauf- und herunterheben, sein Podium auf Rollen den Platz wechseln zu lassen. Nun ist bekannt, dass Livermore cinephil ist, doch sollte er damit die Schnittweise der Filmregisseure angewandt wollen haben, so ist das nicht geglückt. Dass wir im 2. Akt die Folterung Cavaradossis sehen, bringt überhaupt nichts – da herrscht wiederum das Misstrauen gegenüber der Phantasie des Publikums, das sich aus Sicht des Regisseurs offenbar keine Folterung hinter geschlossenen Türen vorstellen kann. Dazu die „lebenden Bilder“ über dem Geschehen zwischen Tosca und Scarpia (Video: D-WOK) und die umherhuschenden Nonnen, die den Polizeichef bedienen!
Das Bühnenbild des 3. Akts ist am ehesten passabel, auch wenn der „gestutzte“ Engelsflügel auf Castel Sant’Angelo nicht sehr beeindruckend ist (Bühnenbild: Giò Forma, Licht: Antonio Castro). Damit kommen wir zu den Kostümen (Gianluca Falaschi): Für mich gelungen bei Scarpia und seine Spitzel, im 1. Akt im rostbraunen Mantel, im 2. in einem Morgenmantel, den er während Toscas Gebet genüsslich fallen lässt – einer der wenigen wirklich überzeugenden Regieeinfälle. Cavaradossi trägt eine Art Bundhose, unvorteilhaft geschnitten mit hoher Taille. Kann man Florias eher zeitlose Kombination Rock+Bluse im 1. Akt noch akzeptieren, so ist die türkisfarbene, ärmellose Robe so unvorteilhaft für die Protagonistin, dass ich mich wundere, dass Netrebko nicht ihren Divenstatus ausgespielt und das Tragen verweigert hat.
Riccardo Chailly setzt seine Erforschung der Originalpartituren Puccinis fort. Eigentlich konnte man annehmen, dass „Tosca“ so perfekt ist, dass es nach der Uraufführung keine Eingriffe gab, doch der Tüftler Puccini mit seinem unglaublichen Gespür für Dramatik hat nach der ersten Aufführung im römischen Teatro Costanzi (heute Teatro dell’Opera di Roma) doch noch Änderungen vorgenommen. (Ganz genau konnte die Musikwissenschaft nicht herausfinden, wann es dazu gekommen ist – es könnte auch schon während der Proben erfolgt sein). Es handelt sich um folgendes:
1. Akt: Cavaradossi hat im Liebesduett fünf Takte mehr zu singen
Das Finale des Tedeums ist musikalisch leicht verändert
2. Akt:: Spolettas „Gebet“ in lateinischer Sprache ist etwas länger
Am Ende von „Vissi d’arte“ ein Takt mehr für Scarpia, einer für Tosca
Scarpias Tod und Toscas Reaktion dauern länger
3. Akt: Schluss ist um etwa 20 Sekunden länger
und nimmt das Motiv von „E lucevan le stelle“ wieder auf
Als einfacher Hörer ohne musikwissenschaftlichen Hintergrund kann ich nur sagen, dass Puccinis Kürzungen durchaus richtig waren. Das betrifft vor allem den Schluss von „Vissi d’arte“, der dem verzweifelten Gebet in der Erstfassung Wirkung nimmt, und sehr stark auch das Finale des Werks, das in der ursprünglichen Form mehr vom doch etwas billigeren Verismus etwa eines Mascagni hat. Somit ist das Unternehmen „Originalfassung“ interessant, würde sich meiner Ansicht nach aber besser für einen direkten Vergleich eignen, wie ich ihn etwa vor Jahren im Teatro La Fenice in Venedig mit Verdis „Stiffelio“ und „Oberto“ erleben konnte. Aber vielleicht wäre ein solches Unternehmen an der Scala zu kompliziert.
Als Puccini-Dirigent ist Chailly natürlich ein Spitzenmann, der aus dem Orchester des Hauses wirklich alles herausholte – Dramatik, Lyrismen, vor allem die zahllosen Farben, die Puccini seiner Komposition geschenkt hat. Der Chor unter Bruno Casoni stand in Effizienz und Wohlklang dieser Leistung nicht nach. Zwei Interpreten waren für mich ideal, nämlich Luca Salsi als Scarpia und Alfonso Antoniozzi als Mesner. Salsi war in jedem Augenblick der fiese Polizeichef, der gewohnt ist, sich die anderen, ob Männer oder Frauen, mit Gewalt untertan zu machen. Absolut überzeugend, wie er sich gegenüber Tosca in einen sexuellen Raptus hineinsteigerte, der stimmlich in jeder Phase der Situation angepasst war, mit Kraft im Tedeum, im 2. Akt dann mit scheinbarer Freundlichkeit und schließlich nicht mehr unterdrücktem wildem Begehren. Antoniozzi hingegen war der ideale Mesner, dem man seinen Hass auf die Anhänger Voltaires in jedem Moment glaubte, der Cavaradossis Aktivitäten mit verächtlichem Grinsen begleitete und sich aller Kasperliaden enthielt. Bei dieser vierten Aufführung musste Francesco Meli im letzten Moment als indisponiert absagen und wurde von seinem offiziellen Cover ersetzt, dem georgianischen Tenor Otar Jorjikia.
Angesichts eines doch unerwarteten Debüts muss man sagen, dass er sich sehr gut gehalten hat und eine Stimme hören ließ, deren Timbre vielleicht nicht sofort erinnerungswürdig ist, die aber alles besitzt, was diese Stimmgattung ausmacht, nämlich helle Farben, die auch der Melancholie dienen, und sichere Spitzentöne. Ein wenig hölzern kam er daher, aber das darf man bei einem solchen Einspringen wohl verzeihen. Anna Netrebko habe ich immer bewundert, ob noch in Salzburg mit Donna Anna und Susanna, ob mit ihrer Manon in Wien oder New York; besonders beeindruckte mich ihre Lady Macbeth in drei verschiedenen Produktionen. Tosca ist sie für mich definitiv nicht, ganz abgesehen von ihren in Interviews publizierten Zweifeln an der Figur. „Desinteressiert“ ist natürlich ein viel zu starkes Wort, aber den 1. Akt schien sie einfach hinter sich bringen zu wollen. Im 2. war sie intensiver, aber auch nicht zu vergleichen mit Price, Stella, Rysanek, um nur einige zu nennen (gemeint ist natürlich die szenische Umsetzung). Im 3. Akt berührte sie mich hingegen mit ihrer noch andauernden Verwirrung oder Bestürzung nach Scarpias Ermordung. Es war neu, dass man der Figur noch ansehen konnte, dass dieser Akt nicht spurlos an ihr vorbeigehen konnte. Musikalisch war alles n Ordnung, mit einem besonders schön gesungenen Gebet, aber die Figur in ihrer ganzen Komplexität entstand meiner Meinung nach nicht. Carlo Cigni war ein überraschend schwacher Angelotti, während Carlo Bosi mit schneidendem Tenor einen nachdrücklichen Spoletta gab. Erfreulich die Knabenstimme von Gianluigi Sartori als Hirtenknabe, rollenentsprechend Giulio Mastrototaro (Sciarrone) und Ernesto Panariello (Kerkermeister).
Ein guter Erfolg für die Protagonisten, doch Beifallsstürme sehen anders auch. Vielleicht mit ein Grund dafür, dass Netrebko ihre weiteren Dezembervorstellungen abgesagt hat.
Eva Pleus 21.12.18
Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala