Aufführung am 18.12.18 (Premiere am 7.12.)
Mit Giuseppe Verdis achter Oper setzte die Mailänder Scala die Reihe von Jugendwerken des Komponisten fort, die zu Eröffnungsehren kommen (2015/16 „Giovanna d’Arco“, in zwei Jahren soll „Macbeth“ folgen, obwohl dieses Werk in den letzten zwei Jahrzehnten in der Publikumsgunst schon beträchtlich gestiegen ist).
Musikchef Riccardo Chailly hat ein starkes Interesse einerseits an Urfassungen (nach „Fanciulla del West“ kommt in dieser Saison Puccinis „Manon Lescaut“ hier in ihrer allerersten Version heraus), andererseits an selten zu hörenden Varianten. Zwar wurde in Mailand die kritische Ausgabe von 2012 verwendet, aber es gab auch die Arie „Oh dolore! Ed io vivea“ zu hören, die Verdi für die Mailänder Erstaufführung (die Uraufführung fand ja 1846 in Venedig statt) für den populären Tenor Napoleone Moriani, genannt „il tenore della bella morte“, geschrieben hatte. Außerdem konnte man fünf von Rossini geschriebene Takte hören, die dieser 1865 als Einleitung für das Terzett Sopran-Tenor-Bariton im 3. Akt komponiert hatte. Für Chailly handelt es sich um eine Hommage Rossinis an Verdi; es gibt aber auch Quellen, die meinen, bei dieser Einleitung handle es sich schlicht um ein paar Takte, um das Terzett bei einer privaten Wiedergabe in Rossinis Heim nicht unvermittelt beginnen zu lassen. Ich wage auch zu bezweifeln, ob besagte fünf Takte einem Hörer besonders aufgefallen sind. Chailly erwies sich jedenfalls als hingebungsvoller Dirigent für diesen Verdi der „Galeerenjahre“, und das Orchester des Hauses folgte ihm mit größter Aufmerksamkeit.Ohne ungebührliche Vergleiche anstellen zu wollen: Die Leitung des Werks durch Giuseppe Sinopoli in Wien 1980 ist bei diesem Anlass nicht übertroffen worden.
Die Besetzung entsprach dem Niveau, das man sich von einer Scala-Eröffnung erwartet. In der Titelrolle glänzte Ildar Abdrazakov, der neben seiner wunderbaren Bassstimme auch über ein bei heutigen Sängern selten gewordenes Charisma verfügt. Sein Attila glänzte in sämtlichen stimmlichen Nuancen zwischen Explosion und zartem Piano, und die Figur des Hunnenkönigs erweist sich bei aller Wildheit doch als verwundbar und damit menschlicher als seine Widersacher. Sympathie und Mitleid waren am Schluss mit ihm. Odabella, die „kriegerische Jungfrau“, hat gleich bei ihrem ersten Auftritt eine Arie zu singen, die an Schwierigkeit einer Abigaille nicht nachsteht. Saioa Hernández hat sich die Rolle mit einem Vorsingen bei Chailly erobert. (Ich darf in diesem Zusammenhang auf meine mehr als positive Kritik ihrer „Gioconda“ im April in Reggio Emilia verweisen). Wir haben es mit einem dramatischem Sopran mit furchtloser Attacke zu tun, der es nie nötig hat, zu forcieren. Auch die Piani gelingen gut; vielleicht würde man sich manchmal etwas mehr Farben wünschen, die dieser bedeutenden Stimme wohl noch zuwachsen können. Mit dem Foresto hat Fabio Sartori eine seiner besten Partien gefunden, denn sein schön timbrierter Tenor schmiegt sich perfekt an die Kantilenen des jungen Verdi. Auch szenisch und vor allem mimisch zeigte er sich interessierter als bei anderen Anlässen. George Petean verlieh Ezio stimmlichen Nachdruck und ließ die Falschheit des römischen Feldherrn geschickt durchblitzen.
Seine (von Intendant Pereira groß angekündigte) Nachahmung von Piero Cappuccillis in Wien gesungenem hohen b in seiner Cabaletta hätte er lieber bleiben lassen sollen, weil ein schwächliches Krähen daraus wurde. Überzeugend sonor klangen die von Gianluca Buratto gesungenen Worte des Papstes Leone, und Francesco Pittari sang einen kräftigen Uldino, zunächst Vertrauter, dann auch er Verräter Attilas. Der Chor unter der Leitung von Bruno Casoni sang einfach glänzend.
Die Regie von Davide Livermore hatte sich für eine Mischung aus modernem und antikem Ambiente entschieden (Bühnenbild: Giò Forma, Kostüme: Gianluca Falaschi, Licht: Antonio Castro, Videos: D-Wok). Das bedeutete auf der einen Seite Szenen wie aus dem 2. Weltkrieg mit auf Frauen und Kinder schießenden Soldaten und zerbombten Häusern im Hintergrund, auf der anderen die Gründung von Aquileia unter den Resten römischer Bögen, aber auch, dass Attilas erster Auftritt in den angenommenen Weltkriegsjahren zu Pferd erfolgte. Dem Papst stand dies in dem geradezu genialen Einfall des Regisseurs, Raffaels das Aufeinandertreffen Attilas mit Leo X. darstellende Gemälde nachzubilden, eher zu. Der farbigen Wiedergabe des Gemäldes war eine schwarz-weiße Projektion dieser Szene während Attilas (Alb)-Traum vorausgegangen.
So überzeugend diese wahr, so überflüssig erschienen die Projektionen von der Ermordung des Vaters von Odabella Vater, die ein wenig belehrend erschienen, als wollte man Nichtkenner des Sujets instruieren. Etwas aus dem Ruder gelaufen erschien die Darstellung des Fests im 2. Akt, wo das Fehlen sakralen Personals weniger störte, als die Interpretation einer Orgie im Stil von Liliana Cavanis berühmtem Film „Der Nachtportier“. Vielleicht wäre die ursprünglich angedachte Idee der Zertrümmerung einer Marienstatue überzeugender ausgefallen, aber wegen des Protests des Bürgermeisters eines 600 Seelen-Orts (!) in der Nähe von Mailand, der mit einer Anzeige wegen Blasphemie drohte, wurde davon Abstand genommen. Daraus dürfen durchaus Schlüsse gezogen werden. Im Ganzen war die Regie aber positiv zu bewerten (und ihr Konzept kam jedenfalls deutlicher herüber als bei der TV-Übertragung, die wohl auch manchem unserer Leser nicht ganz geheuer erschienen ist).
Rückhaltlose Zustimmung bei dieser 4. Vorstellung und zusätzlicher „Vorhang“ für Abdrazakov.
Eva Pleus 31.12.18
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala