Premiere: 3.2.2019, besuchte Vorstellung; 1.4.2019
Eine Krake war erst kürzlich auf der Nürnberger Opernbühne zu sehen: in „Idomeneo“. Da opferte das Volk von Kreta dem Untier in einem barbarischen Akt so allerlei. Diesmal ist die Krake eine gute: denn wir befinden uns in einer Kinderoper.
Konzipiert hat sie die Dramaturgin Wiebke Hetmanek zusammen mit dem Musiker Samuel Bächli und der Regisseuse Ilara Lanzino. Die Oper heißt auch nicht einfach „Rusalka“, sondern „Rusalka oder Wie angel ich mir einen Prinzen?“ Eigentlich ist es ja der Prinz, der auf dem Steg sitzt und angelt, aber die Metapher passt schon.
Die – im übrigen schon von Anfang und dann immer stumme – Meerjungfrau neckt den Angler, hängt jeden Tag etwas Anderes an seinen Haken – zum Beispiel eine wertvolle Muschel, wofür es als Gegengabe einen silbernen Armreif gibt – und sorgt zügig dafür, dass sich der junge Mann in sie verliebt. Die Musik dazu ist von Dvořák, aber wir hören außer ein paar charakteristischen Ausschnitten aus der Opernpartitur noch ein paar Slawische Tänze – denn die Jungfrau, die, wie gesagt, niemals singt oder gar spricht, liebt es, kindgerecht-schwungvolle Choreographien von Ingo Schweiger (der auch die Krake namens Chobot pantomimisiert) zu tanzen. Daneben gibt es ein Scherzo aus der 8. Symphonie (zu dem Rusalka und der Wassermann tanzen) und ein Zitat aus dem „Siegfried“. Wenn die Hexe den Zauber an Rusalka ins Werk setzt, der sie zu einem Menschen machen soll, erklingt plötzlich Siegfrieds musikalische Visitenkarte. Ich habe zwar ebenso wenig wie die Kinder in dieser Kindervorstellung verstanden, was dieses Wagnersche Einsprengsel aus dem tiefen deutschen Wald soll, aber egal: den Kindern hat der Zauberspuk offensichtlich Spaß gemacht. Und auch das schreckliche Verzischen der Hexe im Kunstnebel und Getöse der stroboskopischen Bühnentechnik: Das gab ein Gejohle!
Die Hexe, ein „Feuerwesen“, wie der Wassermann ganz richtig bemerkt, aber ist ein Feuerwesen, eine schicke Dame. Originell: Bei Dvořák gibt es die „Fremde Fürstin“, die sich den Prinzen angeln will, in der Kinderoper ist die Konkurrentin keine Andere als die Hexe selbst, die mit ihrem feuerroten Regenschirm in der Gegend herumzaubert und einen Zaubertrank als Cocktail kredenzt. „Das ist die Falsche!“, ruft eines der Kinder, als die Dame sich den Prinzen schnappt, der partout nicht kapiert, dass er gerade die echte mit einer falschen Rusalka verwechselt. Dummer Prinz! Aber so sind sie eben, die Männer. Wäre nicht die Krake, die die Hexe und ihren Galan im Verführungsspiel zu stören weiß, wäre der Junge schon früher den Reizen der Hexe erlegen. So aber braucht es die List: erst, als die Hexe, die „spitzzüngige Zauberzicke“, im Wasser verzischt, während Rusalka sich in ihrem Element wohlfühlt, kapiert der junge Mann, mit wem er es zu tun hatte. Und anders als bei Dvořák siegt natürlich das Gute über das bzw. die Böse. Und auf der Bühne, die Emine Güner entworfen hat, gibt es etwas, was es nur noch in tschechischen Freilicht- oder in Off-Bühnen wie der Pasinger Fabrik zu sehen gibt: Anmutungen von Natur, also eine Unterwasserszenerie samt Rusalkafelsen und Wasserwellen (belichtet von
Frank Laubenheimer).
Zwischendurch gab’s, um das jugendliche Publikum am Spiel zu beteiligen, einen Crahkurs in „Etikette“. Immerhin hat der Wassermann, verkleidet als Kammerzofe, der Kleinen schon mal gezeigt, wie man, richtiger: Frau einen Rock und ein Oberteil anzuziehen hat. Jetzt fehlen nur noch die korrekten Begrüßungsformen; das ganze Auditorium darf aufstehen und sich üben: unter der Leitung des Wassermanns, der alles hat, was sich ein Kind beim Wassermann vorstellen könnte: ein Matrosenhemd, eine Seifenblasenpfeife und Schwimmflossen. Nett. Dafür steht Sebastian Häupler vom Staatstheater auf der Bühne. Die Meerjungfrau ist Aoi Nishikawa, die schicke Hexe Katrin Heles, wie der tenoral höchst erfreuliche Prinz des Michael Fischer ein Mitglied des Nürnberger Opernstudios. Francesco Greco leitete das kleine Kammerensemble, Klavier, Geige, aber auch Bassklarinette, das sich zwischendurch in ein Strandorchesterchen (Sonnenhut und -brille) verwandelt. Für die Großen gab es eine interessante Variante der Dreiecks- bzw. Vierecksgeschichte, für die Kleinen die Begegnung mit einer musikalischen Sage samt schöner Musik, die immer noch nicht zu Ende erzählt ist. Der Beifall war jedenfalls enorm.
Frank Piontek, 1.4.2019
Fotos © Pedro Malinowski