Premiere: 31.08.2019, besuchte Vorstellung: 15.09.2019
Barockdoppel wird zum kurzweiligen Hochgenuss
Lieber Opernfreund-Freund,
zwei kurze Barockopern stehen derzeit am Staatstheater Oldenburg auf dem Spielplan. Während die eine in den letzten Jahren zusehends ihren festen Platz im Standardrepertoire erkämpft, dürfte von der anderen und ihrem Schöpfer hierzulande kaum jemand gehört haben, obgleich das Sujet weithin bekannt ist. Die vergleichsweise bekannte Dido and Aeneas von Henry Purcell bekommt die unbekannte Masque Venus and Adonis von John Blow vorangestellt – und was sich das Produktionsteam um Tobias Ribitzki rund um die beiden antik-mythologischen Stoffe hat einfallen lassen, machen Sänger und Musiker unter der Leitung von Thomas Bönisch zum kurzweiligen Erlebnis mit Tiefgang.
Eine Masque ist ein höfisches Maskenspiel im England des 16. Und 17. Jahrhunderts und gilt als direkter Vorläufer der barocken Oper in England. Eine solche hat John Blow, 1649 im Osten Englands geboren, auf die Geschichte von Venus und Adonis aus Ovids Metamorphosen ersonnen und mit dem Untertitel „Masque zur Unterhaltung des Königs“ versehen. Erzählt wird die Geschichte von Venus, die ihres Geliebten Adonis überdrüssig wird, obwohl sie zusammen mit ihrem Sohn, dem frechen Cupido darüber nachdenkt, wie sie sich Adonis‘ Gunst dauerhaft sichern kann. Erst als er von einer Jagd, zu der sie ihn geschickt hat, um ihn vorübergehend loszuwerden, tödlich verwundet zurückkehrt, wird sie sich ihrer tiefen Liebe zu ihm bewusst und bleibt in Gram zurück. Auch Dido, die Gründerin von Karthago hat schon zu Beginn der Purcell-Oper Dido and Aeneas nach Vergils Aenaeis ihren Liebsten verloren, schöpft aber, ermuntert von ihrer Gefährtin Belinda, neuen Lebensmut, als sie sich in Aeneas verleibt. Doch böse Mächte rund um eine Zauberin gönnen der Königin ihr Glück nicht und beordern den trojanischen Flüchtling zurück nach Italien. Als Dido erkennt, dass sie ihre Liebe erneut verliert, stirbt sie an gebrochenem Herzen.
Zwei Herrscherinnen, die eine als Göttin über die Liebenden, die andere durchaus irdischer Herkunft, haben den Verlust der Liebe ihres Lebens zu verkraften – doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der jeweils rund eine Stunde dauernden Werke: Die beiden Komponisten standen in persönlicher Beziehung zueinander, Blow war zeitweise Purcells Lehrer und der wiederum rückte Blow auf die Organistenstelle in Westminster Abbey nach. Der Aufbau beider Opern ähnelt sich stark und die Werke enden jeweils mit einer großen Schlussszene der Titelheldin (In Oldenburg beendet Blows Rundgesang Chloe found Amintas den ersten Teil der Vorstellung). Tobias Ribitzki etabliert die Figur des Cupido in beiden Stücken, indem er die Rolle der Second Woman bei Purcell durch den kleinen Engel ersetzt und erzählt mit viel Witz die Venus-Geschichte, die wie eine Komödie beginnt und in einer Tragödie endet. Mittendrin statt nur dabei ist man auch im teilweise bespielten Zuschauerraum, die Bühne auf der Bühne kommt mit einer Recamiére als einzigem Requisit aus (Bühne und historisch angehauchte Kostüme: Stefan Rieckhoff) – und dennoch wird es keine Sekunde langweilig. Das ist nicht nur der gekonnten Personenführung des Regisseurs zu verdenken, sondern vor allem auch der überschäumenden Spielfreude des Ensembles, dem man in jeder Sekunde anmerkt, wie viel Spass es bei der Arbeit hat. So gelingt ein unterhaltsamer Nachmittag, dem Ribitzki durchaus auch ernste Akzente mitgibt, nach denen das Finale der Blow-Oper und das Purcell-Werk an sich ja durchaus auch verlangen.
Tragischer Höhepunkt von Dido and Aeneas ist schließlich nach seiner Lesart, dass Dido keineswegs stirbt, sondern sich für den Rest des Lebens der Liebe versagt – ein vielleicht noch furchtbareres Schicksal als der Tod an sich. Dies visualisiert gekonnt, mit eindrücklichem Ausdruck und höchster Körperbeherrschung die Tänzerin Renate Nehrkorn, die in beiden Werken die gealterte Version der Titelheldin darstellt. Aufgelockert wird das Blow-Werk zudem von den drei agilen Tänzern Uri Burger, Ruben Reniers und Charlie Riddiford, die die Vorstellung nach einer Choreografie von Elvis Val vollends zum echten Gesamtkunstwerk machen.
Gesungen und gespielt wird obendrein vorzüglich. Ann-Beth Solvang wächst als Venus und Dido schier über sich hinaus, zeigt sämtliche Facetten ihres ausdrucksstarken Mezzos, ist kokette Liebesgöttin, der zu spät die eigenen Gefühle klar werden, und bedrückte Dido, die immer wieder in Hoffnung erstrahlt, ehe sie in völliger Desillusion erstarrt. Intensiv-dramatische Ausbrüche wechseln sich mit zartesten Tönen ab, so dass man als Zuschauer das Wechselbad der Gefühle der beiden Figuren nahezu körperlich miterlebt. Das ist grandios! Leonard Lee setzt dem als schmachtender Adonis und fordernder Aeneas mit kraftvollem Bariton einiges entgegen, ist aber von beiden Komponisten eigentlich zur Nebenfigur verdammt, stellen sie doch die jeweilige Frau und deren Empfinden in das Zentrum ihrer Werke. Elena Harsányi ist Mitglied des Opernstudios des Oldenburger Staatstheaters und das ist kaum zu glauben, so versiert und gekonnt verkörpert sie die Belinda mit zartem, gefühlvollen Sopran. Mehr überrascht mich gestern nur noch Erica Back, ebenso Opernstudiomitglied, die den Cupido mit frechen Zwischentönen ganz und gar zu ihrer Rolle macht – das macht neugierig auf das, was die junge Finnlandschwedin mit ihrem wandelbaren Mezzosopran künftig noch alles zeigen wird. Ich bin gespannt! Melanie Lang erinnert mich in ihrer Verkörperung der Zauberin an die böse Stiefmutter in Walt Disneys Schneewittchen-Version, so dämonisch schaut sie in die Runde und solch teuflische Töne mischt sie ihrem tollen Mezzo bei. Martha Eason und KS Paul Brady sind ein vorzüglich-skurriles Hexengespann, währen der junge amerikanische Tenor Mark Watson Williams als Matrose das engagiert agierende Solistenensemble komplettiert.
Chorleiter und Kapellmeister Thomas Bönisch hält im Graben die Fäden zusammen, hat die Damen und Herren des Chores, die in beiden Werken umfangreiche Parts übernehmen, präzise vorbereitet und zeigt zusammen mit den historisch informiert aufspielenden Musikerinnen und Musikern, dass schlanker Barockklang alles andere als nüchtern sein muss, sondern vielmehr lebendig klingen und zu Tränen rühren kann. Dieser Nachmittag, lieber Opernfreund-Freund, war genau nach meinem Geschmack, kommen doch eine gewitzte Regie, engagiert und unprätentiös aufspielende Künstler und herrlich ausdrucksvolle Musik zusammen – das wärmt die Seele und ist genau das richtige für einen der kommenden kühlen Herbstabende.
Ihr Jochen Rüth 16.09.2019
Die Fotos stammen von Stephan Walzl