Premiere: 30.09.2017, besuchter Vorstellung: 03.01.2018
Der Narr als kurzsichtiger Jude
Lieber Opernfreund-Freund,
das Opernjahr begann für mich am gestrigen Abend mit einem Besuch des „Rigoletto“ am Theater Osnabrück. Vor nahezu ausverkauftem Haus wurde die Produktion, die im September die erste Premiere der laufenden Spielzeit war, gegeben. Ja, natürlich zeiht Verdi immer reichlich Publikum und ob seiner Beliebtheit bildet das Werk bis heute zusammen mit den zwei Jahre später entstandenen „Il Trovatore“ und „La Traviata“ die triologia popolare des Meisters aus Busseto, doch in diesem Fall mag das auch an der ausnehmend guten Besetzung sowie der interessanten Lesart der Regisseurin gelegen haben.
In die Hände von Adriana Altaras hatte man die szenische Umsetzung gelegt und die ist Ihnen nicht nur renommierte Schauspielerin, Autorin und Regisseurin, sondern vielleicht auch aus Talkshows bekannt, in denen sie gern gesehene Gesprächspartnerin ist, wenn es um das Thema Antisemitismus geht. Insofern verwundert es nicht, dass Altaras, die im Alter von sieben Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland kam, den Religionsaspekt mit in ihre Deutung des Verdi-Dramas einfließen lässt. Fesselnd und spannend erzählt sie die Geschichte des gesellschaftlichen Außenseiters, dessen Behinderung in Osnabrück in einer extremen Kurzsichtigkeit besteht und der sein Jude-Sein nur im privatem Rahmen auslebt. In seinem Beruf, dem er in einer Art Männerclub nachgeht, in dessen holzvertäfeltem Treppenhaus die Herren ihren sexuellen Neigungen frönen, ist er wegen seiner Behinderung und auch wegen seiner Religion Außenseiter und eher Objekt des Spotts als selbst Spötter zu sein.
Dreht sich der Kubus, den Etienne Pluss als genial wandlungsfähigen Aufbau auf die Bühne gestellt hat, erscheint auf dessen Rückseite eine bedeutungsschwanger ganz in Weiß gehaltene Waschküche, in der Gilda sich aufhält – ein Ort so weiß wie die Unschuld, die Rigoletto seiner Tochter zu bewahren versucht, oder zumindest ein Ort, an dem sich eine Art Reinheit wiederherstellen lässt. Der Herzog dringt dort als Student verkleidet ein, mit Parka und Palästinensertuch, das Gilda nach dem ersten Kuss immer bei sich trägt und das Rigoletto nach Gildas Tod blutverschmiert als einziges Überbleibsel seiner Tochter behält. Dass Giovanna sich im letzten Bild als Katholikin outet macht den Ansatz rund und doch überfrachtet Altaras die Produktion nicht mit dem religionspolitischen Aspekt, drängt ihn nicht in den Vordergrund, sondern lässt ihn quasi nebenher mitlaufen. So erreicht sie eine so behutsame wie schlüssige, packende Aktualisierung und beim Zuschauer geschickt mehr Reflektion und Nachhall als sie es wohl mit dem Holzhammer getan hätte.
Die Sängerriege ist von beachtlicher Qualität und trägt wesentlichen Anteil am Gelingen des Abends. In der Titelrolle glänzt Ensemblemitglied Rhys Jenkins, dem mit überragender stimmlicher Präsenz und intensiver Darstellung ein facettenreiches Rollenportrait gelingt. Er ist ein biestiger Narr wider Willen und ein so gefühlvoll liebender wie später von Rachegelüsten getriebener Vater. Seine Tochter Gilda findet in Erika Simons eine einfühlsame Gestalterin, die mit ihrem feinen Sopran die mädchenhafte Unschuld in idealer Weise verkörpert und feinste Piani zaubert. So werden die Duette zwischen Vater und Tochter zu den musikalischen Höhepunkten des Abends. Mit der Auswahl des Einspringers für die Rolle des Herzogs von Mantua hat man da weniger Glück. Yoonki Baek verfügt an sich über einen höhensicheren Tenor, der sich aber eher für das lyrische Fach zu eignen scheint, und den er mit wenig Brillanz und Strahlkraft ausstattet. So bleibt der Südkoreaner vergleichsweise blass.
Gelungener ist da die Besetzung von Malte Roesner, der den ebenfalls erkrankten Jan Friedrich Eggers ersetzt und nach seinem Fachwechsel dem Marullo mit einnehmenden Bass Profil gibt. Katarina Morfa und José Gallisa sind ein teuflisch gutes Geschwisterpaar: Gallisa versieht den Sparafucile mit furchteinflößendem, düsterem Bass und Katarina Morfa macht als betörende und leidenschaftliche Maddalena mit ihrem dunklen Mezzo Eindruck. Leonardo Lee ist ein imposanter und stimmgewaltiger Monterone und auch die Herren des Chores, von Markus Laufer betreut, singen und spielen engagiert und tadellos.
Bei der Bühnenmusik ist die Bläserphilharmonie Osnabrück unter der Leitung von Jens Schröder ein verlässlicher Partner, während im Graben das Osnabrücker Symphonieorchester zu Höchstform aufläuft. Hier hält An-Hoon Song die Fäden zusammen und präsentiert ein energiegeladenes Dirigat, an dem wohl Verdi selbst nichts auszusetzen gehabt hätte. Alles in allem berichte ich Ihnen also von einem gelungenen Musiktheaterabend – so kann das Opernjahr gerne weitergehen.
Ein frohes, glückliches und gesundes 2018 wünscht Ihnen
Ihr Jochen Rüth / 04.01.2018
Die Fotos stammen von Jörg Landsberg.