Schlosskirche, 9.9.2020
Das Programm ist, man kann es nicht anders ausdrücken, eine einzige Perlenkette. Wenn Romina Basso mit ihrem Trio von Theorbe, Viola da gamba und Cembalo/Orgel vier Lamenti singt, dann ist das Glück des Freundes der sog. Barockmusik vollkommen.
Also kamen sie zusammen: nachdem das Programm im Jahre 2014 (man kann das alles glücklicherweise nachhören) Premiere hatte. „Bayreuth Baroque“ bringt die vier Meisterwerke des 17./18. Jahrhunderts in die Bayreuther Schlosskirche: ein akustisch und historisch idealer Ort, denn Romina Basso singt – ach was: performt die vier ausgewählten Lamenti in direktem Blick auf die Gruft jener Fürstin, die sich gern in den leidenden Figuren der Geschichte gespiegelt sah. Wilhelmine von Bayreuth, die einen Faible für die Lucrezias und Cleopatras aus Geschichte und Legende hatte, hätte der intensive Abend schon deshalb gefallen.
Giacomo Carissimi, Luigi Rossi, Barbara Strozzi und Francesco Provenzale – diese Namen sind dank Ensembles wie dem, das vor der Traubenmadonna seine Kunst zum Besten gibt, inzwischen mehr als Lexikoneinträge, denn vom ersten Ton an wird die Dringlichkeit dessen, was und wie da das persönliche Schicksal der zurückgebliebenen Witwen und Geliebten und Liebenden beklagt wird, elementar deutlich. Romina Basso legt alle Kraft in die expressiven Rezitative des Lamento in morte di Maria Stuarda, einem Prunkstück der antireformatorischen Propagandamusik – und sie findet bei der Betonung des Wortes „scena“ einen dynamisch besonders starken Ausdruck. In der Tat: Wir sind Zeugen von vier Minidramen, die von den Improvisationen der drei Instrumentalisten verbunden werden. Markellos Chryssikos leitet das Ganze, Andreas Linos sitzt an der Viola da gamba, und Theodoros Kitsos gibt in den Interludien seine zunächst esoterischen Impressionen dazu. Die Viola aber klingt mit ihrem einsamen Sehnsuchtston vollkommen in den halligen Raum; Erinnerungen an den Film Tous les matins du monde drängen sich dem Freund der Musik des 17. Jahrhunderts unmittelbar auf.
Sehnsucht, Trauer und Wut: die Affekte sind eindeutig. Romina Bassos Mezzo geht gelegentlich herrlich in die Tiefe, wenn sie der Erregung ihrer Figuren nicht gerade in Wortkaskaden Ausdruck gibt. Vilipesa innocenza, die verhöhnte Unschuld wehrt sich mit allen kultivierten Mitteln ihres Prachtorgans. Die Tongirlanden des Schmerzes münden oft in Dissonanzen – erstaunlich oft in Harmonien, die belegen, dass die Musik der sog. „Klassik“, betrachten wir sie allein aus der Perspektive der Harmonielehre, in avantgardistischer Hinsicht ein Rückschritt war. Romina Bassos Mezzo aber flackert nur dort wie wild, wenn sie es will: Vibrato gibt es nur dort, wo es gebraucht wird. Unendlich eindrucksvoller ist die gerade vokale Linie, wenn sie anschwillt und in rechter Trauer decrecendiert. Das barocke Pathos entlädt sich in einem Furor, der auch die Mimik besetzt – und am Ende von Luigi Rossis Lamento della Regina di Svezia an den puren Soul denken lässt. Wir sitzen nicht in einem Liederabend, sondern im Musiktheater. „Das ist“, sagt Chryssikos, „das dramatischste Stück, das wir je gespielt haben“.
Vielleicht kann man und frau nur noch etwas Lustiges spielen, wenn man die Abschiedsschmerzen einer schottischen Königin, die ihren sofortigen Tod erwartet, die Trauer einer schwedischen Königin, die ihren getöteten Gemahl (und sich selbst) beweint, und die Qualen eines vom Objekt der Liebe verachteten Subjekts vernommen hat. Barbara Strozzis „Lagrime mie“ ist im Übrigen eine besonders aparte Spielart des Typus Lamento. Also schließt der Abend mit einer direkten Parodie des dritten Stücks, des Lamentos von Rossi, komponiert von Francesco Provenzale. Dessen Textdichter Francesco Melosio hat dem Komponisten in Squarciato arciato appena havea das schönste Material für eine sehr lustige Variante der Trauerkantate geliefert. Romina Basso und ihre drei Musiker finden den größten Spaß dabei, die Unsinnsbotschaften des reitenden messagiero mit sehr modernen Rhythmen an das Publikum zu bringen. Das Barock war, man darf das nicht vergessen, auch eine Hochzeit der Spiegel, der ironischen Brechungen und des sinnlichen Vergnügens. Ergo: Romina Basso und ihr symbiotisches Trio haben mit dem vierten Programm des ersten Bayreuth Baroque etwas ganz besonders Kostbares in die Schlosskirche gebracht.
Frank Piontek, 10.9.2020
Foto: ©Andreas Harbach