Unstreitig gehört Ralph Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“ zu den nicht tot zu kriegenden Dauerbrennern der sog. „Leichten Muse“. Das wurde nun wieder am Landestheater Salzburg deutlich. Die Premiere war ein voller Erfolg. Sie wurde von dem begeisterten Publikum beim Schlussapplaus zu verdientermaßen mit Ovationen bedacht. Das war ein szenisch funkensprühender spartenübergreifender Abend voll Elan und Ausgelassenheit, der beredtes Zeugnis vom Können des Regisseurs Andreas Gergen gab.
Franziska Becker (Josepha), Sascha Oskar Weis (Leopold)
Dieser setzt indes nicht nur auf den Unterhaltungswert, sondern lässt auch einen essentiellen Punkt der Rezeptionsgeschichte in seine Deutung einfließen. Den 1933 in Deutschland an die Macht gekommenen Nationalsozialisten war Benatzkys von amerikanischen Tanzrhythmen und Jazzklängen beeinflusste Musik ein Dorn im Ohr. Kurzerhand setzten sie das Werk auf den Index und deklarierten es, wie so viele andere Kompositionen auch, zu entarteter Musik. Diesem Fakt trägt der Regisseur Rechnung, wenn er einmal einen Dunkelhäutigen – eine Anspielung auf die Titelfigur von Kreneks in der NS-Zeit ebenfalls verbotener Oper „Jonny spielt auf“, die am Landestheater Salzburg in der vergangenen Saison auf dem Spielplan stand, ein Schild mit der Aufschrift „Entartete Musik“ über die Bühne tragen lässt.
Chor und Ballett
Erst nach Kriegsende, zu Beginn der 1950er Jahre, besann man sich auf das „Weiße Rössl“ und führte es wieder auf – jetzt aber in einer neuen, überarbeiteten Form, die in ihrer Prägung von der ursprünglichen Klangsprache erheblich abwich. Die von den Nazis mit Aufführungsverbot belegte Partitur war inzwischen verschollen. Es gehört zu den absoluten Glücksfällen der Musikgeschichte, dass sie im Jahre 2009 auf einem Dachboden in Zagreb wieder entdeckt und in den letzten Jahren bei einigen Neuproduktionen des Stücks mit Erfolg rehabilitiert wurde. Auch in Salzburg wurde auf diese Ur-Fassung zurückgegriffen, und zwar in einer geglückten Rekonstruktion von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn unter Mitarbeit von Winfried Fechner. Das hinzugefügte Lied des Prof. Hinzelmann stammt von Hans von Frankowski. Nichts geht doch über das Original, mag eine Bearbeitung auch noch so erfolgreich gewesen sein. Und dass das unter der musikalischen Leitung von Peter Ewaldt ausgesprochen lustvoll und mit schwungvollem Elan aufspielende Mozarteumorchester Salzburg großen Spaß an der Sache hatte, war in jedem Augenblick spürbar.
Hanna Kastner (Klärchen), Marco Dott (Sigismund)
Stephan Prattes nahm bei der Gestaltung des Bühnenbildes von jeglichem betulichem Heimatfilm-Ambiente Abstand und setzte gekonnt auf Reduktion. Nicht auf pompöse Ausstattungspracht wurde das Auge des Zuschauers gelenkt, sondern auf eine eher nüchtern anmutende Bühne, deren Hauptbestandteil ein im Hintergrund aufragender riesiger Vorhang ist. Vorne links führt eine Treppe zu einer Seitenloge hinauf, die im Lauf des Stückes als Balkonzimmer fungiert. Fast ständig präsent ist der Schriftzug „Im weißen Rössl“. Im zweiten Akt erblickt man auch einmal einen Treppenprospekt mit einer Almlandschaft, in der es ja bekanntlich keine Sünde gibt, und die Ingredienzien eines munteren Badelebens, an dem sich Sigismund und Klärchen rege beteiligen. Eine Unterwasserperspektive gibt den Blick auf eine Meerjungfrau und einen Fisch frei. Auch ein Haialarm darf nicht fehlen. Ein von vielfältigen kleinen Lichten geprägter Rahmen verlieh dem Ganzen etwas Revuehaftes, ebenso wie die vielen Lichterketten, die über den ganzen Raum verteilt waren. Da konnte man sich voll und ganz auf das muntere, ausgelassene Geschehen konzentrieren, das von Gergen sehr kurzweilig in Szene gesetzt wurde.
Simon Schnorr (Dr. Siedler), Lucy Scherer (Ottilie)
Der Regisseur hat die von Regina Schill mit ansprechenden Kostümen ausgestatteten Handlungsträger bestens im Griff und vermag sie temporeich und mit Schwung zu führen, wobei er auch Brecht’sche Elemente in seine Regiearbeit einbezieht. So lässt er die Jodlerin einmal vom zweiten Rang aus ein Beispiel ihrer Kunst geben und platziert den Chor beim Auftritt des Kaisers zu beiden Seiten des Parketts. Für die überaus köstliche Zeichnung des österreichischen Monarchen als moderner Puppenspieler Ketterl mit herkömmlicher Franz-Josef-Puppe gebührt ihm ein Extralob. Aber auch sonst kamen ausgelassene Heiterkeit und Komik nicht zu kurz. Das begann schon bei dem im wahrsten Sinn des Wortes fliegenden Auftritt von Dr. Siedler im Pilotendress, der gleich darauf von einigen hübschen Masseurinnen mit einem Wellnessprogramm beglückt wird. Sehr unterhaltsam geriet auch seine Szene mit Ottilie im Stall, in dem eine vom Schnürboden herabgelassene, künstliche und riesige Kuh ihre Exkremente fallen lassen darf. Ausgesprochen amüsant gelingen die Schlagabtausche, die sich Kellner Leopold und die von ihm heiß geliebte, aber reichlich kratzbürstige Rössl-Wirtin liefern. Zu dem rasanten Tempo der Inszenierung trugen nicht zuletzt die zahlreichen choreographischen Einlagen bei, die Kim Duddy seinen Tänzern bestens einstudiert hatte und die von diesen mit Bravour ausgeführt wurden.
Georg Clementi (Kaiser), Franziska Becker (Josepha)
Mit großer Spiellust präsentierte sich das aus Opern- und Musicalsängern und Schauspielern bestehende Ensemble. Die gesangliche Krone des Abends gebührte dem typmäßig ein wenig an Johannes Heesters erinnernden Simon Schnorr, der mit hervorragend fokussiertem, voll und rund klingendem Bariton italienischer Schulung einen hervorragenden Dr. Siedler sang. Neben ihm gefiel als Ottilie die einem breiten Fernsehpublikum aus der ARD-Serie „Sturm der Liebe“ bekannte Lucy Scherer mit ansprechendem Spiel. Vokal geriet sie mit ihrer Musical-Stimme gegenüber Schnorr indes ins Hintertreffen. Da hatte die ähnlich singende Franziska Becker etwas mehr an Stimmkraft anzubieten. Aber nicht nur das, auch schauspielerisch war sie als resolute und wahrlich nicht auf den Mund gefallene Josepha Vogelhuber eine gute Wahl. Neben ihr konnte man mit dem armen, liebeskranken Leopold, der in dem Schauspieler Sascha Oskar Weis einen darstellerisch trefflichen Vertreter hatte, fast Mitleid haben. Ein schön berlinerisch grantelnder Giesecke war Norbert Lamla. Frisch und ausgelassen gab Marco Dott den schönen Sigismund, dem sich das dünn singende, aber bezaubernd aussehende Klärchen von Hanna Kastner zugesellte. Den Prof. Hinzelmann gab Werner Friedl. Zu Recht hoch in der Gunst des Publikums stand Georg Clementis Kaiser/Ketterl. Dominik Tiefgraber teilte als Piccolo die Nöte seines Vorgesetzten Leopold einfach rührend. Die Briefträgerin Kathi spielte Sylvia Offermans und in der Partie der Jodlerin bewährte sich Renata Vaithianathan. Zu großer Form lief der von Stefan Müller einstudierte Chor auf.
Ludwig Steinbach, 9.12.2014
Fotos: Christina Canaval