Als Computerspiel
See life in pink, but do not wear it! In einem der bekanntesten Aphorismen von Karl Lagerfeld meinte die wohl berühmteste Mode-Ikone der Gegenwart, dass Rosa-Kleider den Eindruck von Geschmacklosigkeit erwecken. Gewissermaßen wurde das Rosa-Kleid in seiner Mode-Welt mit dem Symbol des Infantilismus, der Naivität sogar der Dummheit verbunden.
In der Neuinszenierung Prokofjews Liebe zu drei Orangen an der Stuttgarter Staatoper von Axel Ranisch, die ich als letzte Vorstellung dieser großartigen Premieren-Serie im Januar besucht habe trug Pink und Rosa der melancholische Prinz. Auch die Bühnenbilder zeigte ein intensives, irrational und psychodelisch wirkendes surrealistisches Konzept. Die grelle, fabelhafte Bühnenvision in der Oper Prokofjews von Saskia Wunsch mit dem Lichtdesign von Reinhard Traubund und fantastischen Kostümen von Bettina Werner und Claudia Irro schufen viele erstklassige Parallelen zur virtuellen Welt mit ihren Pixel-Bildern.
Prokofjews Märchen-Oper inspiriert zur Scherz, Parodie und Ironie wie ihre literarische Quelle von Carlo Gozzi – den venezianischen Meister der Fiabi teatrali, Comedia-dell’arte. Axel Ranisch verwandelte aber das Märchen in ein Computer-Spiel. Der Regisseur erfindet neue Hauptdarsteller wie den kleinen Jungen Serioscha als künftiges IT-Genie. Sein virtuelles, Außer-sich-Sein beeinflusst alle Figuren, die Spaß und Bedrohung zugleich ausstrahlen. Die Szenerie entwickelt sich zu einer abenteuerlichen Synthese der virtuellen, theatralischen und realen Welten. Der melancholische Prinz im dicken Rosa-Wintermantel – sehr treffende Besetzung mit Elmar Gilbertsson – spiegelt den Konflikt des Jungen mit seinem Vater im Kampf zwischen der Rosa-Computer-Traumwelt und dem Richtig-Handeln-Zwang des Vaters wider.
Die marionettenhaften Gestalten bewegen sich ähnlich wie vom Computer gesteuerte Figuren aus Prokofjews Märchen-Spiel von Axel Ranisch. In der Inszenierung verwischen sich die Grenze zwischen Wirklichkeit und Irrealität: die kontroverse Version des Raums vom engen zum offenen, virtuellen, quadratisiert in großen Pixel surreale, psychodelische Landschaften, ebenso die Prinzessinnen, die nicht aus den Orangen, sondern aus den gigantischen Computer-Mäusen auftauchen. Mal wieder eine neue originelle Version des Theaters im Theater! Das Theater reflektiert sich auf diese Weise selbst!
Das Publikum fühlte sich oft als Teilnehmer der Vorstellung, was immer wieder theatralisch höchst wirksam ist. Dabei sendet der Regisseur einen traurigen Apell an die gescheiterte Märchen-Welt, die die reale Liebe durch die virtuelle austauscht: der Prinz, sein Vater, Celio, Leander… Im Computer-Spiel „Der Liebe zu drei Orangen“ handeln die künstlichen Zauberer und Zauberinnen, vom Maus-Klick gesteuerte Akteure, die einander hassen, ausnützen, traumatisieren oder bleiben gleichgültig.
Auf der Bühne bringt das Regie-Team ein visuelles Kürzel für ihre Gedanken, sucht nach Ankern alter Comedia-dell’arte in der Gegenwart. Handeln vollzieht sich immer im Spannungsfeld zwischen Seelenverfassung und Pflicht. Der Prinz sowie Serioscha sind Träumer. Das macht sie sympathisch, zugleich aber auch schwach und belanglos. Der König und Serioschas Papa, die als Pragmatiker und Landherrscher für die Geschichte verantwortlich sein sollten, bilden bei Prokofjew keine starke Alternative der Erwachsenwelt. Das Finale hält das Publikum bis zur letzten Sekunde gespannt: „wenn wir mit der alten Welt gebrochen haben und die neue noch nicht formen können, tritt die Satire, die Groteske, die Karikatur, der Clown und die Puppe auf“. Diese Zeilen des österreichisch-deutschen Dadaisten Raoul Hausman könnte als passender Schlüssel für die Inszenierung gelten. Die Synthese von Comedia-dell’arte, Psychoanalyse, Farce und Kitsch in postmodernen Opern-Konzepten zerbricht unsere gegenwärtige Weltwahrnehmung in eigenartige Pixel.
Dabei vertrauen wir immer wieder der historischen, kulturellen, sowie gesellschaftlichen Wirkung des Theaters. In der Neuinszenierung Prokofjews „Liebe zu drei Orangen“ erwartet Axel Ranisch, dass das Theater immer wieder neue Frage stellt, um Kinder und Erwachsene zur Selbstreflexion anzuregen.
Adelina Yefimenko 30.3.2019
Fotos © Matthiar Baus