Premiere: 22. Mai 2021
Als man vor gefühlten Ewigkeiten (also gut, es war 1963. man war sehr jung, Karajan dirigierte, also war es ein Pflichtabend) Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ zum ersten Mal an der Staatsoper sah, fand ein Regisseur wie Günther Rennert nichts dabei, eine Geschichte, die ja doch im Alten Rom spielte, bei stilisierter Antiken-Bühne in römischen Gewändern spielen zu lassen. Damals hörte man übrigens eine Fassung von Erich Kraack, die nach heutigen Begriffen alles andere als „korrekt“ war. Das wussten wir damals nicht, das liest man heute im Programmheft nach – und hätten wir es gewusst, es wäre uns egal gewesen. Die unendliche Welt der Barockoper, die in den letzten Jahrzehnten die Bühnen erobert hat, war noch nicht erschlossen…
Dann kam 1978 bei einem Gastspiel aus Zürich das wundersame Spektakel von Ponnelle / Harnononcourt auf uns zu – Letzterem ist übrigens die nunmehrige Staatsopern-Aufführung gewidmet, darf „sein“ Concentus Musicus doch erstmals in den Heiligen Hallen musizieren. Weitere Gastspiele brachten eine ideenlose Inszenierung von Klaus Michael Grüber (von Luc Bondy ins Festwochen-Programm gehievt), eine brillante von Robert Carsen und zuletzt, als Eigenproduktion des Theaters an der Wien, jene von Claus Guth. Die hat man sich vor allem deshalb gemerkt, weil dort Nero am Ende erst Poppea, dann sich selbst erschossen hat. So viel zu einem Happyend bei Guth.
Nun ist „Poppea“ zum zweiten Mal in der Staatsoper gelandet, allerdings auch nicht als „echte“ Premiere, sondern als weiteres Cadeau aus dem großen Einkaufskorb von Bogdan Roscic. Die Aufführung war 2018 bei den Salzburger Festspielen zu sehen, damals mit Sonya Yoncheva in der Titelrolle, die in Wien einigermaßen abgegangen ist. Aber gekauft wurde die Inszenierung des Belgiers Jan Lauwers, der mit der von ihm begründeten „Needcompany“ ganz spezifische „Gesamtkunstwerk“- Produktionen auf die Beine stellt. Die ungemein kunstvolle Logistik, die seine Inszenierung von „L’incoronazione di Poppea“ auszeichnet, kann man sicher als solche bezeichnen. Und wäre ohne dieses eingespielte Ensemble, das ein solches Kunststück umsetzen konnte, nicht möglich gewesen. Diese „Poppea“ von Monteverdi, die am Anfang dessen steht, was wir als „Oper“ begreifen, ist inhaltlich keine einfache Sache. Man könnte es als Sammelsurium bezeichnen – die (vielleicht echte) Liebesgeschichte zweier fragwürdiger Persönlichkeiten, Nero und Poppea, viel Haupt- und Staatsaktion, die blutig ausgeht (Seneca zum Selbstmord gezwungen, Ottones Versuch, auf Ottavias Befehl Poppea zu ermorden, er in der Folge verbannt, sie auch verbannt), aber dazwischen zwei durch und durch komische Ammen-Figuren, dann plötzlich ganz lieblich ein buffoneskes Zwitscherduett des Liebespärchens, Valletto und Damigella, eine Menge Soldaten – ja und als Prolog noch die antiken Allegorien von Schicksal, Tugend und Liebe, im bekannten Wettstreit. Und das alles keinesfalls als stringente Dramaturgie, sondern die Szenen bunt aneinander geklebt…
Daran ist schon mancher gescheitert. Wenn Jan Lauwers, zuständig für Bühne und Regie, in der Choreographie unterstützt von Paul Blackman (Fetzenkarneval-Kostüme: Lemm & Barkey) das Geschehen in einen Einheitsraum versetzt, der nichts bedeutet als einen Raum, in dem gespielt wird, und diesen quasi ununterbrochen „belebt“ – dann hat er viele Stolpersteine der Geschichte geschickt umrundet. Dann herrscht da nichts anderes als die höhere Theaterlogik (die ja keine Logik ist und keine sein muss), und man muss im Detail gar nicht verstehen, was sich da mit Hilfe einer Unzahl von Tänzerkörpern abspielt. Man bekommt ohnedies nicht alles mit, hat auch manchmal Schwierigkeiten, im Dauer-Gewure die zentralen Protagonisten auszumachen, aber es dient einfach dem Geschehen, wenn gelegentlich eine Figur heraustritt, um zum Spielzeug der Haupt-Protagonisten zu werden, und wieder verschwindet… Oder wenn sich rund um die Szene, wenn Poppea einschläft, ein großes „lebendes Bild“ von Schlafenden aufbaut, ein eindrucksvolles Tableau aus Menschenkörpern. Die Virtuosität der Ausführung macht immer wieder Staunen.
Im übrigen hat man den Eindruck einer permanenten Party, in der es vordringlich wohl um Sex und Erotik geht, und wenn der Dirigent im Programmheft versichert, Monteverdi sei der Rock’n Roll des 17. Jahrhunderts, so scheinen zahlreiche, hoch musikalisch ausgeführte hektische Tanzszenen das zu bestätigen. Ob unter so viel „Inszenierung“ die Handlung selbst ein wenig zu kurz kommt… man könnte manchmal den Eindruck gewinnen. Das Angebot entspricht jedenfalls dem Zeitgeist, wo man ja bekanntlich nie davon genug bekommt, von so vielen Effekten wie nur möglich überschüttet zu werden.
Nero und Poppea haben auf der Bühne schon alle möglichen exzentrischen Ausformungen erfahren. Hier bleiben sie fast – blass. Er ist ein nervöser Jüngling, nicht sympathisch, nur ein bisschen seltsam mit seinem Gezucke und Gegucke. Sie ist vor allem statuarisch, dass diese Hexe über Leichen geht, um Kaiserin von Rom zu werden, wird kaum angespielt. Konventionell sind die beiden anderen Hauptfiguren gesehen, statuarisch Seneca, halb wütend, halb tragisch resigniert Ottavia. Die beiden Ammen sind immer komisch, der Rest der Besetzung gerät ins Abseits, und wenn die drei Göttinnen im Prolog nicht irgendwelche Krüppel mit sich schleppten… warum eigentlich? Es scheint doch so, als ob die Figuren in der Inszenierung versänken.
Pablo Heras-Casado steht am Pult des Concentus Musicus, der lange Arm des Nikolaus Harnoncourt reicht weit über seinen Tod hinaus in die Welt des „Originalklangs“. Die auch, es sei gestattet, eine Geschmacksfrage ist (abgesehen davon, dass man nie zum Ende kommt, wenn man sie diskutieren möchte). Tatsächlich klingt Monteverdi so schroff wie vermutlich zu seiner Zeit, und wenn sich so viel ändern darf, hätte man die Musik im 21. Jahrhundert vielleicht gerne – schöner.
Aber da enttäuscht auch das Paar in den Hauptrollen. Wenn Slávka Zámecníková so klänge, wie sie aussieht, wäre sie eine Traum-Poppea. Aber tatsächlich hört man eine harte Stimme mit keinesfalls gewinnendem Timbre und einem einzigen durchgehenden Eindruck: schrill. Auch der geschätzten Kate Lindsey hört man bei ihrem (nicht sehr interessanten) Nerone nicht so gerne zu. Ein doch zu heller Mezzo, der vor allem scharf wird. Kein Traumpaar. Immerhin dürfen sie ihr Liebesduett zum Finale nicht schön, aber harmonisch singen – das Happyend wird nicht in Frage gestellt.
Willard White ist ein würdevoll tönender Seneca (wenn es nicht zu tief geht), Thomas Ebenstein eine wirklich brillante Arnalta, und auch Daniel Jenz macht als zweite komische Amme etwas her. Desgleichen Isabel Signoret als herziger Valletto und Johanna Wallroth als ebenso herzige Damigella, beide sind in Doppelrollen auch als Göttinnen unterwegs, desgleichen Vera-Lotte Boecker, die dann vor allem als Drusilla ihren Sopran blühen lässt. Der Countertenor Xavier Sabata klingt als Ottone nicht unbedingt überzeugend. Bei Josh Lovell hingegen hat man aufgehorcht. Dennoch – ein wirkliches Traum-Ensemble war das nicht.
Das Publikum applaudierte dennoch herzlich, und was sich kurzfristig wie Protest angehört hatte, ging in der Zustimmung unter. Was man sich von dem Abend merken wird? Ein Konzept, das im Ganzen beeindruckt hat.
Renate Wagner, 24.4.2021
Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn