Aufführung am 27.12.2019
Zum 18.Mal wurde die bekannteste Humperdinck-Oper in der aktuellen Produktion von Adrian Noble aufgeführt. Sie hatte im November 2015 Premiere und mauserte sich seitdem zu einem fixen Bestandteil des vorweihnachtlichen Repertoires. Und mit was? Mit Recht!!! Noble gelang eine wunderbar atmosphärische Inszenierung, erzählt das Stück (und interpretiert es nicht als ein Drama einer „poor white trash“-Familie – obwohl das durchaus möglich wäre – das Libretto von Adelheid Wette (übrigens die Schwester von Humperdinck) gibt durchaus diese Interpretationsmöglichkeit her) und irritiert niemanden. Was man vielleicht ankreiden muss – es ist alles ein wenig zu brav geworden. Ausdrücklich möchte ich Andrzej Goulding erwähnen, dessen Videos zum Erfolg der Aufführung beitrugen.
An diesem Abend gab es einige Rollendebüts und kleinere (technische) Hoppalas. Zuerst zu den letzteren – der Krug im ersten Akt zersprang nicht (was dann etwas komisch anmutete, wenn darüber gejammert wurde, dass ebendieser in Scherben lag), und dann konnte die Tür zur elterlichen Hütte nicht verschlossen werden, was zu einigen Irritationen bei den Sängern beitrug, diese aber routiniert umschifft wurden.
Boaz Daniel war ein sehr solider, sprachdeutlicher Peter Besenbinder, der sehr gut mit seiner zänkischen Frau Gertrud harmonierte. Diese wurde von der Rollendebütantin Stephanie Houtzeel überzeugend interpretiert. Durch die Tatsache, dass Houtzeel nicht ganz fit war, sprach ihre Stimme bei den tiefer gelegenen Tönen nicht so gut an, wie man es von ihr gewohnt ist. Das obere Register war makellos.
Ein weiteres Rollendebüt bestritt Ileana Tonca – sie ist dem Haus schon seit einer gefühlten Ewigkeit verbunden und als Sandmännchen und Taumännchen kann sie in ihrer Biographie Rollen Nummer 64 und 65 an der Staatsoper verbuchen, wobei sie eine soliden, aber keine außergewöhnlichen Eindruck hinterließ. Als Sandmännchen war sie überzeugender.
Monika Bohinec scheint aktuell als „Hexe von Dienst“ zu fungieren und ist daher sehr beschäftigt. Neben der Knusperhexe tritt sie auch in Persinette auf. Auch sie erweckte den Eindruck, nicht ganz gesund zu sein, trotzdem erhielt sie nach ihrem „Hexenritt“ Beifall (bis zum Schlussapplaus hielt sich das Publikum bei den anderen Künstlern zurück). Es gab im Auditorium auch viele Kinder, die, nachdem die Hexe in den Ofen gestoßen wurde (es wäre dabei interessant ob die Justiz die Tat der Kinder als Mord, Notwehr oder Notwehrüberschreitung abhandeln würde.) heftig akklamierten!
Andrea Carroll (Rollendebüt als Gretel) und Margaret Plummer als Hänsel spielten, tanzten und sangen sich durch den Abend. Im Zusammenspiel merkte man, wie gut geprobt worden war, da passte alles sehr gut. Was auffiel war, dass beide stimmlich sehr ähnlich liegen und es oft schwer zu unterscheiden war, wer gerade sang. Insgesamt beide sehr solide, wobei Carroll einen nachhaltigeren Eindruck hinterließ.
Nach einer Rusalka-Serie vor zwei Jahren kehrte Tomás Hanus wieder an die Staatsoper zurück. Ihm ist es zu verdanken, dass an diesem Abend das Staatsopernorchester den insgesamt besten Eindruck hinterließ. Die Zwischenspiele zeigten, wie nahe Engelbert Humperdinck an der Musik Richard Wagners ist – nicht einmal hatte ich das Gefühl, immer wieder Sequenzen zu hören, die ohne Problem in Opern des RW passen. Zudem unterstützte er die Sänger perfekt, nahm das Orchester zurück wenn notwendig, scheute sich aber auch nicht einen spätromantischen Klangteppich weben zu lassen, wenn es adäquat zu sein schien.
Der Kinderchor der Wiener Staatsoper (Leitung Johannes Mertl) war bezaubernd und trug seinen Teil zum Gelingen des Abends bei. Der Schlussapplaus war sehr freundlich, aber sehr, sehr kurz.
Kurt Vlach, 29.12.2019