Wien: „Giselle Rouge“

Mit dem Ballettdrama "Giselle Rouge" von Boris Eifman hat das Wiener Staatsballett ein weiteres Glanzstück ins Repertoire aufgenommen.

"Giselle Rouge" orientiert sich an der Biographie der russischen Ballerina Olga Spessiwzewa, welche durch ihre Interpretation als "Giselle" internationale Erfolge feierte, und schliesslich selbst dem Wahnsinn verfällt, die "rote" Giselle hingegen steht für die Zeit der russischen Revolution. In Eifmans Ballett sind die Figuren lediglich als "Ballerina", "Kommissar", "Lehrer" und "Partner" bezeichnet.

Im 1. Akt wird der Werdegang der Ballerina geschildert, zuerst blickt man in den Ballettsaal, wo die Elevinnen unter der strengen Aufsicht des Lehrers (Kamil Pavelka) trainieren; dieser wird rasch auf die Ballerina (Ketevan Papava) aufmerksam, hält sie nach dem Unterricht zurück und lehrt sie (während raschem Kulissenwechsel) die Schritte von "Giselle". Schon steht sie als gefeierte Primaballerina auf der Bühne des Mariinsky Theaters und es löst sich aus dem Publikum der Kommissar (Vladimir Shishov). Von diesem einerseits angezogen, andererseits als Objekt der Begierde missbraucht, lässt sie sich auf diese neue Welt der Brutalität ein und ist zumindest kurzfristig die Herrscherin der neuen "roten Macht". Lange hält dies jedoch nicht an, sie kehrt zurück zur Ballettcompany, wo sie erkennen muss, dass auch hier die neue Macht herrscht und ihr Lehrer brutal zusammengeschlagen wird. Der Kommissar gestattet ihr, Russland zu verlassen. Im 2. Akt trifft die Ballerina in Paris ein, wo sie von ihrem neuen Tanzpartner (Robert Gabdullin) in dem neuen Tanzstil unterrichtet wird, sie verliebt sich in ihn, muss jedoch verstört erkennen, dass er homosexuell ist. Sie versucht sich im Pariser Gesellschaftsleben abzulenken, wo sie allerdings von Phantombildern der alten Zeit eingeholt wird, und schliesslich während des letzten Auftritts an der Pariser Oper in die Psychiatrie eingeliefert wird.

Dass Boris Eifman ein Könner auf ganzer Linie ist, hat er bereits vor 7 1/2 Jahren bei der "Anna Karenina" dem Wiener Publikum bewiesen; so auch dieses mal bei "Giselle Rouge" kombiniert er diverse Werke von P. Tschaikowsky, A. Adam, G. Bizet, A. Schnittke, Walter Donaldson und Elias Paul "Allie" Wrubel so geschickt, dass der Übergang vom einen Stil in den anderen selbstverständlich wird. Seine Choreographie verlangt von den Tänzern nicht nur eine saubere klassische Technik ab, sondern auch eine Vielseitigkeit, in den verschiedenen Stilen (sei es Ballett, Charleston, Modern oder auch Akrobatik) blitzschnell zu wechseln. Ebenso durchdacht ist seine Lichtgestaltung, die das Drama gekonnt verstärkt und eine enorme Spannung bis zum Schluss aufbaut. Kongenial ergänzt mit Bühnenbild und Kostümen von Wiacheslav Okunev.

Ketevan Papava, welche wohlverdient nach ihrer ersten Vorstellung "Giselle Rouge" zur 1. Solotänzerin befördert wurde, ist eine phänomenale und stilsichere Interpretin, die Emotionen vermitteln kann. Sei es zuerst das bescheidene Ballettmädchen, welches über die saubere Technik hinaus noch eine Ruhe ausstrahlt, oder dann die gefeierte Ballerina, die ihren Triumph geniesst, später der Zwiespalt von Attraktion und Angst vor dem Kommissar, die Verzweiflung über die verschmähte Liebe, der Wahnsinn und dazwischen auch die starke Frau, die ihre Ansprüche geltend machen will – Ketevan Papava glänzt durch ihren facettenreiche Interpretation und garantiert für Gänsehautmomente. Auch zeigt sie in den verschiedenen Ausschnitten von der klassischen "Giselle", dass sie auch diese Rolle wunderbar tanzen kann. Sehr positiv überrascht Vladimir Shishov als brutaler Kommissar, der auch ein sicherer Partner für die akrobatischen Hebungen ist und sich sichtlich in der Charakterrolle wohlfühlt. Hervorragend ist auch Kamil Pavelka als zuerst gestrenger Lehrer, für den die Welt zusammenbricht, als die Ballerina sich von der chaotischen Welt des Kommissars angezogen fühlt. Robert Gabdullin überzeugt als selbstverliebter Partner, dem man Charakterschwäche dem Freund (Jakob Feyferlik) und auch der Ballerina gegenüber nicht absprechen kann.

Das Wiener Staatsballett meistert die Ansprüche von Eifman auf hohem Niveau – es ist auch ein Markenzeichen von Eifman, dass das Corps de Ballet gefordert wird.

Grosser Applaus auch für das Orchester der Wiener Volksoper, über kleine Intonations- und Rhythmusunstimmigkeiten dirigiert Andreas Schüller elegant hinweg.

Katharina Gebauer 9.5.15

Produktionsbilder: Volksoper Wien