Premiere: 12.10.2019, besuchte Vorstellung: 02.11.2019
Lieber Opernfreund-Freund,
als Eröffnungsproduktion in der letzten Spielzeit im alten großen Haus ist derzeit ein so sehens- wie hörenswerter Rigoletto zu erleben. Bevor das Mainfrankentheater in der kommenden Spielzeit in die Fabrikhalle umzieht, um in der Spielzeit 2022/23 ins erweiterte und sanierte Haus zurück zu kehren – dann mit dem Status eines Staatstheaters, zeigt Hauschef Markus Trabusch eine packende Umsetzung des Verdi-Bestsellers, den ich mir gestern im ausverkauften Haus gerne für Sie angesehen habe.
Allzu oft beschäftigt sich Intendant Markus Trabusch als Regisseur nicht mit dem Genre Oper, erst einmal inszenierte er am Haus, dem er seit der Spielzeit 2016/17 vorsteht, in dieser Sparte – und zwar Rossinis Barbier. Nun hat er sich mit einem weiteren Dauerbrenner der Oper beschäftigt und zeigt einen psychologisch durchdachten, packend erzählten und vor allem durch hervorragende Personenführung bestechenden Rigoletto, den er an unbestimmten Ort in der Gegenwart ansiedelt. So obskur wie die Machenschaften des Herzogs sind die Bühnenaufbauten von Susanne Hiller, Fadenvorhänge und halbdurchsichtige Schiebetüren schirmen das, was in den Privatgemächern des Regenten passiert, der gewohnt ist, sich zu nehmen, wen und was er will, vor den Blicken der Zuschauer ab. Rigolettos Make-Up erinnert an das Dauergrinsen des Jokers aus Batman und wird zur Vorlage der Maskerade der Entführer im zweiten Akt der Oper, ehe der vom Leben bösartig gewordene Narr in Monterones Parka und Strickkappe die Rache am Herzog vollzieht und damit gleichsam die Schändung von Monterones Tochter sühnt, dessen Fluch er sein Schicksal er am Ende zuschreibt. Trabusch führt die stumme Rolle von Rigolettos verstorbenen Frau ein, einer Asiatin – so dass es nur schlüssig ist, dass der als Student getarnte Herzog bei der unschuldigen Gilda mit Kirschblüten und Kimono als Mitbringsel auf ganzer Linie punkten kann. Derlei Kleinigkeiten sind äußerst durchdacht und machen die Produktion für den Opernkenner ebenso interessant, wie sie sie für den Opernneuling verständlich lassen – und so zu einer gewissermaßen idealen Rigoletto-Adaption werden. Die zu Beginn wandelbar gezeigte Drehbühne öffnet sich im letzten Bild zu einem wolkigen Gewitterhorizont hin; in dieser Kulisse hält Rigoletto zum Schluss dann als gebrochene Persönlichkeit seine verstorbene Frau im Arm – der letzte von vielen Gänsehautmomenten, die Trabusch mit seiner Ausstatterin Susanne Hiller und dem durchdachten Licht von Mariella von Vequel-Westernach dem Zuschauer beschert.
Dass sich die vom Regieteam erdachten Bilder so schlüssig präsentieren können, liegt sicher auch am durch die Bank überzeugenden musikalischen Seite des Abends. Allen voran wartet das Mainfrankentheater im eigenen Ensemble mit einer Gilda von Weltklasseniveau auf: Die Japanerin Akiho Tsujii besticht am gestrigen Abend mit einem facettenreichen Rollenportrait und rührt mit wie aus seidenen Fäden gesponnen Tönen zu Tränen, ehe sie im nächsten Moment farbenreiche Koloraturen oder durchs Mark gehende Gefühlsausbrüche zeigt. Dazu spielt sie hinreißend, so dass das Zuschauen- und Zuhören zur reinen Wonne wird. Der Herzog von Roberto Ortiz gefällt mit Klarheit, zartem Schmelz und viel Emotion, doch hätte ich mir vom aus Mexiko stammenden Tenor ein wenig mehr Strahlkraft erhofft. Der aus Schweden stammende Kosma Ranuer legt die Titelfigur von Beginn an als gebrochene Gestalt an, mischt seinem durchaus imposanten Bariton viel Gefühl bei und rührt deshalb bereits im dritten Akt. Seine Ausbrüche geraten überzeugend, ohne je grob zu werden, sein Spiel ist makellos und bewegend. Igor Tsarkov ist ein imposanter Sparafucile mit schwarz gefärbtem Bass, Katharina von Bühlow eine betörende Maddalena mit sattem Mezzo. Der Monterone von Daniel Fiolko strotzt nur so vor Kraft und Rachedurst.
Die Herren des Opernchores leisten unter der Leitung von Anton Tremmel Großes, die eigentliche musikalische Sensation passiert allerdings gestern im Graben. GMD Enrico Calesso präsentiert ein durchdachtes, transparentes Dirigat und gibt Verdis oft gehörter Partitur neuen Esprit. Seine Interpretation lässt viel italienische Seele mitschwingen, begeistert mich mit einem bunten Strauß an Tempi und musikalischen Farben; die höchste Musikalität, ja die Liebe zu dieser Musik, ist der Arbeit des aus Treviso stammenden Dirigenten in jeder Sekunde anzumerken – und so wird es musikalisch ein perfekter Abend. Das Publikum im ausverkauften Haus ist ebenso begeistert wie ich, applaudiert frenetisch allen Beteiligten. Noch bis Ende des Jahres ist diese wunderbare Produktion in Würzburg zu erleben – mir bleibt allerdings die Hoffnung, dass sie als Wiederaufnahme auch den Weg ins Interim findet.
Ihr Jochen Rüth, 03.11.2019
Fotos © Nik Schölzel / Mainfranken Theater Würzburg