Vorstellung am 08.12.2019
Mit der Ohrfeige im dritten Akt kam die Wende: Was vorher als mehr oder minder lustiger Schwank mit Kalauern und running gags – einfach im neuen Gewande, sprich in den eng geschnittenen dunklen Anzügen, die der Regisseur Christoph Loy so zu lieben scheint, dahergekommen war, bekam nun plötzlich eine berührende Tiefe in der Auslotung der Gefühle. Was war passiert? Sofronia (Norina) will noch in der Hochzeitsnacht den Ehemann Don Pasquale alleine lassen, in der eben erst für sündhaft teures Geld erstandenen schicken Abendrobe ausgehen. Als Pasquale ihr das untersagen will, schlägt sie ihn ins Gesicht. Was nun folgte, war ein kurzer Moment des Innehaltens (allerdings lacht das Publikum ausgerechnet in diesem Moment, der eigentlich sehr tragische Erkenntnisse und mixed emotions für Norina und Pasquale provoziert). Gerade in dieser Szene ist die ungemein präzise und tiefsinnige Detailarbeit des Regisseurs und seiner Protagonisten zu spüren. Was da (und auch schon in den ersten beiden Akten) an köstlicher und tragischer, scharfsinnig beobachteter Mimik und Gestik zu erleben ist, hat Ausnahmecharakter. Sowohl Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale) als auch Julie Fuchs als Norina (beide übrigens mit Rollendebüts) faszinieren mit ihrem unendlich variantenreichen Spiel, mit Ausdrucksnuancen, die man nur ganz selten so intensiv auf der grossen Opernbühne erleben darf.
Diese beiden allein schon lohnen den Besuch der Aufführung. Selbstredend gestalten sie auch musikalisch ihre Partien mit Verve, Furor und begeisternder Virtuosität. Johannes Martin Kränzle bleibt der Titelfigur nichts an differenzierter Ausdruckskraft schuldig. Er kann sich lausbübisch über seine vermeintlichen Finten freuen, sich mit rasender Präzision in das Ratter-Duett mit Dr. Malatesta (Konstantin Shushakov) stürzen, wo die beiden sich die Textzeilen in schwindelerregenden Tempo nur so um die Ohren hauen. Zum „bis“ kam es an diesem heftig applaudierten Abend allerdings nicht. (Kränzle wird übrigens nur noch in vier der verbleibenden acht Vorstellungen zu erleben sein, die restlichen übernimmt Dimitris Tiliakos.) Julie Fuchs ist eine köstlich schelmische – und auch moralisch sehr verkommene – Norina, ein männerverzehrender Vamp aus der Vorstadt, sexy, neckisch und stellenweise wirklich urkomisch. Doch dann – nach der erwähnten Ohrfeige – kommt dieses zitternde Innehalten, dieses grandios gespielte kurze Zögern, dieses Aufwallen von Empathie für den ältlichen Ehemann, das bei Julie Fuchs körperlich spür- und erlebbar ist. Bravourös steigt sie an diesem Abend in ihre Auftrittskavatine ein, ihre an vielen Partien von Rameau, Mozart, Rossini und französischer Operetten gereifte und geschulte Stimme bleibt dieser Norina nichts an Virtuosität und glücklicherweise auch nichts an Sentiment schuldig.
Konstantin Shushakov (Dr.Maletesta) und Mingjie Lei (Ernesto) haben ihre Rollen schon andernorts gesungen. Shushakovs schöner Bariton fügt sich fantastisch in die Ensembles ein, sein Spiel ist erfrischend durchtrieben, denn zusammen mit Norina und dem blendend aussehenden und dauergrinsenden Carlotto (Dean Murphy) bilden die drei ein diabolisches Trio, das sich eine Riesengaudi daraus macht, den eingefleischten Junggesellen Pasquale auszunehmen und vorzuführen. Und man ist sich gar nicht so sicher, ob Norina „ihren“ Ernesto wirklich so sehr liebt. Denn der Strahlemann Carlotto treibt sich auch gerne in ihrem Schlafzimmer rum, sie gibt ihm auch mal einen Klaps auf seinen knackigen Hintern und man fragt sich, ob das mit dem schmachtenden Ernesto und ihr wirlich gut gehen wird. Minhjie Lei singt diesen am Geldhahn seines Onkels Pasquale hängenden Loser mit angenehm und einschmeidchelnd timbriertem Tenor. Seine mit berührendem Piano intonierte Serenade aus dem Off, Com’è gentil la notte, lässt die turbulente Handlung stoppen, Norina, Pasquale, Malatesta und Carlotto bewegen sich in Zeitlupe wie Zombies, lassen ungeahnte Zärtlichkeiten zu, eine Verwirrung der Gefühle, der Pasquale mit seinem Rückzug aus dem Eheabenteuer ein Ende bereitet. Nun kann er wieder genüsslich seinen Pudding löffeln.
Donizetti hatte mit DON PASQUALE quasi einen exquisiten Schlusspunkt unter die Gattung der opera buffa gesetzt, das zeigt sich auch in der Instrumentierung und den Accompagnati der Rezitative. Unter der Leitung von Enrique Mazzola spielte die Philharmonia Zürich mit wunderbarem Drive und viel Spritzigkeit, ab und an vielleicht eine Spur zu laut. Am Premierenerfolg hatten auch der Chor der Oper Zürich und die drei Schauspieler (R.A. Günther, David Földszin, Ursula Deuker) für die köstlichen Dienerrollen ihren verdienten Anteil. Ausgestattet wurde das Werk von Johannes Leiacker (Bühne) und Barbara Drosihn (Kostüme). Norinas Welt war ein blumig tapeziertes Schlafzimmer, sie wohnt in Pasquales Nachbarschaft und so kann der Alte des nachts während der Ouvertüre Pudding löffelnd Voyeur spielen. Sein eigenes Heim ist ganz spärlich eingerichtet, schlichte grau-weiss gesptreifte Tapete, kaum Möbel. Das ändert sich natürlich nach der fingierten Hochzeit, wenn Sofronia (Norina) das Zepter übernimmt, ihre zuvor gespielte klösterliche Züchtigkeit schnell ablegt, neue Möbel und eine Schar neuer Diener (in auberginefarbigen Uniformen, genau in der Farbe ihres Unterrocks) herbeischaffen lässt, rauschende Parties feiert, wo der Champagner in Strömen fliesst und die Papierschlangen alles zumüllen. Ja, zugegeben, es ist ein über weite Strecken unterhaltsamer Abend geworden, man hat nach geschickt nach Tiefgang gebohrt und ist fündig geworden. Allerdings lohnt es sich, ganz nahe an der Bühne zu sitzen (oder einen Operngucker dabei zu haben) um von der umwerfenden Mimik von Johannes Martin Kränzle und von Julie Fuchs nichts zu verpassen.
Kaspar Sannemann 9.12.2019
(c) Monika Rittershaus