Premiere: 5.10.2018
In einem Bächlein helle …
Das Intendantenkarussel drehte sich wieder einmal. Peter Theiler hat Nürnberg in Richtung Dresden verlassen, sein Nachfolger ist Jens Daniel Herzog, an seinem bisherigen Haus, der Oper Dortmund, wurde damit der Platz frei für Heribert Germeshausen, bislang in Heidelberg tätig. Man kennt seinen liebenswürdigen Ehrgeiz, mit welchem er nun auch das Dortmunder Publikum zu gewinnen trachtet. Eine geballte Ladung von Veranstaltungen kennzeichnet seinen Start, wovon an dieser Stelle natürlich nur die Opernproduktionen berücksichtigt werden können. „Aida“ machte den Anfang, der Rossini-„Barbier“ wird folgen.
Freude zunächst darüber, daß Dirigent Gabriel Feltz dem Hause erhalten bleibt (sein Vertrag läuft bis 2023). Wenn man ihn am Pult der Dortmunder Philharmoniker erlebt, kann man kaum ruhig sitzen bleiben. Mit hochgereckten Händen, gerne alle Finger gespreizt, macht er seine dramatischen Intentionen deutlich. Bei „Aida“ mag Einiges zu forsch, zu tempokrass erscheinen, aber die Musik lodert hinreißend. Feine Ausdrucksvaleurs kommen deswegen nicht zu kurz. So ist das Vorspiel ein Chiffontuch in Tönen, und das Finale verebbt nahezu in Jenseitigkeit. Wermutstropfen in der Premiere: die rhythmische Übereinstimmung mit den lontano-Trompeten beim Triumphmarsch war desolat.
Zur Inszenierung, wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen will. Das verantwortliche Team lehrt mit seiner Unbedarftheit nachgerade das Fürchten. Die Kostüme greifen den Ausstattungsetat heftig an (primär beim Chor – nota bene hervorragend dank Fabio Mancini). Aber wie Sarah Rolke die figürlich nicht ganz unproblematische Sängerin der Amneris in kurze Cocktailkleider steckt, ist schon ein Affront. Bühnenbildner Nikolaus Webern bietet coole Räume ohne jedwedes Flair. Die nach vorne schräg zulaufenden Wände (ab Nil-Akt) sind an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten. Daß er das Liebespaar am Ende mit etlichen herabfahrenden Quadratwänden immer mehr „begräbt“, ist zwar erklärte Idee, aber visueller Mummenschanz.
Viele Weisungen dürften freilich von Regisseur Jacopo Spirei stammen. Sein Credo: „Aida“ ist „eine Oper, die viele Geheimnisse in sich birgt. Mit unserer Inszenierung wollen wir ein paar dieser Geheimnisse aufdecken und das Wesen des Werkes offenlegen.“ Aber das Geheimnis dieser Inszenierung ist größer als das Geheimnis des Todes.
Auch sonst plaudert Spirei Absichten aus, die nett gemeint sind. Auf der Bühne sieht man jedoch weitgehend Biederes wie das „Grab“, eine lediglich etwa fünf Quadratmeter große Fläche, auf welcher sich Aida kaum verstecken kann. Sie liegt unter einem schwarzen Tuch also gleich da, was Radames allerdings erst bemerkt, als sich seine Geliebte aus dem Stoffballen herauswindet. Und dann tritt Amneris für ihren Schlußgesang ganz simpel und frontal aus der Seitenbühne heraus. Man traut seinen Augen nicht.
Eine besonders hübsche Idee. Nach der Pause gibt es Wasser auf der Vorderbühne, „um den Nil und seine Herausforderungen für die dort lebenden Menschen darzustellen“. Magie eines großen Stromes? In diesem kleinen Bächlein helle mag Schuberts Forelle Platz finden, aber für Spireis verwegene Regieidee reicht es nicht. Doch müssen sämtliche Akteure wenigstens einmal in dem Rinnsal herumplantschen, ob es Sinn macht oder nicht.
Auch sonst erweist sich die Inszenierung als komplett defizitär. Auf der übervollen Bühne bei der Triumph-Szene bewegt sich fast nichts. Außer dem auf jung getrimmten König (stimmlich gut: Denis Velev), der wie ein tumber Entertainer tänzelnd mit seinem Volk schäkert. Daß bei seinem kaum als sinnstiftend zu denkenden Regierungsstil die Priester unter Ramfis (durchaus hoheitsvoll: Shavleg Armasi) das Sagen haben, kann nicht verwundern.
Im Ensemble (durchsetzt mit Gästen) etliche neue Namen. Vorrangig ist die Südkoreanerin Hyona Kim als Amneris zu nennen. Ihr erotisch getönter Mezzo gleicht einem Vesuv, jeder Ton ist perfekt zentriert. Durch ihren Gesang wird die ägyptische Königstochter auch ohne Regie zu einer überzeugenden Gestalt. Elena O’connor gibt eine nicht ganz ebenmäßig vokalisierende Aida, vermittelt aber das Leidenspotential der gedemütigten Sklavin beeindruckend. In der Premiere ließ sie in der Nil-Arie den Aufstieg zum hohen „C“ weg, beschränkte sich auf die beiden Spitzentöne. Vermutlich Nervosität. Als Radames bietet Hector Sandoval etliches heldisches Potential und überzeugt auch als Darsteller. Daß er ständig an seinen Gefängnisketten rüttelt, wurde ihm wohl aufoktroyiert. Den Schluß von „Celeste Aida“ gestaltet er im Piano, doch wirkt der Ton nicht genügend gestützt (man höre Jonas Kaufmann in der Gesamtaufnahme unter Antonio Pappano). Der erst 28 Jahre alte Südafrikaner Mandla Mndebele ist als Amonasro ein richtiges Mannsbild, kraftvoll in Statur und Stimme; vom Dortmunder Publikum wird er sogleich ins Herz geschlossen. Den Botenbericht gibt Fritz Steinbacher schönstimmig, bei leichten Schwierigkeiten in der Höhe.
Ausgiebiger Beifall der Zuschauer, besonders für Feltz, Hyona Kim und wie eben erwähnt Mndebele. Für die Inszenatoren meldeten sich auch einige Proteststimmen, die durchaus vehementer hätten ausfallen dürfen.
Das einzige HONORARFREI Foto (!) ist von Björn Zickmann / Stage Pictures
Christoph Zimmermann (6.10.2018)