12. 2. 2016 (2. Vorstellung nach der wegen einer Bombendrohung abgebrochenen Premiere vom 4. 2. 2016)
Szenisch und musikalisch herausragend!
Anstelle einer Premierenkritik konnte man am Morgen nach dem Premierentag in der lokalen Zeitung lesen:
„Es war eine Opernpremiere, die die Besucher des Stadttheaters Klagenfurt wohl lange nicht vergessen werden. Der zweite Akt von Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ lief gerade im ausverkauften Theater, als am Donnerstag um 20.44 Uhr bei der Polizei eine telefonische Bombendrohung einging. Die Theaterleitung rund um den Intendanten Florian Scholz wurde informiert – man entschied sich daraufhin das Stadttheater evakuieren zu lassen.“
Gott sei Dank fand man keine Bombe, aber inzwischen hat schon die politische Diskussion begonnen – in einer Zeitung wird berichtet, wonach Gemeinderäte den Vorwurf in den Raum stellen, dass man vonseiten der Intendanz die Absage aufgeschoben habe, um die Aufführung nicht wiederholen zu müssen (die Vorstellung gilt im juristischen Sinn im Fall eines Abbruches nach der Pause als gespielt). Wie auch immer: die Premiere wurde nicht nachgeholt und so wurde die für 6. Februar regulär geplante Aufführung zur ersten vollständigen Aufführung – Ausschnitte der darüber veröffentlichten, aber nicht online zugänglichen Zeitungskritiken der Lokalzeitungen findet man hier auf der Homepage des Theaters. Überregionales Echo hat die Aufführung bisher nicht gefunden – und die verdient sie wahrhaft!
Über die Grundidee der Inszenierung schreibt der venezolanische deutschstämmige und in England ausgebildete Regisseur Carlos Wagner folgendes: „Bei uns scheint auf den ersten Blick alles so zu sein, wie es in der Geschichte sein soll: Butterfly ist Japanerin und Pinkerton ein amerikanischer Marine-Offizier. Der Kontext aber versucht dem veristischen Inhalt des Stückes einen symbolischen hinzuzufügen: Eine Bühne in der Bühne, die den Traum, die Illusion, Butterflys Liebesvorstellung, einem realen amerikanischen Zuschauerraum gegenüberstellt…In dem Bühnenbild wird das Aufeinandertreffen der Kulturen sichtbar: die Welt der Butterfly ist eine künstliche bzw. auch künstlerische, eine Illusion. Daneben gibt es einen Raum, der von westlicher Industrialisierung geprägt ist.“
Das im Programmheft mit klugen Worten dargestellte Konzept ist auf der Bühne überzeugend aufgegangen – es bildet den hervorragenden szenischen Rahmen (Bühne: Rifail Ajdarpasic, Kostüme: Sonja Alpartus) für eine auch musikalisch herausragende Aufführung – man kann dem Stadttheater Klagenfurt und allen Ausführenden nur gratulieren und allen an zeitgemäßem Musiktheater Interessierten nur dringend raten: hinfahren und sich diese sehens- und hörenswerte Produktion anschauen! Im Mittelpunkt des Abends stand die alles überragende armenische Sopranistin Liana Aleksanyan. Der Neue Merker machte mit ihr im Oktober 2014 ein ausführliches Interview und schrieb: ein lyrischer Sopran mit Koloraturen auf dem Weg ins dramatische Fach und am Ende: Man wird von Liana Aleksanyan in den nächsten Jahren noch viel hören. Und tatsächlich: inzwischen hat sie u.a. an der Hamburgischen Staatsoper und am Teatro Colon gesungen. Als Butterfly hier in Klagenfurt erlebte man sie nicht nur als eine hervorragende Sängerin mit einer sehr schön timbrierten und in allen dynamischen Abstufungen technisch perfekt geführten Stimme, sondern auch als eine berührende Bühnenpersönlichkeit. Jede Bewegung scheint genau durchdacht, aber gleichzeitig aus dem Augenblick der Situation heraus entwickelt zu sein. In ihrer Darstellung verband sich offenbar eine exzellente Personenführung durch den Regisseur mit individuellem Bühnencharisma der Sopranistin. An einem Detail sei das verdeutlicht:
Bei der Hochzeitszeremonie breitet Butterfly ihre bescheidenen Habseligkeiten vor Pinkerton aus – aber diese kleinen Dinge sind real als Requisiten gar nicht vorhanden, sondern werden nur durch Handgesten angedeutet. Und so gibt es in dieser Regiearbeit viele liebevolle Details, die sich nie in den Vordergrund drängen. Der Regisseur hat Elemente des traditionellen Kabuki-Theaters sehr geschickt eingebaut und dadurch die musikalischen Ruhepunkte zur Geltung kommen lassen. Sparsame, stilisierte Bewegungen reichen – ja sie vermitteln den musikalischen Gehalt wesentlich überzeugender als übertriebene Aktion. Die getreuen Begleiter aus östlicher und westlicher Welt – die Dienerin Suzuki und der Konsul Sharpless – bilden gleichsam den stützenden und vermittelnden Rahmen für das Seelendrama von Cio-Cio-San – beide Rollen sind ebenso hervorragend besetzt.
Die Sizilianerin Anna Pennisi kennt man in Klagenfurt schon durch ihre gediegenen Leistungen als Dorabella in Così fan tutte und als Hermia in Brittens Sommernachtstraum. Die Suzuki, die sie bereits im Vorjahr in Rom mit schönem Erfolg gesungen hat, erfüllt sie mit ihrer warmtimbrierten Stimme und ihrem bescheidenen, aber stets präsenten Spiel ausgezeichnet. Im berühmten Blütenduett verbindet sich ihre Stimme ideal mit der Sopranstimme. Sie verkörpert ebenso wie der aus Verona stammende Gianfranco Montresor als Sharpless beste italienische Gesangstradition.
Gianfranco Montresor ist ein eleganter Mann von Welt. In seiner gesanglich untadeligen Interpretation wirkt er immer überzeugend, nie verlegen herumstehend, sondern immer anteilnehmend spürbar präsent. Das ist übrigens eine besondere Stärke der Klagenfurter Produktion: nie wirkt etwas peinlich oder kitschig – ständig folgt man dem Geschehen mit Anteilnahme und Spannung. Die Personenführung von Solisten und Chor wirkt stets genau überlegt und belässt gleichzeitig den Figuren ihre Natürlichkeit. Und das zeigt sich auch an der Figur des Pinkerton in der Interpretation des aus Litauen stammenden Merūnas Vitulskis. Er stellt überzeugend den jungen Amerikaner dar, der sich so gar nicht für die Sitten und Gebräuche der subtilen und ritualisierten japanischen Welt interessiert, sondern in einer charmant-unbeholfenen Art aus dem Augenblick heraus handelt – etwa als er zum Entsetzen von Cio-Cio-San jenen Dolch an sich reißt, mit dem sich ihr Vater selbst getötet hat, und ihn – wohl als Zeichen männlichen Besitzergreifens – im Liebesduett des ersten Aktes durch die Schleppe des Hochzeitskleides in den Boden rammt.
Und fast ist man versucht, auch seine gesangliche Leistung als Bestandteil des Gesamtkonzepts aufzufassen. Der junge Litauer singt kraftstrotzend und mit durchaus beeindruckenden Spitzentönen. Allerdings vermag er nicht die lyrischen Finessen der Rolle auszufüllen – ganz im Gegensatz zu dem vielfältigen stimmlichen Farbenspektrum, das uns die Titelheldin in absoluter stimmtechnischer Sicherheit
vermittelt, bleibt Merūnas Vitulskis eindimensional, ein wenig grobschlächtig. So wie man es schon bei seinem Macduff im Herbst 2013 feststellen musste: das Forte beeindruckt durch Glanz und Kraft, aber ab Mezzoforte und gar im Piano verliert die Stimme ihren Sitz und Kern – schade. Aber wie gesagt: als Figur fügt er seinen Pinkerton überzeugend in das Gesamtbild ein.
Alle kleineren Rollen sind ausgezeichnet und adäquat besetzt: so ist Marlin Miller ein prägnanter Goro, Woohyun Park ein exemplarischer Yamadori, Jihoon Kwon ein respektvoller Standesbeamter und Kommissar und Larissa Gabshiy verkörpert diskret eine elegante Kate Pinkerton. Der Chor (Leitung: Günter Wallner) singt und spielt mit Animo – dazu ein kleiner Verbesserungsvorschlag für den hinter der Bühne gesungenen Part: sowohl beim Auftritt im 1.Akt als auch beim Summchor und bei den Rufen der Seeleute im letzten Akt ist die akustische Aussteuerung der Lautsprecher nicht optimal – das klang – übrigens ebenso wie bei dem aus dem Off singenden Onkel Bonze – merkwürdig hohl.
Ausgezeichnet war das Dirigat des jungen Briten Alexander Soddy – Opernchef des Hauses und demnächst GMD in Mannheim. Schon mit den ersten Takten des Vorspiels – da spielten die Geigen wirklich vigoroso, wie in der Partitur vermerkt – war die Aufmerksamkeit des Publikums mit einem kräftigen Akzent geweckt. Soddy verstand es, mit dem sehr gut disponierten Orchester den Spannungsbogen über den ganzen Abends zu spannen, ohne dabei die gerade in diesem Werk so wichtigen Ruhepunkte zu vernachlässigen. Ganz wunderbar und in idealer Abstimmung mit der Sopranistin gelangen beispielsweise im 2.Akt in der großen Szene „Un bel di vedremo“ die Fermaten auf den Achtelpausen, bevor die Singstimme mit den Triolen „chi sarà, chi sarà“ wieder das Tempo aufnimmt und im nächsten Augenblick (nach schönem Oboensolo!) wieder innehält. Das war großartiges gemeinsames Musizieren und Atmen zwischen Bühne und Orchester. Für die musikalische Gesamtleistung gilt das, was auch für die Inszenierung gilt: es gab durch alle drei Akte hindurch keinerlei Nachlassen der Spannung – immer waren Szene und Musik beisammen in einem erfüllten Gesamtzusammenhang.
Das Publikum im wohl ausverkauften Haus dankte den Ausführenden mit standing ovations – es war ein großer Abend des Stadttheaters Klagenfurt. Nochmals sei wiederholt, was ich zu Beginn schrieb:
Hinfahren und sich diese sehens- und hörenswerte Produktion anschauen – und das gilt nicht nur für Puccini-Fans, sondern für alle, die zeitgemäßes, ein Werk nicht veränderndes, aber erfrischend neu erweckendes Musiktheater erleben wollen!
Hermann Becke, 13. 2. 2016
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Arnold Pöschl
Hinweise:
– 11 weitere Termine im Februar und März 2016
– Video – Probenausschnitte samt Interviews mit dem Regisseur und der Hauptdarstellerin
– Die letzte Opernpremiere in Klagenfurt wird am 7. 4. 2016 stattfinden: Bellinis I Capuleti e i Montecchi