Prag: „Mefistofele“

Vorstellung am 29.5.2015

Einer der wichtigsten Beiträge Arrigo Boitos zum Opernuniversum ist neben den genialen Libretti für Verdi zweifellos seine “Faust”-Oper, für die er natürlich auch das Libretto selbst verfasste. Er hat aus dem Goethe-Drama sowohl Szenen aus dem 1. wie aus dem 2. Teil verarbeitet und daraus ein kompaktes 3-stündiges Werk gemacht. Die Prager Aufführung hat einen Aspekt, der diese “Faust”-Version auszeichnet, besonders deutlich zur Geltung gebracht: Faust ist hier weniger der lebensmüde Denker als der Idealist, der die Welt verbessern will – mit Gottes Hilfe. Nicht umsonst besingt der Chor der Engel zu Beginn und am Ende der Oper im “spazio immenso” Gottes “supremo amor” – vom Chor der Staatsoper Prag (Leitung: Martin Buchta, Adolf Melichar) incl. Kinderchor (Zdena Součková) mit voller Überzeugunskraft dargeboten. Bis der Teufel sich zu Wort meldet…Der Idealismus des einen ebenso wie die Zerstörungssucht des anderen fesselten an diesem Abend dank hervorragender Sänger. Warum ich mit Kollegin Habermann gerade diese Aufführung besuchte? Die beiden männlichen Hauptrollen waren mit zwei Sängern besetzt, die wir auch schon im Merker-Kunstsalon zu Gast hatten und deren Karriere wir seither mit besonderem Interesse verfolgen.

Der großartige Mefistofele dieses Abends hat es seit seinem Auftritt bei uns im Jahre 2001 als Schüler von Jewgeni Nesterenko, die damals zusammen die Szene König Philipp-Großinquisitor gestalteten, bis an die Met, die Mailänder Scala und Wiener Staatsoper (Philipp, Komtur, Banco, Raimondo) grabracht. Und unser Tenor (demnächst wieder bei den Weikersdorfer Schlosskonzerten in Baden zu hören) singt ein breites Repertoire vom großen italienischen Fach bis zum Lohengrin und trat u.a. an der Deutschen Oper Berlin als Aeneas in den “Trojanern” auf. Der slowakische Bassist Štefan Kocán hat die Titelrollenehren mehr als gerechtfertigt. Groß, schlank und fesch, konnte er – ohne viel Maske –allein durch seine Erscheinung den Verführer glaubhaft machen. Wie er sich mit schwungvoller Eleganz den goldenen Mantel um die Schultern wirft, wie er den weißen Luftballon, der die Welt darstellen soll, mit einer langen Nadel ansticht – “Ecco il mondo!” – oder sein diabolisch-zufriedenes Grinsen, wenn er den verzweifelten Faust auf einem Seziertisch wie eine Leiche abserviert – das war echt teuflisch. Von aggressiver Härte bis zu verschlagenen, gehauchten Bosheiten brachte seine schwarze, aber auch geschmeidige Stimme alle Nuancen zum Ausdruck. Der aus Rumänien gebürtige Daniel Magdal mit seinem nicht nur kraftvollen und höhensicheren, sondern auch interessant timbrierten Tenor vermochte die weitgespannten Visionen und Intentionen des Faust ebenso Klang warden zu lassen wie Liebe und Verzweiflung. Sein vielsagender Gesichtsausdruck trägt zu einem überzeugenden Rollenporträt bei. Auch Alžbĕta Poláčková sang mit ihrem schönen lyrischen Sopran eine berührende Margherita. Traumhaft schön ihr Duett mit Faust “Lontano, lontano…” in einem bereits von der irdischen Welt abgehobenen Piano. Eine auffallend schöne Simme hörten wir vom jungen Tenor Martin Šrejma als Wagner und Nereo. Solide die Ensemblemitglieder Jana Sykorová als Marta, Jitka Svobodová Sylva Čmugrová als Panthalis.

Einen großartigen Dirigenten lernten wir in Marco Guidarini kennen. Mit derart klarer Zeichengebung kann nur ein optimales Resultat erzielt warden. Mit viel Energie und Feingefühl gibt der italienischehe Maestro nicht nur Einsätze, sondern deutliche Vorgaben, wie die Musik zu klingen hat bzw. was sie zum Ausdruck bringt. Die Übereinstimmung von Graben und Bühne versteht sich von selbst. Mit Totaleinsatz dankte ihm das Orchestr Státni opery. Über die Inszenierung wurde bereits im “Merker” 4/2015 berichtet.

Sieglinde Pabigan 1.6.15 (Merker-online)

Bilder: Staatsoper Prag

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