B-Premiere am 04.12.13, (A-Premiere am 24.11.13)
Glanzvolle Wiedereröffnung des Staatstheaters mit viel Bühnentechnik
Das Saarländische Staatstheater feiert 75-jähriges Jubiläum. Man erinnere sich: „Heim ins Reich“ war eine der Parolen anlässlich der Volksabstimmung 1935 im Saargebiet über dessen Zukunft. Der Ausgang der Abstimmung ist bekannt: 90% der Saarländer stimmten für „Heim ins Reich“. Um ein Zeichen germanischer Kultur gen Westen zu senden, wurde sogleich ein neues Theater erbaut, das 1938 fertig gestellt wurde. Bereits 1942 wurde es in einem Luftangriff zerstört – in dem vom „Reich“ entfesselten Krieg. Eine Foto-Ausstellung im Foyer dokumentiert die erste, nur vierjährige Lebenszeit des Theatergebäudes. So wird die Neuinszenierung der Tosca, in der Gewaltherrschaft und Unterdrückung thematisiert werden, am Saarländischen Staatstheater zugleich zu einem Mahnruf.
Viktoria Yastrebova (Tosca), Mickael Spadaccini (Cavaradosis)
Vor dem 75-jährigen Jubiläum war das Theater indes einige Monate geschlossen, da die Landesregierung in anderen Ländern wäre das eine Kreisverwaltung) als Geburtstagsgeschenk eine neue Bühnentechnik „spendiert“ hatte. 15 Mio.Euro durften ausgegeben werden, und der Kostenrahmen wurde sogar eingehalten! Zwischenzeitlich wurde im Opernzelt gespielt. Mit der Tosca-Premiere am 24.11.13 wurde zugleich der feierliche Wiedereinzug ins Staatstheater gefeiert. Aber wegen des Ausfalls einer sicherheitsrelevanten Komponente dieser Bühnentechnik musste die zweite Vorstellung "Tosca" am 30.11.13 leider ganz kurzfristig abgesagt werden. Besucher konnten ihre Karten eintauschen – zum Beispiel für die hier besprochene Vorstellung am 04.12.13, die somit zur B-Premiere avancierte.
Viktoria Yastrebova Tosca
Tosca ist wohl die Oper, die geschichtlich an genauesten verortet ist und in der gar ein historisch präzises Ereignis eine wesentliche dramaturgische Bedeutung spielt: die Schlacht von Marengo am 14. Juni 1800. Auch die Spielorte der drei Akte sind historisch verbürgt und können noch heute in Rom besichtigt werden. Diese Spielorte (Sant’Andrea della Valle, Palazzo Farnese, Castello Sant’Angelo) werden in der Inszenierung auch zitiert. Aber die Handlung wird dennoch in eine zeitlose Gegenwart verlegt, denn Gewaltherrschaft und Unterdrückung sind leider bis heute nicht abgeschafft. Erst wenn das allenthalben erreicht werden sollte, wird der Tosca-Stoff museal. Der Handlungsablauf der Oper ist vom mittäglichen oder abendlichen Angelus-Gebet bis zum nächsten Morgen um vier Uhr in drei quasi in Echtzeit ablaufenden Akten extrem gedrängt: von einem eher heiteren Eröffnungstableau bis zur totalen Katastrophe. Die drei Hauptpersonenmachen in dieser kurzen Zeit fatale Entwicklungen durch: der liberale, lebenslustige Maler Cavaradossi gerät in eine Geschichte, die zu seiner Exekution führt; Scarpia lässt in seiner Begehrlichkeit die Vorsicht außer Acht und wird erstochen. Am schlimmsten trifft es Tosca: Liebe, Eifersucht, Verrat, drohende Vergewaltigung, Mord, Selbstmord in kaum mehr als einem halben Tag.
Olafur Sigurdarson (Scarpia), Viktoria Yastrebova (Tosca)
Auf diesen Absturz der Tosca bezieht sich die Regisseurin Dagmar Schlingmann, Intendantin des Saarländischen Staatstheaters, mit dem Gedanken einer im Bildhaften bestehenden Rahmenhandlung. Zu den wenigen Schlägen der Ouvertüre und jeweils den einleitenden Takten der drei Akte wird auf den Schleiervorhang vor der Bühne das Bild einer im taumelnden Fall befindlichen, prächtig gekleideten Frau projiziert (Video: Heiko Kalmbach) Tosca fällt von der Engelsburg; in Sekunden erlebt sie Nahtod-ähnlich das abgelaufene Geschehen: Die Tosca-Geschichte aus der Rückschau. Neugierige Gaffe strömen herbei. Die gibt es dann auch auf der reellen Bühne im dritten Akt, als die Leute sensationsgeil auf Cavaradossis Exekution warten und dabei auch die Schnapsflasche nicht vergessen haben. Dramaturgisch fällt diese Szene deutlich hinter die Stringenz des Gesamtwerks zurück: wo kommen diese Leute oben auf der Engelsburg denn her? Haben die Eintritt bezahlt? Vor der Exekution werden sie weggescheucht; wohin? Das in Auftrag und Interesse des Staates handelnde Personal kommt jeweils ganz brav die Treppe herauf.
Mickael Spadaccini (Cavaradossi)
Ansonsten inszeniert Frau Schlingmann die Oper überwiegend sehr nahe am Libretto und dessen sehr detaillierten Szenenanweisungen und geht mit der Bebilderung kein weiteres Risiko ein. Sabine Mader hat das Bühnenbild gebaut. Für den ersten Akt sehr originell ein Kirchenraum auf dem großen Drehteller mit Altar Kerzentisch und locker verteilten Kirchenstühlen. Durch Drehen erscheint hinter dem Altar Cavaradossis Gemälde der Magdalena überlebensgroß mit einem dreigeschossigen Gerüst davor; für zusätzliche Abwechslung sorgt, dass die Drehbühne angehoben und abgesenkt werden kann. Die Kapelle wird mit ihren schmiedeeisernen Gittern dargestellt, daneben die notorische Muttergottesstatue. Im zweiten Akt gibt es Scarpias Saal im Palazzo Farnese; bühnengroß und bühnenhoch mit Renaissance-Gemälden. Hinter einem Schleiervorhang hinten auf der Bühne kann durch Beleuchtungseffekte (Nicol Hungsberg) der Chor sichtbar gemacht werden, der die Kantate anstimmt. Musikalisch führt das zu einer wesentlichen dramatischen Schärfung der Szene, da der Chorgesang mit Toscas Stimme nun viel präsenter ist, als wenn er gedämpft durch eine Tür aus dem Off kommt. Tosca sticht nicht nur einmal zu und beschließt den vor Emotion und Gewalt knisternden Akt, ohne Scarpia das Kruzifix auf die Brust zu legen oder den Kerzenständer neben ihn zu stellen. Die Seitenwände des Palazzo krachen herunter. Der letzte Akt spielt vor der schwarz bedrohlichen Kulisse des Petersdoms auf einer kargen Spielfläche, zu der eine nüchterne Treppe hinaufführt. Dass das Erschießungskommando nicht in historischen Uniformen antritt, versteht sich, mafiöse Gestalten agieren mit Pistolen. Inge Medert hat die Akteure in modern-zeitlose Kostüme gesteckt; lediglich Scarpia und Spoletta sind angesichts ihrer reaktionären Gesinnung mit einer goldenen gestickten Weste ausgestattet worden; Scarpia dazu mit einem Gehrock über Stiefeln, die den Gewaltmenschen charakterisieren. – Die Bewegung des Bühnenpersonals ist stets gut durchdacht, teilweise auch spannungsgeladen, obwohl das eine oder andere in der Realisierung noch etwas unbeholfen ist. Zur quasi-Perfektion hätten wohl noch ein paar Proben gehört. Insgesamt hinterlässt die Inszenierung einen guten geschlossenen Eindruck.
Mickael Spadaccini (Cavaradossi)
Sie wurde in der Qualität der musikalischen Realisierung noch deutlich übertroffen. Das Saarländische Staatsorchester musizierte unter der Leitung von Will Humburg eine dramatische, spannungs- und emotionsgeladene Tosca-Partitur mit ihrer über die ganze Spannbreite der Facetten immer typischen tinta. Vom feinen, ans süßlich grenzenden Violinenschmelz bis zu den Gewalttaten der großen Trommel, von den energetisch aufgeladenen unisono-Formeln der tiefen Streicher zum Angriff der Posaunen mit zwei Bass-Instrumenten oder den Farbgebungen der makellos intonierenden Hörner und der Holzbläser, bei denen auch jeweils die tiefen Instrumente (Bassklarinette und Kontrafagott) ihre Wirkung nicht verfehlten. Alles kam mit großer Präzision und bester Plastizität, ob zart-filigrane kammermusikalische Passagen oder die Ausbrüche der tutti, bei denen Humburg den Sängern viel abverlangte. Der zweite Akt mit vielen dramatischen Schärfungen, mit dem Chorgesang quasi auf offener Bühne, mit Energiefreisetzungen in der Musik wie in dem teilweise gewalttätig ausgetragenen Konflikt Tosca-Scarpia stellte musikalisch wie dramatisch den Höhepunkt dar. Klangschön und präzise dazu der Opernchor des Staatsorchesters; quirlige-lebendig der Auftritt des Kinderchors (jeweils eine dankbare Aufgabe für die Regie) (Choreinstudierung: Jaume Miranda).
Dazu konnte das Staatstheater mit einer prächtigen Besetzungsliste aufwarten. Olafur Sigurdarson vom Ensemble des Theaters, der prominente Bassbariton-Partien schon in ganz Europa gesungen hat, verlieh mit untersetzter Gestalt dem Macht- und Gewaltmenschen Scarpia Profil. Sein kultiviertes stimmliches Material schien zuerst fast zu nobel für den Schurken, aber im zweiten Akt trat zu seinem szenisch-emotional geschärften Auftreten auch zunehmend die stimmliche Gewalt und Schwärze hinzu. Diesem Potential war Victoria Yastrebova als Gast vom Mariinsky Theater szenisch nicht gewachsen und musste zwangsläufig zum Messer greifen (in dieser Inszenierung ein etwas klägliches Instrument). Frau Yastrebova, von überwältigender Bühnenerscheinung, gab eine szenisch völlig überzeugende Floria Tosca von der romantisch Liebenden, zur Eifersüchtigen und ohnmächtig Verzweifelnden in der Auseinandersetzung mit Scarpia. Ihr betörend eingedunkelter jugendlich-dramatischer Sopran hat eine schöne Leuchtkraft, allerdings – wahrscheinlich muttersprachlich bedingt – von etwas monochromer Farbgebung. Wie eine kurze Ruhe im dramatischen Sturm des zweiten Akts wirkte ihr „vissi d’arte“, das sie mit inniger Hingabe gestaltete. Auf auftrumpfende Durchschlagskraft verzichtete sie ohnehin. Dafür stand vielmehr Mickael Spadaccini, seit dieser Spielzeit fest im Ensemble, der sich als Cavaradossi mit kraftvollem, bronzenen Tenormaterial bestens in Szene setzte. Ganz bewusst powerte er mit seinem „Vittoria“ im zweiten Akt. Sein Portamento und die zart angedeuteten Schluchzer verliehen seinem Gesang auch noch den richtigen Schuss Italianità. Glückwünsche ans Staatstheater zu diesem Tenor! Mit Hiroshi Matsuis mächtigem Bass war die Rolle des Angelotti besetzt; Markus Jaursch mit hellem Bariton verlieh dem Mesner jugendliche Gestalt. Algirdas Drevinskas sang die kurzen Passagen des Spoletto mit gut geerdetem Tenor.
Aus dem nur mäßig gut besuchten Haus erhielten die Mitwirkenden lang anhaltenden, herzlichen Beifall mit Bravi für Mickael Spadaccini und den Dirigenten – hier natürlich auch stellvertretend für das famose Orchester. Vom 06.12.13 bis 26.03.14 noch vierzehn Mal: TheaterSaarbrücken.
Manfred Langer, 05.12.13
Fotos: Thomas M. Mauk