Aufführung am 18.8.19 (Premiere am 15.8.)
Zeitversetzt, aber modern?
Giuseppe Verdis Schmerzenskind aus 1857 wurde auch nach der gründlichen Umarbeitung von 1881 unter der Mitarbeit von Arrigo Boito nicht zum Publikumsrenner. Im Salzburger Sommer war das Werk erst ein einziges Mal auf dem Programm gestanden – das war im fernen 1961 mit Tito Gobbi in der Titelrolle.
So wie es sich damals um eine der historischen Epoche Rechnung tragende Inszenierung handelte, so war sie fast 60 Jahre später „selbstverständlich“ zeitversetzt. Tatsächlich geht es um eine Handlung, wie sie sich auch – und gerade – heute abspielen könnte, sieht sich der Doge Boccanegra doch gezwungen, einen großen Aufruf für „Frieden“ und „Liebe“ an die einander bekämpfenden Parteien zu machen: Ob das Patrizier gegen Plebejer oder Rechte gegen Linke sind, spielt ja nun wirklich keine Rolle. Hier geht es auch um Genua gegen Venedig – ein blinder Lokalpatriotismus, den man in größerem Maßstab durchaus mit Nationalismus übersetzen kann.
Also keine schlechten Voraussetzungen für Regisseur Andreas Kriegenburg, der die Aktualität der Themen allerdings mit Hilfe von Äußerlichkeiten aufzeigen wollte. So liefen die Verbindungen der verschiedenen Gruppen von Verschwörern ausschließlich über Mobiltelefone, wobei (erfundene) Texte projiziert wurden. So weit, so gut, aber damit wirklich alle verstanden, worum es ging, mussten die Verschwörer während des Gehens gekrümmt auf ihre Geräte starren, was eher auf heftiges Darmgrimmen denn auf Rachegedanken schließen ließ. Auch dass die tobende Volksmenge drohend ihre Handys reckte, wirkte schablonenhaft. Als im zweiten Teil szenisch keine großen Choreinsätze mehr zu bewältigen waren, wirkte Kriegenburgs Regie entspannter und besser auf die Solisten fokussiert. Unglücklich war allerdings der Einfall, den Dogen nach Einnahme des Giftgetränks und der zu Herzen gehenden Phrase „Persin l’acqua del fonte“ auf einem Klavier sich ausstrecken zu lassen, was in der Premiere zu Lachern im Publikum führte.
Bei dieser ersten Reprise begnügte sich der Titelheld Luca Salsi aus freien Stücken damit, vor der Tastatur des Klaviers zusammenzusinken, womit Lacher prompt verhindert wurden (das den Regisseuren ins Stammbuch). Mit Ausnahme des vor einem Gazevorhang spielenden Prologs war das Instrument dann immer zu sehen, und Gabriele Adorno begleitete sich bei seiner Auftrittsarie dabei (bzw. tat er so als ob). Ansonsten war das Bühnenbild von Harald B. Thor überzeugend geraten, denn ein paar Sträucher zeigten passend die Idylle zwischen Gabriele und Amelia an, während die rechte Bühnenseite von einem massiven Bau gefüllt war, der wohl an demokratische Parlamente, aber auch an den Stil faschistischer Monumentalbauwerke erinnerte. Sehr intensiv die Beleuchtung durch Andreas Grüter und vor allem auch die Videoprojektion von Peter Venus, die das Meer und seine Bedeutung sowohl für Genua, als auch für den Ex-Korsaren unaufdringlich ins Bild brachte. Die Kostüme von Tanja Hofmann? Tja, zeitgenössisch eben, und nicht unbedingt eine Hilfe, um die Persönlichkeit von Sängern zu unterstreichen.
Die musikalische Umsetzung war, mit winzigen Abstrichen, auf dem hohen Niveau, das man sich von diesen Festspielen erwarten – und nicht nur erhoffen – darf. Valery Gergiev ließ eine spannende, manchmal ein wenig rustikale Interpretation hören, die von den mit dem Werk bestens bekannten Wiener Philharmonikern in wundersamer Schönheit umgesetzt wurde. (Dass Gergiev den Gesangssolisten praktisch keine Einsätze gibt, wird von den opernerfahrenen Musikern spielend aufgefangen). Luca Salsi in der Titelrolle bot eine Interpretation, die in der Erinnerung bleiben wird. Es gab nicht nur die volle, schön timbrierte, die Register untadelig wechselnde Baritonstimme zu hören, sondern auch einen Gestalter voller vokaler Nuancen, welche die von der Regie teils um ihre menschliche Größe gebrachte Figur zu voller Entfaltung brachten. Mehr als imposant auch René Pape als Boccanegras rachsüchtiger Gegenspieler Fiesco. Es war nicht nur eine Freude, anstelle der heute für die Rolle oft eingesetzten Bassbaritone einen echten Vertreter des verlangten Stimmfachs zu hören, sondern auch ein Genuss, die psychologischen Farben zu verfolgen, die der Künstler ab der Auftrittsarie in die Rolle einbrachte. Als Adorno war Charles Castronovo szenisch das Abbild eines testosterongesteuerten Jünglings; seine Stimme ist dramatischer geworden.
Eine gute vokale Leistung, obwohl die Stimmfarbe nach dem passaggio nicht ganz homogen blieb. Die Amelia Grimaldi der Marina Rebeka gefiel durch selbstbewusstes, ihren Gabriele Adorno zügelndes Verhalten, wobei ihr eher neutral timbrierter Sopran trotz einiger scharfer Höhen gute Technik zeigte. Als fieser Paolo konnte man bei André Heyboer durchaus schon die Anlagen zu Jago hören; stimmlich sicher, ist er vor allem dafür zu loben, dass die Gestalt Profil gewann, was mit deren äußerlicher szenische Reduzierung auf einen Bürokraten gar nicht so leicht war. Stimmlich nachdrücklich empfahl sich der junge Italiener Antonio Di Matteo als weiterer Verschwörer Pietro für größere Rollen. Als Hauptmann der Armbrustschützen zeigte Long Long mit seinen wenigen Phrasen, dass er seine verschiedenen Wettbewerbspreise nicht vergeblich errungen hat. Marianne Sattmann aus der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor ergänzte als Amelias Magd. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor glänzte mit großem Einsatz und Stimmschönheit.
Lange, begeisterte Zustimmung (mit Füßetrampeln) des Publikums.
Eva Pleus 25.8.19
Bilder: Ruth Walz