Premiere am 7.3.15
Musikalisch gelungen, szenisch misslungen
Franz Schreker war am 25. März 1919 von Dresden mit der Bahn nach Nürnberg unterwegs, um der Premiere seiner Oper „Die Gezeichneten“ beizuwohnen, als der Zug plötzlich im Bahnhof Irrenlohe in Schwandorf in der Oberpfalz anhielt. Vom Klang dieses Namens begeistert entwarf Schreker ein Libretto, das den Schauerromanen eines E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe nahe steht. Die Handlung der dreiaktigen Oper (seiner fünften) spielt im 18. Jhd. im Dorf und auf Schloss Irrelohe, auf dem ein Fluch lastet. Aus der Verbindung eines der Grafen mit einer Nixe wurde einst das Geschlecht derer von Irrelohe gezeugt, deren männliche Nachkommen seitdem regelmäßig eine Frau aus dem Dorf vergewaltigen und danach umnachtet sterben. Der derzeitigd Graf Heinrich hat einen Halbbruder Peter aus der Beziehung seines Vaters zur Schankwirtin Lola. Beide Männer werben um die Försterstochter Eva, die sich gleich Wagners Senta dazu berufen fühlt, den unglückseligen, von Wahn entflammten (Irrelohe!) jungen Grafen Heinrich, zu erlösen. Und da ist noch der ebenfalls irre Musikant Christobal, der einst mit Lola verlobt war, und der gemeinsam mit einem Musikantentrio jedes Jahr im Ort einen Brand stiftet und der nicht eher ruht, bis am Ende der Oper auch das Schloss Irrelohe in Flammen erlischt.
Das Motiv der feindlichen Brüder und der gemeinsamen Geliebten kennt man freilich sattsam aus Verdis il trovatore. Thaïs und Lakmé sind, neben der bereits genannten Senta, ebensolche Stereotype der aufopferungsbereiten liebenden Frau. Nach nur zweijähriger Kompositionszeit wurde die Oper schließlich am 27. März 1924 im Stadttheater Köln unter Otto Klemperer uraufgeführt. Trotz Wiederbelebungsversuchen in Bielefeld (1985), Volksoper Wien (2004) und Bonn 2010) konnte sich die am stärksten sinfonische von Schrekers Opern bislang leider keinen festen Platz im Repertoire sichern.
Max Frisch Erfolgsdrama „Biedermann und die Brandstifter“ war zu Lebzeiten des Komponisten zwar noch nicht bekannt, aber das große „Reinigungsfeuer“ erscheint schon als Motiv in Meyerbeers Le Prophète und natürlich in Wagners Götterdämmerung.
Nun bemühte sich das Pfalztheater Kaiserslautern um eine Wiederbelebung von Schrekers musikalischem Meisterwerk. Und der Versuch muss zumindest musikalisch als gelungen angesehen werden. Was da von dem auf der Hinterbühne spielenden Orchester des Pfalztheaters unter dem Dirigenten Uwe Sandner in den Zuschauerraum drang, war geradezu phänomenal. Und ebenso stimmgewaltig war auch der von Ulrich Nolte geleitete Chor und Extrachor des Pfalztheaters Kaiserslautern.
Und auch bei den Sängern der feindlichen Halbbrüder, Heiko Börner als Graf Heinrich und Wieland Satter als Peter, kann man nur eine Lobeshymne anstimmen, so textverständlich und leidenschaftlich interpretierten sie die so unterschiedlichen Charaktere der Rivalen um die Liebe von Eva.
Und großartig war noch die alte Lola von Katja Boost, mit robustem Mezzo kraftvoll vorgetragen. Adelheid Fink als Eva hatte leider hörbar mit den immensen gesanglichen Schwierigkeiten, mit denen Schreker ihre Partie gespickt hatte, zu kämpfen, sodass sich einige wirklich unschöne hohe Töne einschlichen. Ich hatte beim aufmerksamen Zuhören den Eindruck, dass die noch recht junge Sängerin ihrer Stimme mit einer solchen Kraftanstrengung auch keinen wirklich guten Dienst erwiesen hat.
Hubertus Bohrer als Förster, Vladimir Gerasimov als Pfarrer und Peter Hamon als Müller oblagen die eher heiteren Sequenzen in dieser „Gothic Opera“.
Das Musikantentrio mit den beredten Namen Fünkchen, Strahlbusch und Ratzekahl wurde von Daniel Kim, Daniel Böhm und Alexis Wagner gegeben und spielte und sang zum Feuerzauber, den Uwe Eikötter als Hochzeitsspieler Christobald, veranstaltete, auf. Den Hauswart auf Irrelohe, Anselmus, besorgte noch Radoslaw Wielgus.
Aber das eigentliche Dilemma dieses Abends lag in der völlig uninspirierten bzw nicht vorhandenen Regie von Holger Müller-Brandes. Dabei hatte alles noch relativ interessant mit einem Damen Defilee in ausgefallenen lasziven Roben und extravaganten schwarzen Hüten begonnen und es war sofort klar, dass man hier das Weib an sich, jene femme fatal in immer neuer abgewandelter Form, Inhalt der Obsessionen derer von Irrelohe vor sich sah. Und dieses Objekt der Begierde wird schließlich zerstört, indem die männlichen Choristen mit Schaufensterpuppen tanzen und ihnen die Gliedmaßen ausreißen. Soweit so gut, dazwischen und danach ereignete sich aber so gut wie nichts auf der Bühne, außer dass einzelne Szenen von den Protagonisten mit einem großen Scheinwerfer ausgeleuchtet werden, um gleichsam das Auge des Betrachters und der Betrachterin auf eine bestimmte Szene zu fokussieren. Und völlig hilflos zeigte sich das Leading Team auch beim Feuer, welches Irrelohe verzehrt. Da wurde nicht einmal der Versuch unternommen, so etwas wie ein brennendes Furioso, das die Musik ja immerhin beschreibt, aufzuzeigen.
Aber für dieses szenische Desaster ist nicht nur der Regisseur, sondern auch sein Bühnenbildner Thomas Dörfler verantwortlich, der neben schwarzen Müllsäcken zwischen Zuschauerraum und Bühne drapiert, in denen sich das unheilvolle Dreieck Eva, Heinrich und Peter abwechselnd räkelt, wälzt und kämpft, nur noch eine schiefe Spielebene auf die Vorderbühne und drei Laternen an die rechte Bühnenseite stellt, Hochspannungsleitungen quer über die Bühne zieht und eine riesige Flamme hinter dem Orchester erstrahlen lässt, wohl als Memento der Oper gemeint.
Die Kostüme von Almut Blanke waren in erster Linie für das Defilee der Statistinnen überwältigend erdacht, sonst herrschte ein allzu beliebiges Einerlei vor. Der symbolträchtige Schleier, mit dem schon die alte Lola spielt, dient dann Peter dazu, sich als Braut zu kleiden und Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen. Eine dringend erforderliche Lichtregie, für die das Programmheft Manfred Wilking als Verantwortlichen nennt, habe ich vergeblich gesucht.
Es war für mich kein Wunder, dass einige Zuschauer in der Pause ihren Unmut darüber äußerten, mit dem Werk nichts anzufangen. Es wurde ihnen ja auch seitens des Regieteams keine nachvollziehbare und schlüssige Geschichte erzählt, die einem durchaus interessierten Publikum gerade eine wenig bekannte Oper erschlossen hätte. Eine große Chance, einem Werk von Franz Schreker seinen gebührenden Stellenwert im 21. Jhd. auf der Opernbühne zu sichern, wurde mit dieser Produktion leider vertan. Schade!
Fotocredits: Stephan Walzl
Opernfreund-CD-Tipp
„Friedenstag“ des Pfalztheaters wurde in der Kategorie Richard-Strauss-Jubiläums-Produktionen