CD: „Ein Maskenball“, Giuseppe Verdi

„Un ballo in maschera“ von Giuseppe Verdi, wurde erstmals am 17. Februar 1859 am Teatro Apollo in Rom gegeben. Das Libretto wurde von Antonio Somma nach dem Drama „Gustave III ou Le bal masqué“ von Eugène Scribe verfasst.

Die Handlung der Oper basiert lose auf historischen Ereignissen rund um den schwedischen König Gustav III., der im Jahr 1792 einem Attentat zum Opfer fiel. Verdi und Somma änderten jedoch den Namen des Königs in Riccardo und verlegten die Handlung nach Boston in der Kolonialzeit Amerikas, um politischen Konflikten und Zensur zu entgehen. Musikalisch ist „Un ballo in maschera“ ein Meisterwerk des italienischen Belcanto-Stils mit Verdis typischer melodischer Ausdruckskraft und dramatischen Intensität. Die Musik zeichnet sich durch eine Mischung aus lyrischen Arien, mitreißenden Ensembleszenen und eindringlichen Chören aus. „Un ballo in maschera“ ist im Hinblick auf seine harmonischen Raffinessen und orchestralen Farben bemerkenswert. Verdi verwendet geschickt chromatische Harmonien und moduliert zwischen verschiedenen Tonarten, um die emotionalen Nuancen der Handlung zu unterstreichen. Das Orchester spielt eine wichtige Rolle bei der Schaffung der atmosphärischen Stimmung der Oper, von lebhaften Tänzen bis hin zu düsteren und bedrohlichen Klängen. Die Oper erfordert erfahrene Sängerinnen und Sänger mit großem stimmlichem Umfang und Ausdrucksvermögen, um die vielfältigen Charaktere und ihre emotionalen Konflikte darzustellen. Die Rollen von Riccardo, Amelia, Renato und Ulrica stellen hohe Anforderungen an die Sänger in Bezug auf Technik, Kraft und Ausdruck.

Die vorliegende neue Gesamtaufnahme der Oper „Un ballo in maschera“ unter der Leitung des renommierten Altmeisters Marek Janowski ist nun beim Label Pentatone erschienen. Diese Aufnahme ist besonders bemerkenswert, da es das erste Mal ist, dass Marek Janowski eine vollständige Verdi-Oper für die CD dirigiert. Mit seiner langjährigen Erfahrung und seinem tiefen Verständnis für das Werk von Verdi bringt er eine gelungene Interpretation zu Gehör. Die Aufnahme wurde in Monte Carlo produziert und verfügt über eine z.T. gute Besetzung. Es ist begrüßenswert, dass Pentatone eines der wenigen Labels ist, das überhaupt noch Operngesamtaufnahmen produziert. Die Notwendigkeit dazu sei dennoch in Frage gestellt. Gerade im Falle des großen Meisters aus Busetto,  liegen zahllose Aufnahmen aus der Vergangenheit vor, noch dazu in herausragenden Besetzungen. Diesen Sängerstandard gibt es bedauerlicherweise heute nicht mehr. Und auch diese Neuaufnahme, so begrüßenswert das Projekt auch ist, zeigt dieses Dilemma auf. Wenn also geeignete Stimmen Mangelware sind, die über die rein stimmliche Bewältigung hinaus, stimmige Rollenportraits vermitteln, dann müsste doch zumindest in der musikalischen Ausarbeitung Besonderes realisiert werden. Aber auch hier, ist es, wie so oft: überzeugende Einzelleistung ergeben leider keinen homogenen Gesamteindruck.

Freddie De Tommaso beeindruckt als Riccardo mit seiner warmen und kraftvollen Stimme sowie seiner stimmlichen Souveränität. Seine Stimme reicht von einer sonoren Tiefe bis zu mühelos strahlenden Höhen. Obwohl er über viel Stimmgewalt verfügt, mangelt es ihm an Kreativität bei der Gestaltung seiner Rolle. Im Vergleich zu renommierten Sängern wie Carlo Bergonzi, Franco Bonisolli, José Carreras, Nicolai Gedda, Giuseppe di Stefano oder Richard Tucker kann er nicht im Ansatz mithalten. Dennoch liefert er hier stimmlich eine ansprechende Leistung ab. An seiner Seite ist Saioa Hernández als Amelia sängerisch eine gute Wahl. Sie singt mit Dramatik und Leidenschaft. In der Charakterisierung und Interpretation ihrer Rolle bleiben jedoch viele Wünsche offen, sowohl bei ihr als auch bei ihren männlichen Kollegen. Die Dynamik wird von ihr nicht ausreichend genutzt, um ihren Charakter angemessen darzustellen, ebenso fehlt ein erkennbarer Textbezug. Dennoch hinterlässt sie den Eindruck einer üppigen Stimme, die diese anspruchsvolle Partie sicher bewältigt. Als Sängerin hat sie jedoch den schwierigen Vergleich mit den legendären Sängerinnen der Vergangenheit zu bestehen, die gut dokumentiert sind. Hier hat sie, wie auch ihre Kollegen, das Nachsehen. Besonders enttäuschend ist jedoch Bariton Lester Lynch in der Rolle des Renato. Sein eintöniger Gesang hinterlässt keinen besonderen Eindruck. Alles klingt monoton und sprachlich holprig. Ein echtes Legato kann er nicht umsetzen. Zugegebenermaßen hat seine Stimme ein interessantes Timbre und er beherrscht den erforderlichen Tonumfang. Doch seine Rolle wirkt nicht gestaltet, sondern lediglich korrekt gesungen. Es fehlt völlig an Ausdruck und gestalterischer Tiefe. Hier gibt es aktuell wesentlich bessere Alternativen, wie z.B. Ludovic Teizier, Amartuvshin Enkhbat oder Juan Jesus Rodriguez Zu den positiven Eindrücken zählt der lebhafte und jugendlich frische Oscar von Annika Gerhards, die mit perlender Koloratur überzeugt. Die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman brilliert in der Rolle der Ulrica mit vielfältigen Farben und stimmlichen Nuancen. Ihr gelingt ein überzeugendes Rollenportrait.

Das Dirigat von Marek Janowski zeigt ein feines Gespür für subtile Unterschiede und orchestrale Farbgebung, wodurch das philharmonische Orchester aus Monte Carlo eine rundum überzeugende Leistung erbringt. Es verleiht der Musik Verdis angemessene Ausdruckskraft. Janowskis Dirigat zeichnet sich durch hohe Präzision und Energie aus, wobei er subtile Unterschiede und orchestrale Farbgebung gekonnt herausarbeitet. Janowski dirigiert wie gewohnt schlank und rhythmisch äußerst prägnant. Dies kann mitunter etwas trocken und akademisch klingen, auffallend im Kontrast dazu sind seine flotten Tempi und die betonte Leichtigkeit. Dennoch hält er die Zügel straff in der Hand und sorgt für kurzweilige orchestrale Darbietungen. Auch die übrigen Rollen sind gut besetzt, und der Transylvania State Philharmonic Choir zeigt sich stimmlich beeindruckend. Die Aufnahmetechnik ist gut und bietet einen weiträumigen Klang.

Wer vor allem nach kraftvollem Gesang sucht, wird mit dieser Aufnahme zufrieden sein. Für diejenigen, die diese Oper in all ihrer Vielschichtigkeit und Farbigkeit erleben möchten, sind frühere Aufnahmen besser geeignet. Dennoch präsentiert sich Marek Janowski mit seiner straffen und energiegeladenen Dirigierweise in diesem ungewohnten Repertoire-Terrain überzeugend und bringt eine frische Perspektive auf Verdis „Un ballo in maschera“.

Dirk Schauß, 17. Juni 2023


2 SACDs

Pentatone PTC5187048