Aufführungen am 15. und 17.9.2015
Erweiterte und ergänzende Kritik von Klaus Billand
Nach einer „Walküre“, die das Publikum zu begeistertem Applaus insbesondere für die herausragenden Leistungen von Martin Tsonev als Wotan und Yordanka Derilova als Brünnhilde motivierte, begann der „Siegfried“ mit einem von Regisseur Plamen Kartaloff immer wieder eingesetzten dramaturgischen Stilmittel – er zeigt die Vorgeschichte, bevor die eigentliche Handlung beginnt. So sehen wir Mime, wie er das Siegfried-Baby von der gebärenden und unmittelbar nach der Entbindung sterbenden Sieglinde übernimmt und wie der immer jugendlicher werdende Jung-Siegfried (insgesamt drei junge Statisten) über die Bühne hetzt. Erst dann beginnt Mime vergeblich und genervt das Schwert zu schmieden. Krasimir Dinev spielt den Zwerg mit nickeligen Bewegungen, ganz so wie Wagner es wollte, und ist auch stimmlich mit seinem Charaktertenor überzeugend. Kostadin Andreev gestaltet den Siegried mit viel Empathie, immer wieder mit menschlichen Zügen, und brilliert mit einem kräftigen Heldentenor, der jedoch noch eines Feinschliffes bedarf. Sein Deutsch hat sich seit seinem Siegfried 2013 erheblich verbessert. Viel Emotion legt er in seinen Gesang zum Waldweben – er wird in diesem „Siegfried“ sofort zum Sympathieträger.
Das Bühnenbild von Nikolay Panayotov besteht diesmal im Wesentlichen aus dem in zwei Hälften geteilten Ring. Die beiden Stücke werden über den Abend immer wieder zu neuen Konstellationen verschoben, sodass der Vorhang nie fallen muss. Nebeneinander stehend, stellen sie zunächst Mimes Schmiede dar. Das Zusammenspiel zwischen ihm und Siegfried ist äußerst intensiv und verlangt von Krasimir Dinev einmal, von Siegfried auf den Boden gezerrt und auf dem Rücken liegend gezogen zu singen… Intensiv wird vor allem aufgrund des wohlklingend sonoren Bassbaritons von Nikolay Petrov als Wanderer die Wissenswette. Er meistert die Partie bis zum Schluss im 3. Aufzug auch in den Höhen bestens, wirkte allerdings in seiner Darstellung gegenüber Tsonev an den beiden Abenden zuvor etwas zu behäbig.
Im zweiten Aufzug sehen wir einen aus einem Aluminiumgerüst eindrucksvoll nachgebildeten Wald. Alberich lauert im Geflecht auf den Fortgang der Ereignisse. Biser Georgiev kann zwar durch eine intensive Charakterstudie beeindrucken, singt bei begrenzter Klangbildung in der Höhe und nicht allzu großer Tiefe den Nibelungenfürst aber nicht ganz ausgewogen. Die mit viel Wohlklang und beeindruckenden Spitzentönen zwitschernde Milena Gyurova singt den auf einem Schaukelbrett in der Höhe des Hintergrundes den herein schwebenden Waldvogel. Sie wurde zu einem Erlebnis für Auge und Ohr. Der Drachenkampf findet wieder in dem nun fast vertikal gestellten Ring statt. Nicht nur hier vermag das Multimedia-Design von Georgi Hristov und Vera Petrova subtile und fantasievolle Effekte zu erzielen. Angel Hristov, auch Hunding und Hagen in diesem „Ring“, verkörpert den Wurm mit seinem eher hellen and voluminösen Bass eindrucksvoll. Nachdem der Wanderer im 3. Aufzug noch eine letzte Vereinigung mit Erda vollzieht – Blagovesta Mekki-Tsvetkova singt die Urmutter mit einem etwas verquollenen und wenig verständlichen Mezzosopran – gibt es ein intensiv gespieltes Finale mit Siegfried und Brünnhilde. Radostina Nikolaeva singt die Wotanstochter mit einem flexiblen, leuchtenden Sopran, mit dem sie im Februar auch schon die Isolde in Sofia meisterte. Ihr Spiel wirkt jedoch gegenüber der darstellerischen Kunst von Kostadin Andreev etwas zu verhalten.
Die „Götterdämmerung“ beginnt mit einer im Dunkel und viel Bewegung gestalteten Nornenszene als Prolog. Klar und klangvoll singen Ina Pertova und Lyubov Metodieva die Zweite und Dritte Norn, während Tsveta Sarambelieva mit der Ersten Norn und später mit der Waltraute aufgrund ihres verhältnismäßig unstabilen und ungeschmeidigen Mezzos stimmlich zu wünschen übrig lässt. Ein erster Höhepunkt ist das Vorspiel mit Martin Iliev als Siegfried und Yordanka Derilova als Brünnhilde. Beide sind wieder in Hochform und können an ihre großartigen Leistungen als Siegmund und Brünnhilde in der Walküre anknüpfen. Kartaloff bedient sich hier eines großen Tuches, um die Gemeinschaft der beiden auch optisch besser darzustellen. Auf der Mandorla reitet Siegfried sodann zu neuen Taten, begleitet von der Rheinfahrt aus dem Graben – optisch eine beeindruckende Umsetzung der Musik in szenische Entsprechung.
Gunther hat nichts anderes zu tun als mit diversen Fernrohren ins All zu schauen, anstatt sich um seine eigenen Probleme zu kümmern, die ihm Hagen sogleich vor Augen führt. Der junge Atanas Mladenov ist mit seinem kultivierten und technisch bestens geführten Bariton ein sehr guter Gunther, und auch Tsvetana Bandalovska, die Sieglinde dieses „Ring“, kann darstellerisch, optisch sowie stimmlich überzeugen. Biser Georgiev ist als Alberich immer wieder zusehen, wenn es um den Ring geht – ein interessanter Einfall des Regisseurs, auch um eine Klammer um die vier Abende zu schaffen. Angel Hristov ist ein in der Tat finsterer Hagen und bleibt der Rolle mit seinem klar verständlichen und in allen Lagen ansprechenden Bass nichts schuldig. Ein paar Textaussetzer, die auch immer mal den anderen Protagonisten passieren, sollte man verzeihen können. Man muss bedenken, dass alle ihre jeweiligen Rollen in diesem Ring seit 2010-13 zum ersten Mal verkörpern. Festspielreif singen die drei Rheintöchter im 3. Aufzug. Irina Zhekova als Woglinde, Silvia Teneva als Wellgunde und Elena Marinova als Flosshilde, dürfen dabei auch wieder auf ihren Tramponlinen springen. Sie machen es mit viel Fantasie und äußerst graziös. Der etwas zu weit hinten stehende Chor ist stimmstark und folgt durch seine Bewegungen mit einer Art hochgehaltenen dunklen Fledermäusen intensiv der Handlung.
Nach einem fulminanten Schlussgesang der Yordanka Derilova fährt sie mit Grane in das Feuer der fiktiven Gibichungenhalle. Daraufhin sieht man die Götter noch einmal herankommen, Wotan mit den Speeresstücken, und sie verschwinden beim Anblick des spektakulär in die Luft gehenden Walhalls mit den beiden Ring-Teilen im Off. Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt ein Lichtkegel, der wirkungsvoll zum Mutterliebe-Motiv der Sieglinde auf die völlig leere Bühne fällt. Das Spiel kann von Neuem beginnen…
Frenetischen Applaus bekam wieder die alle anderen überstrahlende Yordanka Derilova als Brünnhilde, die in der Tat sängerisch wie darstellerisch eine international beachtliche Leistung bot. Aber auch Martin Iliev und Tsvetana Bandalovska bekamen wieder starken Applaus. Erich Wächter hatte unter den gegebenen, nicht gerade idealen Bedingenden eines für ein Musical-Theater gebauten Grabens mit dem Orchester der Nationaloper Sofia ein gutes klangliches Ergebnis erzielt. Eindrucksvoll gelangen Wächter u.a. die großen Orchesterzwischenspiele in diesen „Ring“. Auch er bekam mit dem ganzen Orchester auf der Bühne starken Applaus.
Nachdem es während des 1. Aufzugs der „Götterdämmerung“ geregnet hatte, nach Sonnenschein noch am Morgen, erleuchtete in der einstündigen ersten Pause just über dem Schloss Neuschwanstein gegenüber des Forggensees ein farbintensiver Regenbogen, der die im Garten vor dem Festspielhaus stehenden Zuschauer zu großer Bewunderung hinriss. Er entsprach im übrigen genau dem Design auf dem Programm-Cover und den Postern von Gudrun Geiblinger, die vom Schloss Neuschwanstein einen goldgelben Bogen zum Festspielhaus zog, assoziativ zum Ring… Es sah so aus, als würde der "Märchenkönig" Ludwig II. vom Schloss aus mit dieser Wettererscheinung dem gewagten und schließlich gelungenen Unternehmen, den „Ring“ von Sofia nach Füssen zu bringen, seine Bewunderung zollen. Und der „Kini“ wäre sicher mit der Aufführung zufrieden gewesen.
Am Rande der Aufführung hörte man Stimmen im Publikum, die regelrecht bedauerten, dass diese „Ring“-Woche nun zu Ende sei und man doch daran denken solle, den „Ring“ aus Sofia 2016 erneut zu zeigen. Schon jetzt wurde mit einer etwa 70-prozentigen Auslastung eine beachtliche Antwort auf ein solches in dieser Region nicht gerade zu erwartendes Wagner-Festival erzielt. Im Gegensatz zu den zyklischen „Ring“-Aufführungen in Sofia von 2013 bis 2015, bei denen die Richard Wagner Verbände aus allen Kontinenten der Opernwelt zugegen waren, blieben diese in Füssen unverständlicherweise weitgehend aus. Mit den vielen „Botschaftern“, die nun über entsprechende Mundpropaganda werbend aktiv werden könnten, wäre bei einer Wiederaufnahme wohl ein noch höherer Publikumsandrang zu erwarten. Mit anderen Wagner-Werken, die alternativ gespielt werden könnten, entwickelte sich dann vielleicht so etwas wie ein „Allgäuer Bayreuth“. Interesse an einer Fortführung besteht bereits bei der Stadt Füssen und der Nationaloper sowie beim Kultusminister in Sofia. Die Zuständigen sollten sich jedenfalls darüber weitere Gedanken machen, wie auch über einen Umbau des derzeit zu begrenzten Orchestergrabens. In dieser vom wichtigsten Förderer Richard Wagners gekennzeichneten Region könnte die Weiterführung des Wagner-Festivals bzw. Opernfestivals eine interessante Option darstellen, zumal auch das touristische Potenzial hier mit weltbekannten Sehenswürdigkeiten aufwartet. Mal sehen „…wie das wird“…!
Klaus Billand 6. Oktober 2015
Copyright: Svetoslav Nikolov