Premiere: 20.09.2018, besuchte Aufführung: 23.09.2018
Der Schwanenritter als Friedensfürst
Lieber Opernfreund-Freund,
David Aldens im Juni 2018 mit großem Erfolg am Royal Opera House von Covent Garden gezeigte Lesart des „Lohengrin“-Stoffes ist nun an der Opera Vlaanderen in Gent und Antwerpen zu sehen und damit kehrt die Geschichte des Schwanenritters und der unglücklichen Elsa von Brabant, die Opfer erst eines Machtkampfes und dann ihres mangelnden Vertrauens in den Geliebten wird, nach 14 Jahren wieder einmal an den Ort zurück, an dem das Geschehen der Oper spielt.
Alden sieht in seiner schlüssigen und lebendigen Inszenierung im Titelhelden mehr als eine Lichtgestalt für Elsa, er wird bei ihm zum Hoffnungsträger für ein ganzes Volk, das in einer Atmosphäre der Unterdrückung sein Dasein fristen muss. Die Farbgebung von Uniformen und Flaggen sowie das stetig wiederholte Hochreißen des rechten Armes machen überdeutlich, zu welcher Epoche der Geschichte der Engländer hier die Parallelen zieht. Auf der gelungenen Bühnen von Paul Steinberg wird mittels des ausgetüftelten Lichtes von Adam Silverman von Anfang an Unbehagen erzeugt, auch Elsa ist von Beginn an Opfer und selbst König Heinrich scheint stellenweise zur Marionette des eigenen Regimes verkommen. Von glanzvoller Macht ist hier, wo selbst die Gebäude in Schieflage geraten sind, nichts übrig, die Treue der Gefolgsmänner ist von der Terrorherrschaft erzwungen, die aus überdimensionalen Lautsprechern schallt. In dieser düsteren Welt erscheint Lohengrin unwillkürlich als Heilsbringer, ganz in Weiß gewandet (Kostüme: Gideon Davey), und bleibt doch weniger verklärtes Ideal als echter Mensch, der Gewalt verabscheut und Liebe und Vertrauen sucht. Telramund und Ortrud sind in ihrer Gier nach Macht und nacheinander vereint, auch wenn Ortrud gleich der Lady Macbeth das Feuer in ihrem Mann immer wieder aufs Neue entfacht, sobald der Schwäche zeigt und so sind beide trefflich als Gegenpart zu Lohengrin und Elsa gezeichnet. Die bleibt am Ende in Trostlosigkeit, nicht einmal der wiedergefundene Bruder kann ihr Hoffnung geben.
Schon die ersten Takte der Ouvertüre, die bei geschlossenem Vorhang vor voll besetztem Haus gegeben wird, machen deutlich, dass man die musikalische Leitung in die Hände eines Meisters gelegt hat. Alejo Pérez lotet den „Lohengrin“ auf allen Ebenen aus, ihm gelingt der sphärisch anmutende Beginn ebenso perfekt wie die klanglich wuchtig, fast schroff interpretierten Ausbrüche, so dass auch musikalisch keine Sekunde lang Langeweile entsteht. Dabei unterstützt wird der sympathische Argentinier aber auch von einem weitgehend wunderbaren Ensemble, das er nie überdeckt. Der Heerrufer des Vincenzo Neri kommt optisch abgehalftert daher, trumpft aber mit durchschlagender baritonaler Kraft auf und gehört für mich zu einem der Highlights. Für den erkrankten Thorsten Grümbel war schon bei der Premiere Wilhelm Schwinghammer eingesprungen und lässt seinen feinen Bass erklingen. Zwar hat der junge Sänger bezüglich voluminös-schwarzer Tiefe noch ein wenig Luft nach oben, sein Potenzial ist aber jetzt schon deutlich zu erkennen und ich freue mich darauf, bald mehr von dem aus Niederbayern stammenden Künstler zu hören. Craig Colclough als Telramund gibt ein perfektes Rollenbild des hasserfüllten Grafen. Nuanciert und farbenreich präsentiert er seinen kräftigen Bariton und wird bezüglich der darstellerischen Wucht nur noch von seiner Bühnengattin übertrumpft. Die Schwedin Iréne Theorin hatte ich als von Tilman Knabe 2007 in Essen misshandelte „Turandot“ noch in guter Erinnerung und war gespannt, sie als Ortrud zu erleben. Und was soll ich Ihnen sagen: solch einer Wucht, solch einem Erleben der Figur auf der Bühne habe ich schon lange nicht mehr beiwohnen dürfen. Iréne Theorin IST Ortrud mit jeder Faser, spielt und singt sich die Seele aus dem Leib, streut gespenstische, Unheil verheißende Pianissimi ein und nimmt mit ihrer Wirkung nicht nur die Bühne in Beschlag, sondern auch das ganze Publikum gefangen. Eine wahre Zauberin der gesanglichen Darstellung, die alleine schon den Weg vom Rhein nach Belgien lohnt.
Während der ersten beiden Akte nimmt mich auch Liene Kinča als Elsa gefangen mit ihren fast unwirklich klingenden Pianobögen und ihrem warmem Timbre. Ausgerechnet aber im Schlafgemach scheint sie wie ausgewechselt, wird stimmlich unsauber und erinnert mit fast veristisch erscheinender Singtechnik eher an eine Santuzza. Schade! So kann ich auch zum Schluss recht wenig Mitleid mit ihrer Figur empfinden, die lettische Sopranistin hat mich da irgendwo auf dem Weg zum letzten „Ach!“ verloren. Den serbischen Tenor Zoran Todorovich kennt man sonst als kraftstrotzenden Spinto des italienischen Repertoires, als überwältigenden Otello oder eindrucksvollen Pollione. Als Lohengrin mischt er seinem imposanten Tenor immer wieder zart-süße Farben bei, wie es sich für den Gralsritter gehört. Todorovich ist zu vokaler Zurückhaltung und großer Lyrik fähig und zeigt immens viel Gefühl und so, ganz dem Regieansatz folgend, Lohengrin als Menschen und nicht als verklärtes Ideal.
Das Publikum ist nach fast fünf Stunden (inklusive zweier Pausen) tief ergriffen und bejubelt alle Mitwirkenden samt dem glänzend disponierten Chor unter der Leitung von Jan Schweiger, der die Aufführung mit seiner überwältigen Leistung – stimmlich wie darstellerisch – erst richtig rund macht. Dass der Chor neben Alejo Pérez und Irène Theorin den höchsten Jubel einheimst, ist vielleicht nicht ganz üblich bei einem „Lohengrin“, in diesem Fall aber durchaus gerechtfertigt.
Ihr Jochen Rüth / 25.09.2018
Fotos © Opera Vlaanderen