Besuchte Aufführung am 27.01.19 (Premiere am 06.10.18)
Boulevardoperette in den Fünfzigern
Es ist sehr erfreulich, daß die Operette wieder größeres Interesse von den Theatermachern erfährt und , oh Wunder, durchaus geeignet ist die Häuser zu füllen, wie in der Nachmittagsvorstellung am Theater Neustrelitz. Wobei das Interesse sehr auf die Silberne Operette gefallen ist und selbst Raritäten wie Kalmans "Herzogin von Chicago" oder Abrahams "Ball im Savoy" wieder regelmäßiger in den Spielplänen zu finden sind. Das Nachsehen haben allerdings die Werke der Goldenen Ära ("Fledermaus" und "Witwe" mal ausgenommen), so sind grandiose Stücke, wie Suppès "Boccaccio" fast völlig verschwunden. In Brandenburg konnte man jetzt endlich wieder Johann Strauß`"Wiener Blut" erleben, ein wirklich wundervolles Konversationsstück, von Adolf Müller Jr. aus verschiedenen Tanzwerken Strauß` gleich einem Pasticcio auf ein witziges Libretto von Victor Leon und Leo Stein gesetzt, so gut wie es dem Komponisten selbst nicht oft mit seinen Bühnenwerken gelang. Text und Musik verschlingen sich zu einer wirklich witzigen Einheit in einer Handlung zur Zeit des Wiener Kongresses, um untreue Ehemänner, dumme Diplomaten, leichtlebige Tänzerinnen und Kammerdiener mit Probiermamsell, eine echte Wiener Melange.
Regisseur Wolf Widder setzt ganz richtig auf die Funktionen von französischen Boulevardkomödien a la Feydeau mit vielen Türen`, die Ausstattung von Roy Spahn nimmt verschiedene Türelemente, die immer wieder neu gruppiert werden, was sich im ersten Akt , so ohne Bühnenhintergrund, noch recht spartanisch ausnimmt. Der zweite Akt wirkt optisch lebendiger, was auch an der Chorbeteiligung mit den schönen Fünfziger Jahre Kostümen liegt, denn in diese Zeit wurde die Operette ganz schlüssig verlegt. Den Höhepunkt des Festes bildet sicher die wirklich lustige Choreographie (Kirsten Hocke) zur "Tritsch-Tratsch-Polka". Der dritte Akt spielt in den sehr zweideutigen Hietzinger Lauben und bietet viel für die Augen. Insgesamt: Operette pur!
Am Pult der schwungvoll aufspielenden Neubrandenburger Philharmonie steht Panagiotis Papadopoulos und dirigiert eine sehr flotte Operette mit reschen Tempi, musikalisch stets auf den Punkt, doch öfters auf Kosten der Textverständlichkeit. Also wäre manches "Anziehen der Bremse" vielleicht nicht falsch. Die Solisten und der Chor halten zwar locker mit, doch es geht hier wirklich nur um die Textverständlichkeit.
Ein sehr fesches Grafenpaar Zedlau ist das Zentrum der Handlung: Andrès Felipe Orozco ist ein rechter, untreuer Hallodri von starkem "Timing" für die Komik, die fordernde Partie in den Höhen gelingt leider nicht ohne Anstrengung. Die überlegene Gräfin dazu findet in Tonje Haugland eine treffend charmante Vertreterin, die mit angenehm bronzenem Sopranklang aufwartet. Das titelgebende "Wiener Blut" beider gerät jedenfalls zu einem Höhepunkt. Dazu kommt der herrlich tolpatschige Fürst Ypsheim-Gindelbach, der mit trockenem Humor den Anstoß zu vielen komischen Situationen gibt, Robert Merwald (am Abend vorher noch ein wunderbarer Maskenball-Renato) macht daraus mit sattem Bariton eine echte Hauptrolle. Die Tänzerin Cagliari gefällt in der bezaubernden Peggy Steiner, lediglich die Höhe ist sehr laut und ausufernd, leiser wäre schöner. Dazu ihr Vater Kagler, der mit Ryszard Kalus doch recht sehr starkem slawischen Akzent, eher aus Böhmen stammen dürfte, was ja sehr schön passt. Bernd Könnes gibt mit etwas metallischem Tenor den gewieften Kammerdiener Josef. Publikumsliebling ist jedoch Laura Scherwitzl (der Maskenball-Oskar von Vorabend), die eine echt resche Probiermamsell Pepi spielt, da merkt man wirklich auf den Punkt gespielten Operetten-Übermut, Tanzbegabung, Textnuancen, vielleicht außerplanmäßige Fallsucht an diesem Nachmittag (?) wird witzig eingebunden, kurz eine waschechte Soubrette.
Fazit: ein schöner Sonntagnachmittag mit gut gemachter, gehobener Unterhaltung, in einem sehr gut gefüllten Theater, ein sehr erfreutes Publikum. Und vor allem ein wirklich tolles Stück, dem man gerne wieder öfter auf den Bühnen begegnen würde.
Martin Freitag 1.2.2019