Premiere: 4. Dezember 2019,, besucht wurde die Vorstellung am 9. Dezember 2019
Dass mit der Titelfigur von Händels Opera seria „Guistino“ (1737) der römische Kaiser Justinian gemeint ist – das kann man beruhigt vergessen. Es ist eine bunte Barockoper, in der viel intrigiert wird, die Göttin Fortuna spielt mit, ein Bär, ein Seeungeheuer sind dabei – der amerikanische Regisseur James Darrah, der mit diesem Werk in Wien debutierte, war sich dessen bewusst, dass man sich dazu „etwas einfallen lassen muss“. Und er versetzte die Händel’sche Kunstwelt in ein exotisches, wenngleich wohl bekanntes Milieu – in ein amerikanisches Motel. (Die „Zimmer“-Inszenierungen sind derzeit halt stark in Mode.)
Mehr noch – das Motel, erst nur in zwei Zimmern definiert, steht in der Mojave-Wüste (dort, wo der Regisseur privat lebt). Im letzten Bild sind dann die Kakteen an der Reihe, die dafür charakteristisch sind. Die Handlung wird solcherart sehr amerikanisch, auch kinomäßig, und weil der Regisseur sie auch in aller Brutalität auslotet (manches will man so gar nicht auf der Bühne sehen…), bringt er auch einen „Charles Manson“ auf die Bühne, lässt mit Pistolen und Revolvern herumfuchteln.
Letztendlich verzichtet er auch auf das glückliche Ende, das bei Barockopern nun einmal meist dazu gehört. Hat sich Königin Arianna schon den ganzen Abend als intrigante Bestie gebärdet – wenn man es recht versteht, bringt sie am Ende mit einem vergifteten Trank alle anderen um und bleibt als alleinige Herrscherin übrig… Ach ja, und für „Bär“ und „Seemonster“ ist James Darrah auch etwas ziemlich Logisches eingefallen: Das sind Masken, die sich Männer überziehen, um Frauen zu terrorisieren…
Das Konzept funktioniert also einigermaßen, und selbst, dass die Kostüme (Ausstattung: Adam Rigg) teilweise tatsächlich aus einer Barockoper stammen könnten, mag in einer Welt der Hippies stimmen. Und dass Glücksgöttin Fortuna hereinschwebt … Las Vegas ist ja gar nicht so weit. Kurz, man gewöhnt sich an die Motel-Umwelt, und trotz Übertitel (sie sind nicht immer gut zu lesen) kommt man ohnedies nicht hinter alle Geheimnisse der Handlung: Die ist nämlich schandbar kompliziert.
Das „Junge Ensemble“ der Kammeroper, für das diese Produktionen ja gemacht werden, reichte diesmal nicht aus. Man musste gleich zwei Countertenöre dazu engagieren, um Händels Anforderungen zu genügen. Der Titelheld hat nicht die größte Rolle, aber dennoch rückte der Chinese Meili Li immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Rolle verlangt von Händel her einen Altkastraten, und tatsächlich besitzt Li einen so schönen, warmen Counter, wie man ihn selten hört. Hingegen ist König Anastasio ein Soprankastrat, und der polnische Counter Rafal Tomkiewicz erfüllt die Rolle mit entsprechend spitzen Tönen und auch einer Menge Exzentrik.
Überhaupt ist es um die Herren an diesem Abend besser bestellt als um die Damen: ein „echter“ Tenor mit schöner Stimme (und dem geforderten, unsteten Charles-Manson-Naturell) ist Johannes Bamberger, die objektiv schönste Stimme des Abends kommt von dem tiefen, samtig-rauen Baß von Kristjan Jóhannesson, und noch ein Baß, Dumitru Madarasan, ergänzt bei den vielen fragwürdigen Charakteren, die die turbulente Handlung erfüllen.
Bei den Damen ist die anmutig herbeitänzelnde Ilona Revolskaya eine Fortuna, die nur erfreut. Tatiana Kuryatnikova als Leocasta lässt einen nicht weiter durchschlagskräftigen Mezzo hören. Und die Hauptrolle, die intrigante Arianna, bereitet sogar Pein, so gnadenlos sind die schrillen Spitzentöne von Jenna Siladie, und auch sonst verläuft ihre gesangliche Leistung „unrund“. Allerdings hat man ja auch schon in höheren Regionen (dem „Ariodante“ an der Staatsoper beispielsweise) erlebt, dass man Händel nicht einfach „singen“ kann: Man sollte es schon können…
Dazu klingt das Ensemble Bach Consort Wien kompetent, wenn auch ein wenig grobschlächtig, hält aber unter dem Dirigenten Markellos Chryssicos jenen Schwung aufrecht, der (man hat nur wenig gestrichen) durch die zweidreiviertel Stunden führt.
Renate Wagner, 13.12.2019
Fotos (c) Barbara Zeininger