Aufführung am 26.02.2019
Sergej Prokofiew
3. Klavierkonzert
Franz Schubert
Sinfonie Nr. 8 in h-Moll (die Unvollendete)
Sergej Prokofjew
Klavierkonzert Nr. 3 in C-Dur
Jörg Widmann
BABYLON Suite für grosses Orchester
Mit Werken von Schubert, Prokofjew und Widmann bestritt die Staatskapelle Berlin ihr V. Abonnementskonzert, mit Kompositionen, die keinen besonderen Bezug zueinander hatten, außer dass sie je ungefähr 30 Minuten Spielzeit in Anspruch nehmen und im Abstand von jeweils 100 Jahren entstanden waren. Selbst der Dramaturg gab bei der Einführung zu, dass man auf Schubert gekommen war, weil sonst das Programm etwas zu kurz geraten wäre.
Aber wie dem auch sei, jedes Werk für sich betrachtet war schon sehr hörenswert. Im Zentrum stand natürlich das dritte Klavierkonzert von Sergej Prokofjew mit der Solistin Martha Argerich. Ich will hier gar nicht groß über ihr Alter sprechen, dazu nur so viel: Vor 62 Jahren gewann sie den Klavierwettbewerb in Genf, vor 54 Jahren den Chopin-Wettbewerb in Warschau, 1967 nahm sie das mit immensen pianistischen Schwierigkeiten nur so gespickte 3. Klavierkonzert von Prokofjew mit Claudio Abbado auf – und gestern Abend spielte sie dieses Konzert, das sie quasi ihre ganze Karriere hindurch begleitet hatte, mit einem Elan, einer geballten dramatischen Kraft, die schlicht überwältigend war. Bescheiden tritt sie auf – einzig der freche schwarz-weiße Buchstabenrock ist ein Hingucker – doch kaum greift sie in die Tasten, ist man bass erstaunt über die Treffsicherheit in den exaltierten Sprüngen, über die Kraft in den vollgriffigen Akkorden, über die motorischen Rasanz in hart attackierten Passagen. Doch da sind dann auch Läufe, glitzernd wie Wassertropfen, und spätromantische, aber nie kitschig-sentimental gestaltete Aufschwünge. Martha Argerich liefert sich humorvolle, präzise Duelle mit den Kastagnetten, oder schwingt sich mit kongruentem Elan zu den Violinen. Im zweiten Satz mit seinen diversen Variationen umspielt sie wunderbar virtuos das Hauptthema, versinkt in Kontemplation, brilliert mit fein gesetzten Trillern. Bei den marschartige Steigerungen und Exploits gibt sie dem Orchester Paroli, hält mit sanftem Anschlag und fein ausgehorchter Dynamik dagegen, quecksilbrige Läufe klingen wie verschattete Glissandi einer Harfe – am Ende nur noch Staunen über die überwältigende Kraft der Pianistin im packenden Finale. Und grenzenloser Jubel in der Philharmonie, stehende Ovationen für eine Pianistin, die trotz aller offensichtlichen Virtuosität ihre Kunst in den Dienst des Werks stellt. Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim beglückt mit wunderbar musizierten Soli der verschiedenen Holzbläser, begeistert mit dem warmen Klang der Streicher – insgesamt ein grandioses Erlebnis. Aus meiner Sicht problematischer die Zugabe: Denn hier setzte sich der Maestro zusammen mit Martha Argerich an den Flügel und sie spielten vierhändig Petit mari, petite femme aus den JEUX D’ENFANTS von Georges Bizet, wobei Barenboim die Oberstimme übernahm. Nun hat das vierhändige Spiel der beiden fast gleichaltrigen Jugendfreunde aus Argentinien hier in Berlin Tradition, doch hätte man nicht der Solistin den Vorrang einer Solozugabe lassen müssen? Vor allem angesichts der (wohlverstanden nicht justiziablen) Vorwürfe, mit denen Barenboim in den letzten Tagen konfrontiert worden war. Zwar hat er in einem Interview mit dem rbb durchaus klug und selbstkritisch auf die Vorwürfe reagiert, doch dass er sich dann auch hier in einer Zugabe, die eigentlich den Dank der Solistin an das begeisterte Publikum ausdrücken sollte, wieder etwas in den Vordergrund drängt, hat einen unangenehmen Beigeschmack von Geltungssucht, den er doch gar nicht nötig hätte, den mit den beiden andern von ihm so wunderbar dirigierten und interpretierten Werke stand er doch eh schon im Mittelpunkt des Interesses.
Eröffnet wurde das Konzert also mit Schuberts „Unvollendeter“. Ein Werk, um das sich Rätsel ranken – ist es nun gewollt zweisätzig geblieben oder sind die fehlenden Sätze persönlichen Umständen geschuldet? In der Interpretation durch Barenboim (er dirigierte diese Sinfonie auswendig) jedenfalls erschien es als vollgültige Sinfonie in zwei überaus spannenden, weit in die Zukunft reichenden Sätzen. Mystische Düsternis, aufsteigende Klarinettenphrasen, herrlich abgestufte Crescendi, deutlich hervorgehobene Passagen der Celli, schmerzensreiche Sforzati, die sich wie Schreie aus der Dunkelheit ins Ohr bohrten, prägten den ersten Satz. Im zweiten Satz holte Barenboim die chiaroscuro Effekte mit aller Deutlichkeit hervor; wunderbar lyrisch klangen die Holzbläser, silberne Flötenklänge und leuchtende Oboen verströmten Poesie, dann rüttelten stampfende Tutti wieder auf. Erstaunlich war, wie Barenboim es schaffte, trotz sparsamer Zeichengebung die Präzision im Zusammenspiel zu erreichen. Der Maestro strahlte eine ungeheure Präsenz aus und schien mit den Augen zu dirigieren, um dann in entscheidenden Momenten doch wieder die quasi körperliche Führung zu übernehmen. Eine klug disponierte Ökonomie der Kräfte. Denn die Kräfte brauchte er für Jörg Widmanns BABYLON-SUITE. Riesig ist das Orchester besetzt, riesig ist das Format der Partitur, welche auf dem Dirigentenpult liegt. Je vierfach besetztes Holz (u.a. mit Heckelphon, Lotosflöte, Bassflöte, Kontrabass-Klarinette, Kontrafagotten) und Blech, Tuba, vier Schlagzeugspielern (diverse Schlaginstrumente) und dazu vier Pauken, ein Akkordeon, zwei Harfen, Celesta und natürlich groß besetzte Streicher. Widmann spielt gekonnt auf der Klaviatur dieses riesigen Orchesterapparats, das klingt mal nervig, grell und schrill, hat aber auch poetischere, gesanglichere Einschübe, als Sahnehäubchen für die Hörer werden verfremdete bayerische Märsche eingefügt (der Defilier-Marsch). Ein spannender Klangteppich entsteht, den man zunehmend lieber gewinnt. Die Staatskapelle scheint mit großer Spielfreude (Tierlaute) dabei zu sein. Am Ende bäumt sich das Orchester in einem gigantischen, schon fast hymnischen Crescendo auf – und macht neugierig auf die Oper BABYLON von Widmann, welche in einer Berliner Neufassung am 9. März Premiere in der Staatsoper feiern wird. Jedenfalls stellte die Suite schon mal ein fulminantes Plädoyer für die Oper dar und der anwesende Komponist wurde denn auch entsprechend gefeiert.
Kaspar Sannemann 10.3.2019