Premiere am 28. April 2017
Bei seinen Besuchen in Hamburg – auch der Staatsoper oder von Konzerten in der Laeisz-Halle – zog es den Verfasser seit Jahren immer wieder zur Baustelle der Elbphilharmonie. So konnte er verfolgen den Fortgang, auch den zeitweiligen Stillstand, der Bauarbeiten bis jetzt zum Besuch im vollendeten Gebäude, was Lage und Architektur betrifft, einem Haus der Superlative.
In den grossen Konzertsaal der Superlative paßte dann auch (wenn nicht dort, wo denn sonst?) die Aufführung der Symphonie der Superlative, nämlich der Symphonie Nr. 8 in Es-Dur von Gustav Mahler für ganz grosses Orchester einschließlich Glocken, Celesta, Klavier, Harmonium, sowie Orgel, zum Schluß zusätzlich Trompeten und Posaunen isoliert postiert, acht Gesangssolisten, zwei vierstimmige gemischte Chöre und Knabenchor.
Bekanntlich brauchte Mahler diese riesige Anzahl Mitwirkender, die dem Werk den Beinamen „Symphonie der Tausend“ eintrug, um zwei im Abstand von ca. 1.000 Jahren entstandene grosse Texte abendländischer Kultur musikalisch zu vereinen. Es handelt sich um den mittelalterlichen Hymnus „Veni creator spiritus“ (Komm Schöpfer Geist), des Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus, und die Schlußszene von Goethes „Faust – der Tragödie zweiter Teil“, die nach Mephistos Eingeständnis seines endgültigen Scheiterns die Reinigung und den Aufstieg von Fausts Seele in immer höhere Himmelsregionen darstellt. Inhaltliche Verbindung der beiden Teile kann ganz vereinfachend darin bestehen, daß der Schöpfer Geist von oben kommt, die Seele Fausts nach oben aufsteigt, beide sich vereinen, um zu preisen die Allmacht umfassender Liebe – für Mahler ein ganz ungewohnt lebensbejahender Schluß. Musikalisch wird die Verbindung durch Themen oder eher Themenkomplexe viel mehr deutlich.
Bereits der Einzug der Mitwirkenden war sehr beeindruckend. Die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg fanden gerade noch alle Platz auf dem Podium – z.B. das groß besetztes Streicherensemble von 18 ersten Geigen , entsprechend vielen zweiten Geigen, Bratschen und Celli bis hin zu acht Kontrabässen, weiter sechs Harfen, viel Schlagzeug, alle Holzbläser mindestens fünffach besetzt, je vier Trompeten und Posaunen. Acht Trompeten und Posaunen waren eingesetzt für Klang von oben, von meinem Platz ganz oben in der Mitte (Ebene 16) standen sie auf gleicher Höhe. Hinter dem Podium unter den Säulen für die Lichtskulptur – von meinem Platz aus zwischen den Säulen – und seitlich davon nahmen Aufstellung der Chor der Staatsoper in der bewährten Einstudierung von Eberhard Friedrich und der Staatschor Latvija (Lettland) einstudiert von Māris Sirmais mit je ungefähr 150 Sängerinnen und Sängern. Letzterer schaffte es, zwischen zwei Auftritten in der Elbphilharmonie noch ein Kirchenkonzert in Warendorf bei Münster einzufügen. Hinzukamen auch seitlich platziert die Hamburger Alsterspatzen als Knabenchor – einstudiert von Jürgen Luhn.
Für den erkrankten Kent Nagano hatte kurzfristig Eliahu Inbal die musikalische Leitung des Riesenwerks übernommen, der Verfasser wurde durch seine Aufnahmen mit dem hr-Orchester zuerst von Mahler begeistert.
Begeisternd erklang auch gleich zu Beginn das gewaltige „Veni Creator spiritus“ mit dem markanten Hauptthema. Für die folgende weitgehend von den acht Solisten getragene Bitte um Gnade war es da günstig, daß diese hinter dem Orchester platziert waren, da die Stimmen hier fast instrumental behandelt werden. Die überaus gute Akustik das Saals zeigte sich daran, wie deutlich bis oben hin das virtuose Solo der ersten Geige (Konzertmeister Anton Barakhovsky) beim „Infirma nostri corporis“ (Schwäche unseres Leibs) zu hören war, ebenso wie in den musikalischen Entsprechungen im II. Teil. Sie sorgte auch dafür, daß in der gewaltigen Doppelfuge mit der Bitte um Licht und Liebe (Accende lumen sensibus), die Eliahu Inbal in rasantem Tempo spielen ließ, die musikalischen Strukturen nicht verwischten sondern, soweit möglich, deutlich zu hören waren, einschließlich etwa der Klais-Orgel. Das überzeugte, da dies den Höhepunkt des ersten Teils darstellt. Durchhörbar war auch wie zum abschliessenden „Gloria“ Knabenchor, beide Chöre und alle Solisten nacheinander einsetzten. Deren ff-Schluß ließ zwar den Saal beben, klang aber nicht unangenehm knallig..
Akustisch sehr überzeugend geriet auch der rein instrumentale Beginn des II. Teils mit dem pizzicato von Celli und Kontrabässen zu einem choralartigen Thema der Holzbläser und der folgenden grossen Steigerung. Das galt ebenso für den rhythmisch exakten pp-Beginn des Männerchors (Heilige Anachoreten) auf den Text „Waldung sie schwankt heran“
Für die fast opernhaften Arien der einzelnen Solo-Sänger erwies sich die Platzierung hinter dem Orchester als nicht mehr so günstig oder das Orchester war zu laut. So mußte etwa Kartal Karagedik in der Bariton-Partie des Pater extaticus forcieren, um den „ewigen Wonnebrand“ hören zu lassen. Besser schaffte es Wilhelm Schwinghammer in der Baß-Partie des Pater profundus. Burkhard Fritz glänzte heldentenoral mit dem „Blicket auf“ bis er nach der Steigerung der Bezeichnungen Marias, „Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin“, bei „bleibe gnädig“ mühelos den Spitzenton traf. Die drei Damen Sara Wegener als magna peccatrix, Daniela Sindram als Mulier samaritana und Dorottya Láng als Maria aegyptiaca bereiteten einzeln und mit ihrem Terzett , wieder begleitet von der Solo-Violine, einen musikalischen Höhepunkt des Abends. Die Solo-Mandoline leitete dann über zur Arie des früheren Gretchen (Una poenitentium), die Jacquelyn Wagner eindringlich und mit grosser Stimme steigernd bis hin zum „der neue Tag“ gestaltete. Einen grossen Auftritt hatten die Alsterspatzen u.a. mit ihrem Solo-Chor „es überwächst uns schon“ als „selige Knaben“
Ganz langsam ließ Eliahu Inbal den chorus mysticus „Alles Vergängliche“ beginnen und die Chöre schafften es, die langen ppp-Töne hauchzart ohne hörbare Schwierigkeit zu halten. Um so stärker konnte dann dynamisch und akustisch gesteigert werden bis zum rauschhaften ff dieses Chors und dem dann doch nur dem gesamten Orchester samt Bläsern aus der Höhe überlassenen Schluß
Von allen Werken Mahlers kommt diese Symphonie vielleicht einer Oper am nächsten, übernimmt Mahler doch sogar die Szenenanweisungen Goethes in die Partitur. Da paßte es, daß auf sieben Säulen rosalie mit farblich-wechselnden Lichtstrukturen die Aufführung begleitete, ohne daß ein Zusammenhang zur jeweiligen Musik deutlich wurde.
Genau so wichtig wären vielleicht Übertitel gewesen, denn man konnte kaum einmal den Text verstehen.
Das Publikum im ausverkauften Haus war aber trotzdem von der gewaltigen Menge der Mitwirkenden und der emotionalen Gewalt der Musik überwältigt, sodaß mit langandauerndem Beifall und Bravos alle Mitwirkenden gefeiert wurden, besonders und zu Recht der Dirigent, der den Riesenapparat so sicher und überlegen geleitet hatte..
Zum Schluß sei angemerkt, daß die Elbphilharmonie fast am einfachsten mit dem Fahrrad zu erreichen ist – Fahrradständer sind vorhanden – leider nichtDas würde Mahler freuen, denn in einem Brief aus seiner Hamburger Zeit wohl im Sommer 1895 schrieb er „Ich errege allgemeine Bewunderung mit meinem Rad. überdacht. Ich scheine wirklich für das Rad geboren zu sein und werde bestimmt noch einmal zum Geheimrad ernannt werden“
Sigi Brockmann 1. Mai 2017
Fotos Wolf-Dieter Gericke