Aufführung am 21. Februar 2016
WDR Sinfonieorchester
Andris Poga (Leitung), Selina Ott (Trompete), Anna Vinnitskaya (Klavier)
Gänsehaut bei Zarathustra
Von den Ländern, deren Künstler international verstärkt Fuß fassen, gehören die baltischen Staaten. Andris Nelson etwa hat in Leipzig und Boston fest Fuß gefaßt und die Järvis (Vater und zwei Söhne) sind fast allüberall aktiv.
(c) J.-P. Raybaud
Noch im Aufwind befindet sich Andris Poga, derzeit Musikdirektor des Nationalorchesters in Riga. Beim WR war er schon einmal im vergangenen Juni zu Gast.
Bei der erst zwanzigjährigen Selina Ott (Bild unten) gilt „Aufschwung“ noch stärker. Die Trompeterin scheint an eine Alison Balsom oder Tine Thing Helseth anzuschließen. Und man muß ja nur einmal die Besetzung heutiger Orchester in Augenschein nehmen um festzustellen, daß die geschlechtsspezifische Zuordnung von Instrumenten längst keine Gültigkeit mehr hat.
Foto (c) Daniel Delang
Für ihr WDR-Engagement (Debüt) empfahl die junge Österreicherin wohl nicht zuletzt der diesjährige ARD-Wettbewerb, bei welchem sie den ersten Preis davontrug. Das in er Philharmonie vorgetragene Concertino von André Jolivet gehört nicht eben zu den Zugpferden der Trompetenliteratur und ist doch ein musikalisch zeitnahes, dankbares, ein wenig freches und spieltechnisch herausforderndes Opus. Musikalisch zeitnah (1948) gönnt es sich aber doch ein paar melodisch retrospektive Floskeln. Die Streicherbesetzung mit partiell führendem Klavier entsprang den individuellen Klangvorstellungen des Komponisten.
Das Concertino fordert der Trompete alles ab, was ihr an virtuoser Blastechnik zur Verfügung steht, und Selina Ott ließ sich wahrlich nicht lumpen. Bei gelegentlich etwas massiver Lautstärke begleitete das WDR Sinfonieorchester gelenkig und anpassungsfähig.
Um noch etliche Grade virtuoser ist Sergej Rachmaninows drittes Klavierkonzert, von welchem gerne gesagt wird, in ihm gäbe es „die meisten Noten pro Sekunde“. Trotz eines liedartigen Beginns setzt sich Tastenraserei in der Tat bald durch, wobei kompositorisch ausdrucksvolle Detailmomente dem Werk aber nicht versagt werden.
Foto (c) Marco Borggreve
Anna Vinnitskaya bewies Fingerfertigkeit in reichem, ja überreichem Maße. Daß eine Frau am Flügel saß, würde man auch geschlossenen Auges vermutet haben. Die Pianistin nämlich enthielt bewahrte ihrem Spiel bei allem Tastendonner eine gewisse Klangweichheit, welche ihrer Interpretation vielleicht nur letzte Brillanz kostete. Gleichwohl zu Recht Riesenbeifall, für welchen sich Anna Vinnitskaya mit dem „März“ aus Tschaikowskys „Jahreszeiten“ bedankte.
Andris Poga, welcher mit dem hellwachen Orchester der Pianistin aufmerksam zugearbeitet hatte, war dann bei „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauß ganz in seinem Element. Diese hochlodernde Tondichtung ist ein Werk der Sonderklasse, auch wenn man über die Nähe zum Intellekt Friedrich Nietzsches rechten mag. Die Schlußtakte mit ihrem Gegensatz von hohem Bläser-H-Dur und tiefen C-Pizzicato der Kontrabässe sind alleine ein genialer Einfall. Die üppigen, schwellenden Orchesterfarben brachten Dirigent und Orchester hinreißend zur Geltung, wobei gegen Ende nur die Spielexaktheit etwas nachließ.
Christoph Zimmermann (2.12.2018)