Konzert am 30.10.2017
Das große Konzert zur Reformation
Allüberall wird derzeit der Reformation durch Martin Luther vor 500 Jahren gedacht. In seinem zweiten saisonalen Konzert ließ sich auch das Gürzenich-Orchester diese Erinnerung nicht entgehen. Das hier beschriebene Konzert war das mittlere der üblichen drei Abo-Termine, ein Tag vor dem offiziellen Reformationsfest, an welchem das letzte Konzert auch live auf WDR 3 übertragen wurde. Die Montags-Veranstaltung hingegen verlief als „Festakt des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und der Stadt Köln“, mit Ansprachen von OB Henrieke Reker und dem Stadtsuperintendenten Rolf Domning.
In den Reden wurde mehrfach Luther zitiert. Ein gewichtiger Satz: „Musik ist ein reines Geschenk und eine Gabe Gottes, sie vertreibt den Teufel, sie macht die Leute fröhlich und man vergisst über sie alle Laster.“ Mit dieser Aussage war man im Grunde von der Verpflichtung befreit, Werke aufzuführen, welche die Reformation unmittelbar reflektieren wie etwa Felix Mendelssohns „Reformations-Sinfonie“.
Die Zusammenstellung von Georg Friedrich Händels „Feuerwerksmusik“, sowie Bernd Alois Zimmermanns Sinfonie in einem Satz und Mendelssohns „Lobgesang“ waren eher als Gedankenspiele zu dem historischen Ereignis zu werten: Händel als festliche Friedensbestätigung nach dem österreichischen Erbfolgekrieg, Zimmermann als skeptische Reflexion nach dem Zweiten Weltkrieg über die Festigkeit und Dauerhaftigkeit von Befriedung, Mendelssohn hingegen als Dokument des unverbrüchlichen Glaubens an gottbestimmtes Erdenglück.
Die Opern-Air-Premiere von Händels „Music for he Royal Fireworks“ war eine spektakuläre Veranstaltung, die übrigens fast mit einer Katastrophe geendet hätte (Feuerausbruch). Mit 24 Oboen, 12 Fagotten und auch sonst enorm starkem Bläserarsenal (neben Streichern und reichem Schlagwerk) wartete die Gürzenich-Aufführung zwar nicht auf, bot aber doch eine überproportional erweiterte Besetzung. War die Mitwirkung einer Orgel historisch korrekt? Massiver Klang ergab sich bei alledem automatisch.
Hartmut Haenchen steuerte die Klangfluten mit sicherer Hand, freilich auch ziemlich breitflächig und schwerlastig. Ohne die historisch informierte Aufführungspraxis als für die Barockmusik alleine selig machend zu erklären: hier wäre eine schlankere, luftigere Darbietung doch vorteilhafter gewesen. Dass die überaus pompöse Interpretation gleichwohl starke Wirkung entfaltete, was den Reaktionen des Publikums allerdings unschwer zu entnehmen.
Der Kölner Komponist Bernd Alois Zimmermann, mit seinem Geburtstagsdatum 1918 Jubilar des kommenden Jahres, war stets ein Grübler, in musikalischen wie auch gesellschaftlichen Dingen.
Seine Eindrücke über den Zweiten Weltkrieg spiegeln sich auch in seiner Sinfonie in einem Satz. „Das Werk gehört zusammen mit dem Violinkonzert in einen Abschnitt meiner Entwicklung, die wesentlich vom Ausdruck bestimmt ist“, so Zimmermann mit eigenen Worten.
Von dieser Ästhetik nahm der Komponist in der Folge verstärkt Abstand, radikalisierte seine Musiksprache, was sich u.a. in den „Soldaten“ manifestierte, welche die Oper Köln 52 Jahre nach der lokalen Uraufführung demnächst noch einmal zur Diskussion stellt. Haenchen war dem 18minütigen Werk ein bestechend sicherer, souverän klangsteuernder Anwalt; das Gürzenich-Orchester spielte gewissermaßen auf der Stuhlkante.
Als Höhepunkt des Abends durfte man indes die Aufführung von „Lobgesang“ empfinden. Sieht man von den (in jüngerer Zeit verstärkt beachteten) Streichersinfonien aus den Jugendjahren Mendelssohns ab, existiert ein Konvolut von fünf Sinfonien. Einen optimalen Beliebtheitsgrad haben eigentlich nur die dritte („Schottische“) und vierte („Italienische“) erreicht. Die „Reformations-Sinfonie“ (Nr. 5) steht ihnen (ungebührlicherweise) nach, Nummer 1 (c-Moll, opus 11) fristet sogar ein Schattendasein. Auch „Lobgesang“ taucht relativ im Konzertsaal auf. An der chorisch erweiterten Besetzung der „Symphonie-Kantate“ kann es eigentlich nicht liegen, da stellt u.a. Beethovens „Neunte“ gleiche, sogar noch gewichtigere Ansprüche, von bestimmten Werken Gustav Mahlers ganz zu schweigen.
Grundsätzlich gilt: „Lobgesang“ ist ein Werk von höchster Inspiration mit faszinierender Ausdrucksvariabilität und einem mitreißend hymnischen Schwung, welchen Hartmut Haenchen und das Gürzenich-Orchester strahlend und lichtvoll, dabei stets differenziert, zu realisieren wussten. Stärkste Wirkung ging auch von dem riesigen Chor aus, welcher diverse Kölner Kollektive vereinte. Es hat ja immer etwas besonders Faszinierendes und Erhebendes, wenn vom rückwärtigen Hochparkett der Philharmonie ein derart kompakter Gesang ertönt. Das Publikum ließ sich von Mendelssohns Werk und der packenden Interpretation merklich faszinieren. Es feierte angemessen auch die Solisten.
Anna Lucia Richter mit ihrer feenhaften Erscheinung und ihrem klaren, lichten Sopran beeindruckte besonders nachhaltig. Ihre Stimme verband sich im Duett „Ich harrete des Herrn“ mit dem etwas weicheren Organ ihrer Fachkollegin Esther Dierkes ausgesprochen harmonisch. Patrick Grahl nahm mit seinem jünglingshaften, feinsinnig geführten Tenor für sich ein.
(c) Gürzemichorchester.de / stadt-koeln.de
Original-Bilder vom Konzert liegen uns leider nicht vor!
Christoph Zimmermann 31.10.2017