DVD: „Lakmé“, Léo Delibes

Im Jahre 2022 ging an der Opéra Comique, Paris zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Léo Delibes auf einem Libretto von Edmond Gondinet und Philippe Gille beruhende Oper Lakmé über die Bühne. Am 14. April 1883 an diesem Haus erfolgreich aus der Taufe gehoben, kehrte das Werk nun fast hundertvierzig Jahre später an den Ort seiner Uraufführung zurück und landete einen großen Erfolg. Diese Aufführung hat das Label Naxos nun einem interessierten Publikum auf DVD zugänglich gemacht.

Delibes hat eine recht eindringliche Musik geschrieben, die einen ganz in ihren Bann zieht. Die Partitur ist recht romantisch gehalten und von purem Schönklang geprägt. Bravourstücke wie Lakmés fulminante Glöckchen-Arie oder das Duett von Lakmé und Mallika sind die bekanntesten Nummern dieser bemerkenswerten Oper. Diese ist bei dem noch jungen Dirigenten Raphael Pichon und dem Orchestra Pygmalion in bewährten Händen. Einfühlsam arbeitet Pichon die musikalischen Strukturen des Werkes heraus. Genüsslich schwelgen er und das trefflich disponierte Orchester in dem breitgefächerten Melos der Musik und warten mit einer vorbildlichen Detailarbeit auf. Dabei hält der Dirigent den orchestralen Fluss ständig aufrecht und achtet auch darauf, dass die Sänger an keiner Stelle zugedeckt werden.

Überzeugend ist die Inszenierung von Laurent Pelly, der ebenfalls für die Kostüme verantwortlich zeichnet. Zusammen mit seiner Bühnenbildnerin Camille Dugas nimmt er keine konkrete zeitliche und örtliche Verortung des Stückes vor, sondern siedelt das Ganze in einem abstrakten Rahmen an. Die fast leere Bühne zeichnet sich durch totale Reduktion aus. Dieser Minimalismus tut der Oper gut. In diesem reduzierten, zeitlosen Rahmen wartet der Regisseur mit einer durchaus flüssigen Erzählweise auf, die auch einige gute Regieeinfälle enthält. Seine Herangehensweise an die Lakmé ist keine radikale und provokante. Vielmehr ist seine Regiearbeit eher gemäßigt, nichtsdestotrotz aber gut verständlich und von einer abwechslungsreichen Personenregie geprägt.

Der Grundgedanke von Pelly ist, Lakmé als Gefangene der Intentionen ihres Vaters Nilakantha zu zeigen. Dieser glatzköpfige Bramahnenpriester lebt nur für seine eigenen Ziele und pflegt zu Lakmé strenggenommen keine echte Vater-Tochter-Beziehung. Gnadenlos wird sie von ihm zu seinen eigenen Zwecken funktionalisiert und instrumentalisiert. Obwohl ihr das gänzlich gegen den Strich geht, fügt sie sich seinem Willen. Demgemäß ist es durchaus nachvollziehbar, dass sie zu Beginn in einem Käfig auf die Bühne gefahren wird, in dem sie wie in einem Gefängnis sitzt. Nur zeitweilig darf sie diesen verlassen. Sie trägt zu Beginn ein riesiges, aus mehreren Schichten bestehendes weißes Gewand. Die Oberkleider werden ihr von Mallika nach und nach abgenommen, bis sie nur noch mit einem einfachen hellen Kleid bekleidet ist. Das ist das luftige Outfit, nach dem sie sich sehnt und das sie entgegen dem Willen ihres Vaters nicht beengt. Im zweiten Akt, in dem eine Anzahl von Stangen und Pappen die Buden des Marktes symbolisieren, schiebt Nilakantha sie in einem ebenfalls mit Gittern gesäumten Karren auf die Bühne. Sie ist immer noch eine Gefangene.

Der von dem Schamahnen auseinandergenommene Wagen mutiert zur Bühne, auf der Lakmé ihre Glöckchen-Arie präsentiert und auf diese Weise Gérald anlockt. Dieser durfte bereits im ersten Akt einmal das Gefängnis des Mädchens unter die Lupe nehmen. Ihre Liebe zu ihm bietet Lakmé die einzige Möglichkeit, aus ihrem Kerker auszubrechen. Angesichts des Verlöbnisses Géralds mit Ellen ist diese Liebe indes zum Scheitern verurteilt. Dies muss Lakmé im dritten Akt, der von einem dunklen Nachthimmel und einem Blütenteppich, auf dem der verwundete Gérald liegt, dominiert wird, schmerzlich erkennen. Gänzlich desillusioniert setzt sie ihrem Leben ein Ende. Bei Pelly isst sie entgegen der Vorlage keine giftige Blüte, sondern beschmiert sich Gesicht und Hals mit einer todbringenden weißen Masse. Nilakantha führt an ihr ein Totenritual durch, während Gérald in echte Trauer verfällt. Das alles ist recht überzeugend.

Nun zu den gesanglichen Leistungen: Die Lakmé von Sabine Devielhe zeichnet sich durch einen samtenen Sopranklang, große Innigkeit und weiche Tongebung sowie in der Glöckchen-Arie durch Höhensicherheit, Beweglichkeit und extreme Koloraturgewandtheit aus. So weit so gut. Indes könnte sie mit etwas besserer Körperstütze singen. Übertroffen wird sie von Frédéric Antoun, der mit saft- und kraftvollem, dabei ausgezeichnet italienisch fokussiertem Tenor einen hervorragenden Gérald singt. Stéphane Degout ist ein tadellos singender, recht markant klingender Nilakantha. Sein Baritonkollege Philippe Estèphe besticht durch einen vollen, runden Stimmklang. Sehr gefühlvoll lotet Ambroisine Bré vokal die Mallika aus. Eine ordentliche Leistung erbringt Francois Rougier in der Rolle des Hadji. Lediglich über dünnes Tenor-Material verfügt Francois-Olivier JeansWahrsager. Zufrieden sein kann man mit Elisabeth Boudreault (Ellen), Marielou Jacquard (Rose) und Mireille Delunsch (Mistress Bentson). Unauffällig runden Guillaume Gutiérrez (Chinesischer Händler) und René Ramos Premier (Koruava) das homogene Ensemble ab. Gefällig klingt der Chor Pygmalion.

Ludwig Steinbach, 14. Oktober 2023


DVD: „Lakmé“
Léo Delibes
Opéra Comique, Paris


Inszenierung: Laurent Pelly
Musikalische Leitung: Raphael Pichon
Orchester Pygmalion.

Naxos
Best.Nr.: 2.110765
1 DVD