Bei den Salzburger Festspielen 2023 entstand die vorliegende Aufnahme von Verdis Macbeth, die jetzt von dem Label Unitel einem interessierten Publikum auf DVD zugänglich gemacht wurde. Die Inszenierung besorgt Krysztof Warlikowski, das Bühnenbild und die Kostüme liegen in den Händen von Malgorzata Szczesniak. Hier haben wir es, um das Fazit einmal vorwegzunehmen, mit einer gut durchdachten, spannungsgeladenen und von einer intensiven Personenregie geprägten Inszenierung zu tun.
Gekonnt verlegt das Regieteam die Handlung um das mörderische Königspaar in die Zeit des Nationalsozialismus, verzichtet indes auf konkrete Zeichen wie beispielsweise Hakenkreuze. Die im Stil der 1930er Jahre gehaltenen Kostüme sprechen aber eine deutliche Sprache. Eindringlich wird hier der Aufstieg des Faschismus gezeigt. Der von einem roten Linoleumboden dominierte Wartesaal, in dem sich die politisch motivierte Handlung abspielt, verbreitet eine stückimmanente düstere und schauerliche Atmosphäre. Elemente des Schauertheaters und des Surrealismus breiten sich aus. Das passt ausgezeichnet zu dem Werk. Gewaltherrschaft und Tyrannei sind hier Tür und Tor geöffnet.
Aber auch psychologische Aspekte werden von Warlikowski nicht ausgespart. So wartet er mit einer hervorragenden Deutung der Lady auf. Diese ist bei ihm unfruchtbar und kann demgemäß keine Kinder gebären. Ihr anfänglicher Besuch bei einem Gynäkologen, der ihr die bittere Wahrheit enthüllt, desillusioniert die spätere Königin voll und ganz. Hier ist die Grundlage für ihre späteren Verbrechen zu sehen. Die Anstiftung von Macbeth zu immer neuen Morden stellt eine Kompensation ihres eigenen unerfüllten Kinderwunsches dar. Deshalb ist es durchaus logisch, dass eine ganze Reihe von Kindern, teils mit grauenerregenden Masken, die Bühne ausfüllt. Eines erscheint sogar mit dem Gesicht des ermordeten Banco. Bereits zu Beginn befinden sich die Kinder in dem Gefolge der Hexen, die von der Regie als normale, strickende Frauen des Alltags gedeutet werden. Das ist eine treffliche moderne Interpretation, die recht ansprechend ist. Und immer wieder wartet Warlikowski, wie es für ihn typisch ist, mit überzeugenden Parallelen zu Klassikern der Filmgeschichte auf. So flimmern immer wieder Filmausschnitte über Monitore. Dazu gehören Paolo Pasolinis berühmten Werke Das 1. Evangelium – Matthäus und Edipo Re – Bett der Gewalt. Hier setzt der Regisseur den Bethlehem‘ schen Kindermord mit den hier vollführten Morden an Macduffs Kindern in Beziehung, was eine durchaus plausible Vorgehensweise ist. Bernardo Bertoluccis Film Der große Irrtum spielt hier ebenfalls eine gewichtige Rolle. Das ist zwar nichts Neues mehr, steigert aber die Spannung nicht unerheblich.
Die ansprechende Inszenierung erreicht in der Bankett-Szene des zweiten Aktes, die Warlikowski ungemein stark auslotet, ihren Höhepunkt. Hier sitzen neben Macbeth und der Lady auch noch Macduff mit Frau und Sohn am Tisch. Eine Geistererscheinung des toten Banco spart der Regisseur visuell aus. Sie findet nur in Macbeths Kopf statt. Der Anti-Titelheld ist in dieser Produktion von Anfang an lädiert, humpelt zeitweilig und weist in der Leistengegend eine Verletzung auf. Nach seiner Niederlage sitzt er im Rollstuhl, überlebt aber vorlagewidrig. Zuvor bereits hatte sich die Lady bei ihrer Wahnsinnsarie die Pulsadern aufgeschnitten. Indes wird auch sie gerettet. Am Ende sind beide Ehepartner gefangen und gefesselt und harren ihrer Verurteilung. Zum Schlusschor trifft in einem Trickfilm ein Junge auf drei seltsame Gestalten, die den letzten Takten einen etwas mythischen Anstrich verleihen.
Zur Aufführung kommt die Pariser Fassung von 1865, ergänzt durch Macbeths Sterbeszene aus der Florentiner Fassung von 1847. Leider fehlen das Ballett und der Sylphidenchor. Dennoch bewegt sich das musikalische Niveau auf einem ganz hohen Level. Ausgezeichnet waltet Philippe Jordan im Orchestergraben seines Amtes. Zusammen mit den hervorragend disponierten Wiener Philharmonikern lotet er die verschiedenen Facetten von Verdis dramatischer und düsterer Musik bestens aus, wobei er mit einem Höchstmaß an schöner Italianita aufwartet und das Ganze in berückende dunkle Farben hüllt.
Phantastisch muten die gesanglichen Leistungen an. Hier ist an erster Stelle Asmik Grigorian zu nennen, die sich in jeder Beziehung mit einem Höchstmaß an Intensität in die Rolle der Lady Macbeth stürzt. Sie verleiht der mörderischen Königin mit ihrem tadellos fokussierten, ausdrucksstarken und farbenreichen Sopran ein erstklassiges vokales Profil und vermag insbesondere in ihrer Arie La luce langue zu begeistern. Neben ihr bewährt sich als Macbeth der über ansprechendes robustes Bariton-Material verfügende Vladislav Sulimsky, der seinem Part auch darstellerisch voll gerecht wird. Einen wunderbar sonoren und vorbildlich italienisch dahinfliessenden Bass nennt der Banco von Tareq Nazmi sein Eigen. In der Partie des Macduff lässt Jonathan Tetelman seinen kraftvollen, gut im Körper verankerten Tenor elegant dahinfließen, weist aber leider keine Zwischentöne auf. Mit elegantem, kräftigem Tenor macht Evan LeRoy Johnson aus der kleinen Rolle des Malcom viel. Voll und rund singt Aleksei Kulagin den Doktor. Caterina Piva gibt eine solide Kammerfrau der Lady Macbeth. Grisha Martirosyan (Macbeths Diener, erste Erscheinung und Herold) und Hovhannes Karapetyan (Mörder) runden das homogene Sängerensemble ab. Die zweite und die dritte Erscheinung sind Solisten der St. Florianer Sängerknaben anvertraut.
Ludwig Steinbach, 25. August 2024
DVD: Macbeth
Giuseppe Verdi
Salzburger Festspiele 2023
Inszenierung: Krzystof Warlikowski
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Unitel
Best. Nr.: 810608
1 DVD