Lieber Opernfreund-Freund,
das Mädchen aus dem goldenen Westen – so der sperrige deutsche Titel von Giacomo Puccinis 1910 an der New Yorker Metropolitan Opera uraufgeführte und vergleichsweise selten gespielter Oper La Fanciulla del West – macht zurzeit das Landestheater in Detmold unsicher. Und auch wenn Regisseur Kay Link die Handlung in die Gegenwart verlegt, so hat Titelheldin Minnie doch Cowboys im Gepäck.
Die allerdings sind lediglich Cowboy-Darsteller in einer Diorama-Show, die mit Schaukästen durchs Land zieht und eine Reise durch US-amerikanische Geschichte bietet – so lässt sich dann auch der Schwenk erklären, der den zweiten Akt in einem Apartment der 1970er Jahre ansiedelt (Bühne: Katrin Hieronimus). Die Darsteller in den Standbildern verbringen ihren Feierabend in der von Minnie und Nick bewirtschafteten Betriebskantine und erfüllen rein optisch jedes Klischee, das man hierzulande von der raubeinigen Männerwelt der US-amerikanischen Kuhhirten und Goldgräber hat. Dazu hat Jule Dohrn-van Rossum einen bunten Strauß von Western-Kostümen geschneidert, die sich zwischen Lucky Luke und Zorro bewegen.
Das ist optisch reizvoll, bei der Interpretation des Werks allerdings wenig sinnstiftend. Denn schließlich spielt sich die Opernhandlung „Frau in Männerwelt ergaunert sich das Leben des geliebten Ganoven, indem sie beim Kartenspiel schummelt“ in der Folge in diesem geänderten Rahmen ab – der Sinn dahinter bleibt jedoch auf der Strecke. Dabei habe ich sich nicht ganz erschließende Ideen wie Minnies omnipräsentes Alter Ego noch gar nicht erwähnt. Und dennoch kommt ein fesselnder Opernabend heraus, weil er einfach schön anzuschauen ist – und weil die musikalische Seite im Gegensatz zur szenischen wenig Anlass zur Kritik gibt.
Eleonore Marguerre verkörpert die Titelrolle voller Innbrunst, legt die passende Mischung aus Kraft und Gefühl in ihren durchdringenden Sopran und zeigt eine veritable Charakterstudie einer emanzipierten Frau inmitten von Männern, die ihnen Freundin, Mutter, Lehrerin und Projektionsfläche ihrer Leidenschaften zugleich ist – und doch nur selbst nach Liebe sucht. Ji-Woon Kim verfügt über einen recht dunkel gefärbten Tenor und gibt den Straßenräuber Dick Johnson leidenschaftlich und überzeugend, zeigt sich höhensicher und facettenreich. Auch der vor Kraft strotzende Bariton von Jonah Spungin ist voller Farben. Der junge Kanadier präsentiert die Figur des in Minnie vernarrten und herrischen Sheriffs Jack Rance vielschichtig und durchaus mit leisen Zwischentönen. Von dem guten Dutzend Klein- und Kleinstrollen, die sämtlich überzeugen können, möchte ich stellvertretend den Nick von Stephen Chambers loben sowie den Jake Wallace von Euichan Jeong, Mitglied des Opernstudios, der seine Ballade im ersten Akt ganz herzzerreißend präsentiert.
Im Graben befeuert Per-Otto Johansson das Orchester zu Höchstleistungen, präsentiert Puccinis klanggewaltige Partitur gekonnt. Dabei gelingt ihm eine wunderbare Symbiose verschiedener Stile: klingt es auch stellenweise nach Filmmusik und Westernuntermalung, scheint doch immer der unverwechselbare Stil des Meisters aus Lucca durch.
Ihr
Jochen Rüth
24. September 2024
La Fanciulla del West
Oper von Giacomo Puccini
Landestheater Detmold
Premiere: 14. September 2024
besuchte Vorstellung: 22. September 2024
Inszenierung: Kay Link
Musikalische Leitung: GMD Per-Otto Johansson
Symphonisches Orchester des Landestheaters Detmold
Weitere Aufführungen: 28. September, 5. Oktober, 1., 9. und 24. November, 11. und 28. Dezember 2024 sowie 27. März und 11. April 2025 am Landestheater Detmold;
außerdem am 29. Oktober 2024 im Theater Wolfsburg sowie am 27. April 2025 im Theater im Park in Bad Oeynhausen