München: „Die tote Stadt“, Erich Wolfgang Korngold

Am 4. Oktober 2024 wurde an der Bayerischen Staatsoper Erich Wolfgang Korngolds geniale Oper Die tote Stadt wiederaufgenommen. Voll zufrieden sein konnte man mit der Inszenierung, für die Simon Stone (Regie), Ralph Myers (Bühnenbild) und Mel Page (Kostüme) verantwortlich zeigten.

© Wilfried Hösl

Das Regieteam hat das Geschehen gekonnt in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verlegt. Die Handlung spielt sich in einem Bungalow mit der Hausnummer 37 ab. Dieser wirkt von außen gesehen etwas gewöhnlich, von innen indes gut bürgerlich. Mit Hilfe der oftmals eingesetzten Drehbühne lässt er sich in die unterschiedlichsten Stellungen bringen. Das ermöglicht Einsichten in die verschiedenen Räume aus wechselnden Perspektiven. Im zweiten Akt gesellt sich noch ein erster Stock dazu. Im Übrigen bleibt das Bühnenbild über alle drei Akte hinweg unverändert.

Zu Beginn sind sämtliche Möbel des Bungalows verhängt. Kurz bevor Marietta eintrifft entfernt Paul die Tücher. Regelrecht ins Auge springt ein Raum, in dem Paul für die verstorbene Marie einen Altar errichtet hat. In dieser Kirche des Gewesenen bewahrt der trauernde Wittwer alle Erinnerungsstücke an sie auf: Zahlreiche Photos des Ehepaares, Maries Haarschopf, ihre Kleider sowie eine Unmenge weiterer Utensilien, die er in beschrifteten Kisten lagert. Als ihm Marie am Ende des ersten Aktes in einer Art Vision erscheint, ergibt sich, dass sie dem Krebs erlag. Ihr Glatzkopf lässt darauf schließen, dass sie sich einer Chemotherapie unterzogen hat. Wahrscheinlich sogar mehreren. Stone präsentiert dem Zuschauer aber nicht nur eine Marie. Im Verlauf der Aufführung wird Paul mit einer ganzen Anzahl von Maries in Krankenhaushemden konfrontiert. Das sind Augenblicke, in denen sich auch mal Gänsehaut einstellt. Die auf einem Fahrrad auf die Bühne fahrende Marietta macht dagegen einen recht koketten, munteren Eindruck.

© Wilfried Hösl

 Im Folgenden spielt Stone geschickt mit den unterschiedlichen Zeitebenen. Bewusst macht er nicht immer deutlich, was nun Traum und was Realität ist. Als Beispiel dafür seien die Kinder genannt, die im dritten Akt erscheinen. Zuerst ist es fraglich, ob zwischen dem zweiten und dem dritten Aufzug mehrere Jahre ins Land gezogen sind, in denen Paul und Marietta alle diese Kinder bekommen haben, oder ob man es bei diesen gleichfalls mit einer Vision des sich nach einer Familie sehnenden Paul zu tun hat. Mit Blick auf den Schluss, in dem sich das Ganze dann schließlich doch als Alptraum erweist, ist der zweiten Variante der Vorzug zu geben. Im Ganzen gesehen huldigt Stone stark den Lehren eines Sigmund Freud, was einen famosen Eindruck hinterlässt. Hervorragend nimmt der Regisseur das Seelenleben Pauls unter die psychoanalytische Lupe und unterzieht es einer eingehenden Beleuchtung. Diese eindringlichen Bilder gemahnen stark an Alfred Hitchcock. Das alles breitet Stone mit Hilfe einer stringenten, abwechslungsreichen Personenregie, die an keiner Stelle an Spannung verliert, mit großem Können vor den Augen des Publikums aus.

Im Orchestergraben badete Lothar Koenigs genüsslich in Korngolds fulminanten Klangwogen. Zusammen mit dem hervorragend disponierten Bayerischen Staatsorchester gelang es ihm, das begeisterte Publikum in einen regelrechten Klangrausch zu versetzen. Sein Dirigat war spannungsreich, energiegeladen und farbenreich. Und der emotionale Faktor wurde an diesem Abend ganz groß geschrieben.

Nun zu den gesanglichen Leistungen: Nicht zu überzeugen vermochte Klaus Florian Vogt als Paul. Sein allzu heller, gänzlich der nötigen Körperstütze entbehrender und flacher Tenor verfügt über keinerlei heldischen Kern, der indes für diese hochdramatische Rolle mehr als nötig ist.

© Wilfried Hösl

Weit übertroffen wurde er von Vida Mikneviciute, die in der Doppelrolle von Marietta und Marie eine absolute Glanzleistung erbrachte. Hier haben wir es mit einem bestens italienisch fokussierten, in jeder Lage strahlkräftigen und höhensicheren dramatischen Sopran zu tun, der jede Facette der beiden Partien mit Bravour auslotete. Das Kokette der Marietta wurde von ihr genauso beeindruckend zum Ausdruck gebracht wie das sehr geradlinig gesungene Glück, das mir verblieb. Und in die Erscheinung Maries legte sie ein Maximum an Gefühl. Das war eine ganz große Leistung! Nicht minder zu begeistern wusste der Bariton Sean Michael Plumb, der den Frank und den Pierrot Friz mit ebenfalls phantastischer italienischer Gesangstechnik und sonorem hellem Timbre wunderbar auf Linie und ungemein ausdrucksstark sang. Sein sehr inbrünstig dargebotenes Lied Mein Sehnen, mein Wähnen, geriet zum Höhepunkt des Abends!  Jennifer Johnston war eine solide Brigitta. Ein Versprechen für die Zukunft gab die Juliette von Mirjam Mesak ab. Von dieser Sängerin wird man in Zukunft noch viel erwarten können. Einen guten Eindruck hinterließ auch Xenia Puscarz Thomas‘ Lucienne. In der Doppelrolle von Gaston und Victorin gefiel der ordentlich intonierende Liam Bonthrone besser als Miles Mykkanens maskig klingender Graf Albert. Gut schnitten der Bayerische Staatsopernchor und der Kinderchor der Bayerischen Staatsoper ab, die Franz Obermair gewissenhaft einstudiert hatte.

Ludwig Steinbach, 6. Oktober 2024


Die tote Stadt
Erich Wolfgang Korngold

Bayerische Staatsoper München

Premiere: 18. November 2019
Besuchte Aufführung: 4. Oktober 2024

Inszenierung: Simon Stone
Musikalische Leitung: Lothar Koenigs
Bayerisches Staatsorchester