Die Opern von Richard Strauss haben in Köln in den vergangenen Jahren eher eine untergeordnete Rolle gespielt: Eine „Salome“ und eine „Frau ohne Schatten“ – das war es schon. Nun also zum Saisonauftakt eine neue „Elektra“ und die hat es in sich: Ein Thriller auf musikalischem Spitzenniveau, bei dem die Kölner Oper ein bemerkenswertes Händchen für musikalisches Qualität beweist und dazu eine Regie präsentiert, die nah am Stück ist und in ihrer drastischen Bildsprache das Blut in den Adern der Zuschauer gefrieren lässt. Regisseur Roland Schwab und sein Bühnenbildner Pierro Vinciguerra erschaffen einen an sich schlichten, aber dennoch expressiven, bedrückenden Raum, der durch eine hochraffinierte Lichtgestaltung zum Seelenraum wird und zwischenzeitlich immer wieder die Frage aufblitzen lässt, ob das, was wir sehen, eine wie auch immer gemeinte Realität ist oder ob die Szenerie mittlerweile einfach einen Blick in den Kopf Elektras offenbart. Die sonst oftmals störenden Säulen des Staatenhauses doppelt Vinciguerra, versieht sie mit Lichtelementen und gibt dem Raum so eine selten gesehen Tiefe. Ob es ein unterirdisches Gewölbe oder Palasthalle ist bleibt dabei nebensächlich. Gabriele Rupprecht kleidet die Figuren überwiegend in schwarz, fetzenhaft, teils futuristisch angehaucht. Einzig Ägisth und Klytämnestra entziehen sich in Farbigkeit und luxuriösem Gepränge dem Düsteren und auch Crysothemis stellt sich mit einem mädchenhaften Charme der Gewalt Elektras entgegen. Menschliches hat hier keine Platz, es sind Hass und Rache, die in düsterer Beklemmung Raum werden und in dem bereits zu Beginn die Mägde eher wilden Tieren gleich, ja fast zombihaft agieren. Schwab zeichnet hier eine Welt, die Moral und das Gute hinter sich gelassen hat, eine Welt, die drastisch ist, die von Brutalität und Blutdurst getränkt ist.
Neben der szenischen Seite ist aber auch die musikalische Seite in höchstem Maße beglückend: Star des Abends ist ohne Frage Allison Oakes in der Titelpartie, die in Köln ihr Rollendebüt gibt, das fulminant gelingt. Oakes ist im besten Sinne ein Bühnentier, sie wirft sich in die Partie, wütet und tobt, lotet die Abgründe ihrer Figur vortrefflich aus und weiß dies auch in Perfektion in ihrer Stimme umzusetzen. Dramatisch, biestig, zynisch und immer wohlklingend, niemals angestrengt, aber stets intensiv, zeigt sie, dass sie dem Zuhörer all das geben kann, was die Partitur ihrer Stimme abverlangt – eine echte Idealbesetzung. Astrid Kessler als Chrysothemis steht ihr hier in wenig nach, stimmlich ebenfalls exzellent wirkt sie neben der gewaltigen Elektra wie ein zartes, kleines Mädchen, die mit weniger Dramatik in der Stimme, aber dennoch wunderbar timbriert ihre Rolle füllt. Mit Lioba Braun in der Rolle der Klytämnestra steht eine echte Bühnenpersönlichkeit auf der Bühne, die für diese Partie ebenfalls ideal ist. Braun, eine verdiente und große Sängerin, betont mir ihrer reifen Stimme im Wesentlichen das Charakterliche ihrer Figur, das Widerliche, das Selbstgerechte oder kurz das Unsympathische, bleibt dabei aber Grande Dame die zwischen eigenem Anspruch und von Angst getriebenem Wesen changiert.
Am Pult des Gürzenich-Orchesters steht anders als ursprünglich geplant nicht François-Xavier Roth, sondern mit Felix Bender der GMD aus Ulm, der die Orchestermassen bändigt, als wäre es das einfachste der Welt. Das Orchester sitzt links neben der Bühne und haben andere Dirigenten mit dieser Situation wenig anzufangen gewusst, gelingt dieses Mal alles vortrefflich und Bühne und Orchester sind wunderbar zusammen und ergeben ein ideales Klangbild, ja, zum ersten Mal ist man fast froh, dass zwischen Bühne und Zuschauern kein Orchester sitzt, denn das unterstreicht bei diesem Abend die Dramatik des Geschehens. Bender musiziert einen nahezu perfekten Strauss, der vor der Wucht der Partitur nicht zurückschreckt und bereits mit dem dröhnenden Agamemnon-Motiv ein Ausrufezeichen setzt. Dabei wird es aber nie platt, nie langweilig, nie Lautstärke um der Lautstärke willen, sondern hier wird jede Note musiziert, jeder Ton hat eine Idee. Das Orchester folgt Bender dabei bereitwillig, reizt klangschön die fließenden Bögen der Strauss’schen Musik aus, geht kraftvoll und aufbrausend an die Grenzen der Tonalität und dabei verliert sich nicht die Handlung, nie gehen Sänger im Klangmeer unter – alles ist aus einem Guss und lässt die 100 Minuten wie im Flug am Zuschauer vorbeiziehen.
Bei den kleineren Partien überzeugt das Ensemble der Mägde als animalische Horde verlorener, getriebener Seelen stimmlich homogen und voller Spielfreude. Der Orest von Insik Choi bleibt szenisch etwas steif, vermag aber mit satter und angenehmer Stimme zu überzeugen. Martin Koch als Ägisth, in weiß gekleidet und somit wie ein Fremdkörper in Elektras Welt, singt die Partie mit viel Strahlkraft und fügt sich in das exzellente Ensemble ein.
Mit der Kölner Elektra ist ein wirklich bemerkenswerter Saisonauftakt gelungen, der endlich eine Produktion ins Staatenhaus bringt, die der vergangenen glanzvollen Größe des Hauses angemessen ist. Die Leistung aller Beteiligten ist absolut hervorragend und gerade mit den Besetzungen der Hauptrollen hat man ein wirklich glückliches Händchen bewiesen. Ein Besuch dieser Produktion ist absolut empfehlenswert.
Sebastian Jacobs, 10. Oktober 2024
Elektra
Oper von Richard Strauss
Oper Köln
Premiere am 6. Oktober 2024
Inszenierung: Roland Schwab
Musikalische Leitung: Felix Bender
Gürzenich-Orchester Köln